Kommentar

kontertext: Die Menschenwürde ist unteilbar – sollte man meinen

Alfred Schlienger © zvg

Alfred Schlienger /  Die antisemitische Häme der Rapper Kollegah und Farid Bang ist absolut inakzeptabel. Aber warum kommt die Empörung erst jetzt?

Die Feuilletons echauffieren sich in diesen Tagen über die deutsche Echo-Preisverleihung an die beiden notorischen Gewaltverherrlicher und Menschenverächter Kollegah und Farid Bang. Sehr zurecht. Aber leider etwas spät – und recht selektiv. Auslöser ist die Punchline «Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen» auf ihrem 2017 veröffentlichten Album «jung, brutal, gutaussehend 3». («Definiert» meint in der Muskelsprache des Kraftraums: ohne jedes Körperfett.) Eine geschmacklosere und zynischere Metapher ist in diesem KZ-Kontext schwer vorstellbar. Und klar, die Provokation ist kalkuliert und schafft Aufmerksamkeit. Die Gangster-Rapper sonnen sich auf allen Kanälen. Sollte man deshalb am besten darüber hinweggehen?

Man sollte nicht. Denn was die beiden Rüpel-Rapper seit Jahren in den Äther und in die Konzerthallen brüllen, trieft Zeile für Zeile nur so vor menschenverachtenden Ausfälligkeiten und exzessiven Gewaltandrohungen – gegen Frauen, gegen Homosexuelle, gegen Ausländer, Flüchtlinge, Behinderte. Es ist buchstäblich zum Kotzen. Beispiele gefällig?

Sexistische Sprechmüll-Kaskaden

«Kille die billige Tunte per Highkick» / «Dein Chick ist ’ne Broke-Ass-Bitch, denn ich fick› sie, bis ihr Steissbein bricht» / «Ich ficke deine Mum, die Vollblutschlampe und in Zukunft nimmt sie statt der Treppe die Fahrstuhlrampe» / «Nach einem Schlag denkst du, dich hätt ein Lkw überfahr’n. Als wärst du aufm Weihnachtsmarkt.» / «Die meisten Rapper sehen aus wie pädophile Schwule» / «Mit dem Sprengstoffgürtel auf das Splash-Gelände (Anm.: Musikfestival bei Chemnitz), in die Menschenmenge und kill sechzig Menschen.» / «Und die Bitches wollen heute Jungfrau bleiben – zwei Optionen: Arsch oder Mund auf, Kleines» / «der Boss…der deinen Hals durchschneidet, bis dein Kopf in deinen Rucksack plumpst» (Anm.: der Boss ist Kollegah) / «Wir richten Pädophile hin» / «Jetzt wird die Slut gebumst, sie schnappt nach Luft wie ein geisteskranker Hund» / «Diese Syrer vergewaltigen dein Mädel, Bitch» / «Bitch, ich fülle sein’n Kopf mit Blei per Kalash wie im Columbine-Massaker» / «Mache wieder mal ’nen Holocaust, komm› an mit dem Molotow» / «Ficke deiner Mutter die Klit weg».

Man könnte mit den gewalttätigen, sexistischen und homophoben Sprechmüll-Kaskaden Seiten um Seiten füllen. (Zahllose weitere Beispiele finden sich im Netz und z.B. auch in der 17-seitigen Stellungnahme der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, die sich mit dem Vorgängeralbum «jung, brutal, gutaussehend 2» von Kollegah und Farid Bang auseinandergesetzt und das Machwerk klar als jugendgefährdend indiziert hat. Es ist davon auszugehen, dass auch diese Indizierung von den beiden Gewalt-Rappern als weitere Auszeichnung betrachtet wird.

Wo bleibt der Widerstand?

