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Bischof Jean-Marie Lovey: Sexuelle Bevormundung © CES/BB

Sexual-«Scharia» gegen zwei Frauen im Wallis

Kurt Marti /  Im Februar wurden im Wallis zwei Fälle sexueller Bevormundung von Frauen publik. Doch nur einer endete vor dem Richter.

Zwei Frauen – eine Pastoralassistentin und eine Auszubildende im Detailhandel – lieben einen Mann und beide wurden deswegen von Männern unter Druck gesetzt. Einmal primitiv und mit roher Gewalt, einmal subtil und perfid. Schliesslich wurden beide Frauen von Männern gezwungen, ihre Arbeitsstelle aufzugeben.

In einem Fall wurden die Männer (Vater und Bruder) von der Justiz wegen mehrfacher Nötigung verurteilt. Im anderen Fall blieb der Mann (Bischof Jean-Marie Lovey von Sitten) und seine honorige Institution (katholische Kirche) von der Justiz unbehelligt.

Fall 1: Sexuelle Bevormundung durch den Bischof von Sitten

Eine 27-jährige Pastoralassistentin wurde im Sommer 2017 vom Bischof von Sitten vorgeladen und zur Rede gestellt, wie der «Nouvelliste» am 3. Februar 2018 berichtete. Der Grund: Sie hatte eine Beziehung mit einem Mann, der in Trennung von seiner Frau lebte, aber noch nicht geschieden war.

Diese Beziehung passte dem Bischof nicht, und er setzte die Frau mit der Drohung unter Druck, ihr werde gekündigt, wenn sie die Beziehung nicht innert einer Frist von sechs Monaten beende. Als die Frau sich weigerte, ihr Verhältnis aufzugeben, kündigte ihr der Bischof im Dezember 2017 auf Ende des laufenden Schuljahres.

Zur Kündigung gehören auch Religions- und Ethikstunden an der Primarschule. Dieses Kündigungsrecht hat der Bischof aufgrund einer unzeitgemässen «Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der Walliser Schule und den beiden anerkannten Kirchen», die der Bischof und der damalige SVP-Staatsrat Oskar Freysinger unterzeichnet hatten und die ein klarer Verstoss gegen das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat ist (siehe Infosperber: Aufklärung statt Kulturkampf, Herr Freysinger).

Gegenüber dem «Nouvelliste» begründete der Bischof von Sitten die Kündigung mit dem «Schock», den die «Inkohärenz» des Verhaltens der Pastoralassistentin auf die Gläubigen bewirke.

Die Inkohärenz bezieht sich auf die Sexual-«Scharia» im «Katechismus der katholischen Kirche». Darin stehen unter dem Kapitel «Verstösse gegen die Würde der Ehe» folgende sexuelle Verhaltensregeln:

«Der Ausdruck ‹Verhältnis› bezeichnet unterschiedliche Situationen: Konkubinat, Ablehnung der Ehe als solcher und Unfähigkeit, sich durch langfristige Verpflichtungen zu binden. Alle diese Situationen verletzen die Würde der Ehe; sie zerstören den Grundgedanken der Familie; sie schwächen den Sinn für Treue. Sie verstossen gegen das moralische Gesetz: Der Geschlechtsakt darf ausschliesslich in der Ehe stattfinden; ausserhalb der Ehe ist er stets eine schwere Sünde und schliesst vom Empfang der Heiligen Kommunion aus.»
«Ehebruch, das heisst eheliche Untreue. Wenn zwei Partner, von denen wenigstens einer verheiratet ist, miteinander eine, wenn auch nur vorübergehende geschlechtliche Beziehung eingehen, begehen sie Ehebruch. Christus verurteilt schon den Ehebruch im Geiste. Das sechste Gebot und das Neue Testament verbieten den Ehebruch absolut. Die Propheten prangern ihn als schweres Vergehen an. Sie betrachten den Ehebruch als Abbild des sündigen Götzendienstes.»

Eine solche sexuelle Bevormundung ist eine klare Missachtung des sexuellen Freiheitsrechts, das Teil der Menschenrechte ist.

Die entlassene Pastoralassistentin bestätigte gegenüber dem «Nouvelliste», dass sie vom Bischof «unter Druck gesetzt wurde» und dass sie keine Hoffnung sehe, eine andere Anstellung zu finden.

Es stellt sich also die Frage, ob hier nicht der Tatbestand der Nötigung vorliegt, denn laut Artikel 181 des Strafgesetzbuches wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer jemanden durch «Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden». Nötigung ist ein Offizialdelikt und der Staatsanwalt müsste von Amtes wegen ermitteln. Bis heute wurden keine solche Ermittlungen publik.

