Arthur_Cohn_with_his_6_oscars

Hat er über Ignazio Cassis reine Märchen erzählt? Arthur Cohn mit seinen 6 Oscars. © Wikipedia

Bundesrat Ignazio Cassis also doch kein «Freund Israels»?

Christian Müller /  Ignazio Cassis habe sein Engagement gegen die UNRWA «persönlich erklärt», schrieb «tachles». Gemäss EDA wurde er nur «informiert».

«Der Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis hat sich bei seinen Bundesratskollegen mit dem Beschluss durchgesetzt, weitere Zahlungen an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) wegen offensichtlichem Fehlverhalten des Managements zu stoppen. [ ] Seinen mutigen Entscheid konnte Bundesrat Cassis bei einem feierlichen Empfang durch die jüdischen Gemeindevertreter in der Schweiz persönlich erklären. [ ] Cassis‘ mutiger Entscheid, die korrupten und gefährlichen Machenschaften der UNRWA nicht nur zu durchschauen, sondern auch zu handeln und das Fliessen von Schweizer Geldern an die UNRWA zu stoppen, verdient grosse Anerkennung.»

Geschrieben hat das kein geringerer als Arthur Cohn, der weltbekannte Filmprozent aus Basel, der bis heute nicht weniger als sechs Oscars entgegennehmen durfte. Sein Bericht erschien in «tachles», dem Jüdischen Wochenmagazin, in der Ausgabe vom 27. September.

Hat das Arthur Cohn alles nur aus den Fingern gesogen?

Am 20. September hat Infosperber in einem kritischen Beitrag zu Bundesrat Ignazio Cassis geschrieben: «Bereits hat Ignazio Cassis mit seiner Flüchtlingspolitik unserem internationalen Ansehen aber massiven Schaden zugefügt (Cassis hat nach dem Vorbild Donald Trumps die Zahlungen an das palästinensische Hilfswerk der UNO UNRWA eingestellt).» Darauf erhielt Infosperber Post vom Schweizer Aussenministerium EDA. Darin stand der Satz: «Schliesslich unterstellen Sie Bundesrat Cassis, die Zahlungen an das palästinensische Hilfswerk der UNO UNRWA eingestellt zu haben. Das ist nicht korrekt. Das EDA hat eine feste Regel: Bei Verdacht auf Missmanagement in einem Hilfswerk suspendiert es die Zahlungen. Das hat die DEZA auch hier gemacht – ohne spezifische Veranlassung durch Bundesrat Cassis.» (Siehe den ganzen Brief des EDA Info-Chefs hier, im Nachtrag.)

Also hat Infosperber an das EDA zurückgeschrieben und gefragt, ob Arthur Cohn sich sein Loblied auf Ignazio Cassis denn ganz aus den Fingern gezogen habe. Die Antwort des EDA: «Wie bereits in unserer früheren Antwort erwähnt, wurde der Entscheid, dass das EDA bis zum Abschluss der Untersuchung der UNO weitere Zahlungen an die UNRWA zurückhält, von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) gefällt. Es wurde nicht auf Ebene Bundesrat entschieden.»

Infosperber vermutete deshalb, dass formal zwar auf DEZA-Ebene entschieden wurde, die Zahlungen an die UNRWA zu stoppen, dass aber vermutlich doch Gespräche zwischen dem EDA-Chef Ignazio Cassis und der DEZA stattgefunden haben müssen. Und Infosperber fragte deshalb nochmals nach. Diesmal mit den unmissverständlichen Fragen:

– Ist der Entscheid der DEZA ohne Rücksprache mit dem EDA gefallen?
Antwort DEZA: «Die DEZA hat die politische Direktion des EDA über ihren Entscheid informiert.»

– Hat es absolut keine Gespräche zwischen DEZA und BR Ignazio Cassis zu diesem Thema gegeben?
Antwort DEZA: «Nein. Bundesrat Cassis wurde über den Entscheid in Kenntnis gesetzt.»

Der Widerspruch bleibt

Es gibt drei Varianten:

  • Entweder Arthur Cohn hat seine Aussage im Jüdischen Wochenmagazin «tachles», wonach Bundesrat Ignazio Cassis sich persönlich dafür eingesetzt habe, dass die Zahlungen an die UNRWA eingestellt werden, frei erfunden.
  • Oder Bundesrat Ignazio Cassis hat am «feierlichen Empfang durch die jüdischen Gemeindevertreter in der Schweiz» im Gespräch beim Champagner sich seines persönlichen Einsatzes gerühmt, obwohl er damit nichts zu tun hatte.
  • Oder er hat sich dessen gerühmt, weil er sich EDA-intern tatsächlich dafür eingesetzt hat, den Entscheid aber formal auf der Ebene DEZA fällen liess (Was vom EDA klar bestritten wird, siehe oben).

    Man ist anlässlich dieser Widersprüche an die peinliche Geschichte betreffend das geplante und mittlerweile abgesagte Sponsoring des Schweizer Auftritts an der Weltausstellung in Dubai 2020 durch den Tabak-Konzern Philip Morris erinnert. Dazu in der Berner Tageszeitung «Der Bund» am 31. Juli 2019:
    «Interessant ist zudem die Frage, wie stark Cassis selber von Beginn an über die Pläne mit Philip Morris informiert war. Nicolas Bideau, Direktor von Präsenz Schweiz, hatte vorletzte Woche am Westschweizer Radio RTS erklärt, die Partnerschaft sei mit Cassis besprochen worden. Der Aussenminister erklärte hingegen am Wochenende dem italienischsprachigen Radio RSI, das Dossier sei nicht auf seinem Tisch gelegen.»

    Widersprüche zwischen Informationen aus dem EDA und Ignazio Cassis› persönlichen Aussagen scheinen nicht mehr die Ausnahme zu sein.


    Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

    Zum Autor. Es gibt keine Interessenkollisionen.

  • Zum Infosperber-Dossier:

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    Parteien und Politiker

    Parteien und Politiker drängen in die Öffentlichkeit. Aber sie tun nicht immer, was sie sagen und versprechen.

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