Dass man auf antisemitische Drohungen und Verhöhnungen gerade im deutschsprachigen Raum besonders hellhörig reagiert, ist mehr als verständlich. Erstaunen aber kann einen, wie gleichmütig Medien und Öffentlichkeit die weit zahlreicheren massiven Verunglimpfungen und Vernichtungsphantasien gegenüber weiten Bevölkerungsteilen durch diese und andere Gewalthetzer über sich ergehen lassen. Ist Menschenwürde nicht unteilbar? Muss sie nicht überall, wo sie von Füssen, Händen und schamlosen Mäulern getreten wird, verteidigt werden? Wo blieb der Aufschrei in all den Jahren zuvor? In Anlehnung an das selbstkritische Diktum von Martin Niemöller (Theologe und KZ-Insasse 1937-1945 in Sachsenhausen und Dachau) müsste man vielleicht sagen: «Als sie auf die Frauen einschlugen, habe ich geschwiegen; denn ich war ja keine Frau. / Als sie gegen die Schwulen hetzten, habe ich geschwiegen; denn ich war ja nicht schwul. / Als sie Ausländer, Flüchtlinge, Behinderte niedermachten, habe ich geschwiegen; denn ich war ja weder Ausländer noch Flüchtling noch behindert. / Als sie auf mich einschlugen, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.»

Das mag jetzt etwas pathetisch klingen. Denn Kollegah und Farid Bang sind zwar anerkanntermassen hochgradig primitive Rüppel, die wegen Schlägereien und Körperverletzungen auch schon vor Gericht standen, aber sie trachten wohl niemandem vorsätzlich nach dem Leben. Ihr Gift wirkt langsamer und indirekter: Sie erzeugen mit ihrem Sprechmüll ein Klima, in dem Gewalt als Durchsetzungsmittel völlig legitim und – wenn man denn so will – für Empfängliche sogar cool und sexy wirken kann. Verbale Erniedrigung in vulgärster Ausprägung wird massenwirksam salonfähig. Körperliche Gewalt, kombiniert mit sexuellen Demütigungen bis hin zu Tötungen, wird testosterongeschwängert besungen. Das führt, wie viele Studien belegen, zu emotionaler Abstumpfung gegen Gewalt sowie zur Herabsetzung der Mitleidsfähigkeit. Ist das nur ein Problem des Jugendschutzes?

Zwei Tendenzen: Die Rap-Versteher und die selektiv Empörten

In der aktuellen Mediendebatte fallen zwei Tendenzen auf. Einerseits gibt es die Rap-Versteher, die uns erklären, dass solcher Battle-Rap als reine «Kunstform» zu sehen sei, in der die gekonnte Grenzüberschreitung eben als oberstes Prinzip gelte. Rollenprosa quasi, zu verstehen wie Literatur. Wer seinen Gegner besser beleidige, gewinne. Übertriebene Punchlines seien nur Stilmittel, die jeder Consumer als Spiel erkenne. Auch der Battle-Rap von Kollegah und Farid Bang sei «ein Stück moderner Strassenpoesie». – Da muss selbst Kollegah lachen. Angesprochen auf die Indizierung ihres Albums meinte er medienöffentlich: «Ich bin vorgeladen worden, sass vor einem zwölfköpfigen Gremium und habe versucht, denen das als Kunst zu verkaufen.» Der Mann hat zumindest ein bisschen Selbstironie.

Andrerseits fällt auf, dass sich jetzt aufgrund der antisemitischen Ausfälligkeiten auch Medien mit moralischen Ansprüchen zu Wort melden, die sich sonst über jegliche Political Correctness nur mokieren. Warum so selektiv? Sind Frauen, Schwule, Ausländer, Flüchtlinge, Behinderte nicht auch Menschen, die Schutz in ihrer Menschenwürde verdienen? Bereits seit 13 Jahren bietet Kollegah seine menschenverachtende Ware an, seit 11 Jahren oft in Koproduktion mit Farid Bang. Die einzige Entwicklung ist darin zu sehen, dass ihre Texte immer unflätiger werden. Dem Gestammel auch nur entfernt einen künstlerischen Anspruch zuzusprechen, ist schiere Vermessenheit. Es fehlt jede Brechung, die aufgebauten Gewalt-Images werden monomanisch durchgezogen. Die Bundesprüfstelle kommt zum Fazit: «Inhaltliche Aussagen, die in irgendeiner Form als tiefgründig, kritisch oder gehaltvoll angesehen werden könnten, sind nicht im Ansatz vorhanden. Eine künstlerisch-reflektierte Auseinandersetzung mit dem Leben im ‹Ghetto›, den Lebenswirklichkeiten junger Menschen und der Auseinandersetzung mit Perspektiven findet nicht im Geringsten statt.»