Perfiderweise liess das Bistum Sitten die Pastoralassistentin bei ihrer Anstellung vor vier Jahren einen Arbeitsvertrag unterschreiben, mit dem sie ausdrücklich auf ihr sexuelles Freiheitsrecht verzichtete, das nota bene eine grosse Mehrheit der KatholikInnen in Anspruch nimmt. Teil des Arbeitsvertrags war nämlich die sogenannte «Missio Canonica», mit der sie sich verpflichtete, die Regeln der Kirche einzuhalten, wie der Generalvikar Richard Lehner gegenüber dem «Walliser Boten» erklärte.

Fall 2: Sexuelle Bevormundung durch den Vater und den Bruder

Ganz anders endete der Fall einer albanischen Familie, die im Oberwallis wohnt. Mitte Februar verurteilte die Staatsanwaltschaft Oberwallis den Vater und seinen Sohn per Strafbefehl wegen mehrfacher Nötigung seiner Tochter beziehungsweise seiner Schwester, wie Mitte Februar 2018 zuerst der «Walliser Bote» und dann auch der «Blick» und «20 Minuten» berichteten.

Die junge Frau, die eine Lehre im Detailhandel begonnen hatte, verliebte sich in einen jungen Mann, der ebenfalls eine Verkäuferlehre absolvierte. Vater und Sohn versuchten die Liebesbeziehung durch Überwachung, Nötigung und sogar mit der Anwendung von Gewalt zu verhindern. Schliesslich zwangen sie die Tochter, dem Arbeitgeber telefonisch ihre Kündigung mitzuteilen. Darauf fand die junge Frau Unterschlupf im Frauenhaus.

Gegenüber «20 Minuten» analysierte Dirk Baier, Leiter des Instituts Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW):

«Gerade in Familien mit patriarchalen Familienstrukturen werden Mädchen häufig kontrolliert und gar Ehen mit genehmen Partnern arrangiert. Der aus Sicht der Familie falsche Partner beschädigt hingegen die ‹Familienehre›. In orthodoxen muslimischen Familien ist die Erziehungskontrolle oft auf das Mädchen gerichtet, während sich die Jungs alles erlauben können.»

Und zum Urteil des Staatsanwalts folgerte Baier: «Es zeigt, dass ein solches Verhalten nicht konform ist mit den Vorstellungen eines elterlichen Erziehungsverhaltens in unserer Kultur.»

Fazit: Wie der Bischof von Sitten im Fall der Pastoralassistentin stellten auch der Vater und der Sohn «Inkohärenz» des Verhaltens der Tochter beziehungsweise Schwester zu ihrer Sexual-«Scharia» fest und befürchteten einen «Schock» bei Verwandten und Bekannten.

Die Walliser Justiz reagierte auf diese sexuelle Bevormundung völlig zu Recht mit einer Verurteilung wegen mehrfacher Nötigung. Doch wenn sie das Prinzip der Rechtsgleichheit einhalten will, müsste sie ebenso gegen den Bischof und das Bistum eine Untersuchung einleiten, um den Tatbestand der Nötigung zu prüfen.

Der demokratische Rechtsstaat muss Parallelgesellschaften, deren Regeln im Widerspruch zu den Menschenrechten und den Prinzipien einer offenen Gesellschaft stehen, unterbinden. Dabei muss der Rechtsstaat glaubwürdig bleiben, das heisst nicht auf dem einen Auge blind sein. Denn sonst wird die offene Gesellschaft früher oder später das Opfer einer falsch verstandenen Toleranz.


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9 Meinungen

  • am 6.04.2018 um 12:23 Uhr
    Permalink

    Wer noch glaubt, der Schweizer «Rechtsstaat» sei nicht auf einem Auge blind, verkennt die Realität. Art. 8 Abs. 1 der Bundesverfassung – «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich» – ist schon längst Makulatur. Natürlich sollte trotzdem jeder Einzelne in diesem Staat dafür kämpfen, dass mindestens Reste des Rechtsstaates erhalten bleiben – so wie ich dies mit meiner Website http://www.wernerzumbrunn.ch auch tue. Aber davon darf man sich nicht zu viel erhoffen, denn die Missstände in unserem «Rechtsstaat» haben – wie auch der konkrete Fall beweist – schon eine grosse Dimension angenommen. Vor allem, weil die Aufsichtsbehörden über unsere Gerichte und Strafverfolgungsbehörden auf beiden Augen blind sind.

  • am 6.04.2018 um 18:01 Uhr
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    Die Pastoralassistentin hat die Regeln der Kirche nicht verstanden. Etwas Geld in die Hand nehmen, ein bisschen schmieren, und alles ist wieder im Lot. So geht es zumindest im Vatikan wenn sich einflussreiche Geschiedene aus Finanz oder Adel ein zweitesmal verheiraten wollen. Dann ist unter Unmständen sogar eine Audienz beim Papst drin. Wäre interessnt was der aufgeschlossene Papst Franziskus zu dem Herrn Bischof aus Sion sagen würde!

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 6.04.2018 um 20:41 Uhr
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    Diese Vergleiche erscheinen reichlich exotisch. Wenn ein Veganer-Club jemanden anstellt, welcher ihre Werte vertreten soll, scheint es plausibel, dass zur Wahrung interner Kohärenz diese Werte auch im täglichen Verhalten gelebt werden, ein Abweichen also als Kündigungsgrund plausibel erscheint.