Grosser Rüpel-Rap-Erfolg – auch in der Schweiz

Dennoch (oder gar deswegen?) haben Kollegah und Farid Bang grossen Erfolg, gerade bei jungen Menschen. Ihr jüngstes Album wurde rund 200’000 mal verkauft und in der Startwoche 30 Millionen mal (!) gestreamt. In der NZZ erschien ein ironisierender Bericht von ihrem Konzert Anfang Jahr im Zürcher Konzertlokal X-Tra. Bereits im Dezember 2017 stand das jetzt preisgekrönte Werk auf dem ersten Platz der Schweizer Albumcharts. Am 5. Mai werden Kollegah und Farid Bang in Schaffhausen auftreten.
Die beiden Prügel-Rapper sind kein Einzelfall. Der Rapper Haftbefehl textete 2014: «Ticke Kokain an die Juden von der Börse» und «Du nennst mich Terrorist, ich nenn Dich Hurensohn, ich geb George Bush ’n Kopfschuss und verfluche das Judentum». Manchmal folgen dann später halbherzige Entschuldigungen. Xavier Naidoo, der Sänger der «Söhne Mannheims» und vielfacher Echo-Gewinner, besang 2015 die jüdische Bankiersfamilie Rothschild: «Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheisst auf euch Gockel. Der Schmock ist’n Fuchs und ihr seid nur Trottel». («Schmock» meint im Jiddischen einen unangenehmen Menschen aus der gehobenen Gesellschaft.) Gegen Schwule hetzte er: «Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?» In einem anderen Lied setzt er Pädophilie und Homosexualität gleich und malt sich aus, wie er mit einem Pädophilen umgehen würde: Weit über die Schmerzgrenze des Zuhörers hinaus phantasiert er, wie er ihm Arme und Beine abschneiden würde und was er mit dem restlichen Körper anzustellen wüsste.

Lieber Verschwörungstheorien als Evolutionstheorie

Gemeinsam ist Kollegah, Farid Bang und Xavier Naidoo ein Hang zu Verschwörungstheorien. So lobte Kollegah kürzlich 25’000 Euro aus für jeden Journalisten, der «objektiv» über Pizzagate berichte (die angebliche Verwicklung von Hillary Clinton in einen Pädophilenring). Xavier Naidoo hat mit dem Lied «Marionetten» quasi die Hymne für die «Reichsbürgerbewegung» geschrieben, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimer Staat negiert und sich auf das Fortbestehen des Deutschen Reichs beruft. Reichsbürger lehnen die Demokratie ab und leugnen oft auch den Holocaust.

Ja, im deutschen Rap tummeln sich einige eigenartige Gesellen. Kollegah outete sich z.B. auch als vehementer Gegner der Evolutionstheorie. Offiziell propagieren sie gerne mit grosser Geste «Gleichheit, Brüderlichkeit und Toleranz»; schaut man genauer hin, entpuppt sich das meiste als brutales Bashing von Minderheiten und ressentimentgeladene Spaltungslust. Es gibt auch Medien, die sich die Mühe machen, die langfristige Entwicklung des deutschen Raps, gerade auch in Bezug auf seine politischen Inkorrektheiten zu untersuchen. Auf der Website von «puls», dem Jugendprogramm des Bayerischen Rundfunks, ist aufgeführt, wie frauen- und behindertenfeindlich, wie homophob und rassistisch sich der Deutschrap äussert, wenn man sich über 16 Jahre hinweg auf die jeweils fünf erfolgreichsten Alben fokussiert. Kurzfazit: Am stärksten ist der Frauenhass, gefolgt von Behinderten- und Schwulenhass. Am wenigstens ausgeprägt scheint offener Rassismus zu sein.

Ist das nun ein gutes Ergebnis? Natürlich nicht. Menschenwürde ist unteilbar. Man kann Infamie und Niedertracht, Demütigung und Zynismus – gegen wen auch immer – leider nicht verbieten. Aber man muss ihm keine Konzertbühne bieten. Und man kann dagegen aufstehen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Alfred Schlienger, Theater- und Filmkritiker, u.a. für die NZZ; ehem. Prof. für Literatur, Philosophie und Medien an der Pädagogischen Hochschule; Mitbegründer der Bürgerplattform RettetBasel!; lebt in Basel.

  • Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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6 Meinungen

  • am 18.04.2018 um 11:49 Uhr
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    Es ist offensichtlich so, dass diese Art von brutaldoofen Provokationen die nötige Aufmerksamkeit generiert und wer verzichtet heute schon darauf aus Scheisse Geld zu machen? Ich denke da nicht nur an die beiden Rapper sondern an alle, die da mitverdienen und ihre Hände in Unschuld waschen.

  • am 18.04.2018 um 16:16 Uhr
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    Gibt es überprüfbare empirische Belege dass das was da die Rapper zusammenrappen reale Auswirkungen hat? Ansonsten: Don’t feed the Troll

    Bei der Gelegenheit: Warum steht «Ihre Meinung» über dem Kommentarfeld? LeserInnen könnten ja auch INFORMATIONEN beitragen? Gehts heute nur noch im irgendwelche Meinungen … ????

  • am 18.04.2018 um 17:07 Uhr
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    @ Ihren Kommentar ist nichts hinzu zufügen. Man erkennt , wie es mit unsere Jugend aussieht.Erschreckend! MfG Werner Kämtner

  • am 19.04.2018 um 13:33 Uhr
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    In Zeiten von Pegida und AfD müssen wir uns eigentlich nicht wundern, dass diese grauenhaften Texte mit so grosser Begeisterung mitgegrölt werden. In der Gruppe natürlich erst recht. Gegen Dummheit und Ignoranz ist eben nicht nur kein Kraut gewachsen, es gibt auch kein Gesetz dagegen. Gegen Rassismus gibt es aber mindestens ein Gesetz – damit kann gegen diese «Künstler» vorgegangen werden. Es ist nur zu befürchten, dass man ihnen damit eigentlich einen Gefallen tut. Und dass den Behörden dann auch noch selektives Vorgehen unterstellt wird .

  • am 19.04.2018 um 18:21 Uhr
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    Nun, wegen dieses KZ-Vergleichs gleich auf Antisemitismus zu schliessen ist meiner Ansicht nach etwas weit hergeholt. Keine Frage, der Vergleich ist geschmacklos und unakzeptabel. Die Echos sind Preise, die sich am Erfolg orientieren und offensichtlich sind die beiden Provokateure damit sehr erfolgreich. Ich frage mich eher, wie solches narzistisches, frauenverachtendes, gewaltverherrlichendes, plattes und humor- und ironieloses Gerappe ganze Massen anspricht. Die jetzige Empörung nach dem Echo finde ich eher heuchlerisch und Campino von den Hosen hat auch schon Textzeilen wie «Wir schiessen zwei, drei, vier, fünf Bullen um» (Lied Bonnie und Clyde)… aber die Moral ist sehr flexibel und hängt vom jeweiligen Standpunkt ab.
    In der WoZ von heute, hat es einen sehr lesenswerten Artikel zum Thema, Titel «Eine deutsche Tragödie – Echo-Verleihung». Habe mir erlaubt, sinngemäss daraus zu zitieren!

  • am 20.04.2018 um 20:47 Uhr
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    Warum erst jetzt?
    Die beiden geben ihren musikalischen Sondermüll schon einige Zeit von sich. Zuerst sagte man sich wohl: Am besten ignorieren. Don’t feed the Troll. Aber wenn sie dafür nun noch einen Musikpreis der Deutschen Phono-Akademie erhalten, wird es mit dem Ignorieren schwieriger.

    @Philipp Käppeli: Wenn Preisverleiher argumentieren, diese zwei Typen seien halt erfolgreich, also müssten sie auch noch den Preis kriegen, dann ist das eine intellektuelle Bankrotterklärung erster Klasse.

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