    Wenn die kirchliche Anstellung einen solchen Vorbehalt explizit im Anstellungsvertrag vorsieht, sollte man annehmen, dass er ebenso legitim erscheint.

    Dies mit Regeln der Sharia zu vergleichen, dürfte eine der Perversitäten unserer modernen Welt sein. in der alles was zur Polemik dienen kann legitim erscheint.

    Mélanger les torchons et les serviettes n’aide guère à promouvoir la propreté, même pas spirituelle.

  • am 7.04.2018 um 14:57 Uhr
    Permalink

    Zu dumm, dass der Auserwählte der Pastoralassistentin kein katholischer Priester ist. Jedenfalls wäre dann der Straftatbestand Ehebruch vom Tisch.

    Irene Maria Koller

  • am 9.04.2018 um 00:01 Uhr
    Permalink

    Ein kompletter Unsinn, diese beiden Fälle zu vergleichen: Natürlich ist die Sexualmoral der kath. Kirche aus meiner Sicht verlogen. In einer freien Gesellschaft kann aber jede/r, der will, daran glauben. Das hat auch die Pastoralassistentin getan und in vollem Bewusstsein unterschrieben, sich daran zu halten. Dass dies «perfid» sei, ist völlig deplaziert, denn die Frau wurde nicht getäuscht, sondern sie wusste genau, worauf sie sich einliess und wollte das offenbar auch so. Dass ein Arbeitgeber eine Angestellte entlässt, wenn sie zentrale Werte des Unternehmens verletzt, welche sie einzuhalten explizit versprochen hatte, erscheint legitim. – Nicht nachvollziehbar ist die Meinung des Autors, dass hier eine Nötigung vorliegen soll, denn die Frau hat aus freien Stücken auf ihr sexuelles Freiheitsrecht verzichtet. So wie es z.B. Nonnen oder Mönche durch ihr Gelübde auch tun, freiwillig und ohne dazu genötigt zu werden.

  • am 9.04.2018 um 13:10 Uhr
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    Die Kommentare von den Herren Hunkeler und Hemman scheinen mir den Sachverhalt besser zu beschreiben, als der Artikel von Kurt Marti. Denn auch wenn es fragwürdig ist, die katholische Sexualmoral zum Verhaltensmassstab einer Anstellung zu machen, ist es aus der Sicht der Kirche nachvollzubar, von einer Pastoralassistentin zu erwarten, dass sie sich an die Einhaltung einer von ihr freiwillig unterzeichneten Vereinbarung hält. Dies als Nötigung zu interpretieren und die beiden Fälle miteinander vergleichen zu wollen, scheint mir schon mehr durch eine Aversion gegen die Kirche als durch die jounalistische Notwendigkeit zur Aufdeckung eines Missstands bedingt zu sein.

  • am 10.04.2018 um 10:39 Uhr
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    Naja… und wenn die Kirche Regeln erlässt , die dem Grundgesetz widersprechen ist das eh egal, nicht? Oder wie sehen die Herren Gutmann Hunkeler, Hemman das? Die kath. Kirche täte gut daran, maximale Toleranz zu üben nach all den Gräueltaten und Übergriffen die sie zu verantworten hat oder besser: zu verantworten hätte… Aber wir können ja alle zur Beichte gehen und dann ist alles verzeihen und wir gehören weiter zu den Guten und zeigen freudig mit dem Finger auf die anderen… Toller und sehr differenzierter Artikel von Kurt Marti, vielen Dank. Es handelt sich in beiden Fällen ganz klar um Nötigung!

  • am 10.04.2018 um 16:40 Uhr
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    An der Argumentation von Hunkeler, Hemmann und Gutmann ist schon etwas dran. Wenn es um eine rein kirchliche Anstellung ginge, könnte man ihr fast zustimmen. Aber es geht auch um eine Anstellung an der öffentlichen Schule. Dass da solche Moralpolizisten-Regeln zum Zuge kommen sollen, geht überhaupt nicht!
    Der eingentliche Skandal ist meines Erachtens diese unsägliche «Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der Walliser Schule und den beiden anerkannten Kirchen». Ich denke, dass unter Walliser Verhältnissen ein obligatorischer Religionsunterricht an der Schule verfassungswidrig ist.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 10.04.2018 um 21:11 Uhr
    Permalink

    @Rey.

    Naja… das Grundgesetz gibt es ja auch noch nicht allzulange…

    Würden Sie jemanden anstellen, der Ihnen in die Suppe spuckt ?

    Das 68er Verbot zu verbieten in Ehren, aber hier geht es um Vertragsfreiheit und Vertragserfüllung, nicht um Gängelung abhängiger gutgläubiger Seelen.

    Die Sharia ist hier doch noch ein paar Stufen autoritärer.

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