Sprachlupe: Hütet euch vor falschen Freunden – oder umarmt sie!

Daniel Goldstein /  Eine ultimative Forderung ohne Ultimatum – geht das? Heute schon: Wen will man unter Druck setzen, wenn man ewiges Leben heischt?

Die Kontrolle des Bauernhofs ist nötig, um die Viehseuche unter Kontrolle zu halten. Weil es die ultimative Epidemie ist, muss der Offizielle den Zutritt ultimativ fordern. Dieses offizielle Vorgehen ist definitiv berechtigt, weil sonst der Betrieb routiniert und definitiv geschlossen werden muss. Nur wer ein routinierter Modellbauer ist, darf einen richtigen Hof führen; sonst muss er mit einem Modell spielen. Das hasst er wohl, aber andernfalls hasst man ihn. Sein Charakter wird der Grund für sein Verhalten sein, aber als Charakter im Film hätte er gute Chancen.

Wer bis hierher gelesen hat, ist dem Ausflug in die Landwirtschaft wohl einigermassen gefolgt, hat aber hoffentlich beim einen oder anderen Wort gestutzt. Denn die Wörter, um die es hier geht, kommen jeweils doppelt vor; einmal in ihrer angestammten Bedeutung, einmal in einer neueren – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Die Zweitbedeutung verdankt das Wort jeweils einem englischen Pendant, das als «falscher Freund» ins Deutsche gelangt ist – als ähnlich klingendes, aber (noch) nicht gleichbedeutendes Wort.

Alles unter Kontrolle

Ob man unter «Kontrolle» Überprüfung oder aber Beherrschung verstehen soll, ergibt sich aus dem Zusammenhang fast immer problemlos. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (dwds.de) schreibt zur Herkunft von «kontrollieren»: «Die Bedeutung ‹beherrschen, entscheidenden (wirtschaftlichen) Einfluss ausüben› entsteht (20. Jh.) unter dem Einfluss von (ebenfalls aus dem Frz. entlehntem) engl. to control.» Diese Zweitbedeutung ist übrigens auch ins Französische zurückgewandert. Solche zusätzlichen «Lehnbedeutungen» erwähnt der Duden 9 (Zweifelsfälle) auch für realisieren (wahrnehmen), dekorieren (militärisch auszeichnen), feuern (entlassen), vital (lebenswichtig).

Liest man heute «ultimativ», so denkt man wohl nicht mehr in erster Linie an ein Ultimatum, also an eine mit Frist und Drohung versehene Forderung, sondern man versteht es so, wie es laut Duden und DWDS die Werbesprache will: «sich nicht mehr verbessern lassend, das höchste Stadium einer Entwicklung darstellend» – somit das Nonplusultra. Dahinter ist unschwer das englische «ultimate» zu erkennen, und eigentlich böte sich im Deutschen das Adjektiv «ultimat» an. Es ist mir einmal in einem älteren Text genau in diesem Sinn begegnet; heute findet man es nur mehr in der Biologie: Dort sind grundlegende, evolutionsbedingte Ursachen eines Verhaltens «ultimat».

Mit Falschheit leben

Die genannten Beispiele zeigen, dass bei den Wörtern die «Falschheit» eines Freunds seinem dauerhaften Gastrecht nicht unbedingt entgegensteht und die ursprüngliche (bzw. früher ins Deutsche eingewanderte) Bedeutung zuweilen sogar ins Hintertreffen gerät. Bei «definitiv» hat es die Bedeutung «ganz bestimmt» (definitely) noch nicht in die Wörterbücher geschafft, sie ist aber schon recht verbreitet, wohl definitiv. Ähnliches gilt für die «Offiziellen», mit denen Amtspersonen (officials) gemeint sind.

Ebenso liest man heute ab und zu «routiniert», wo nicht «wohlgeübt» gemeint ist, sondern «routinemässig» (routinely). Ein Bauer, der routiniert (in jedem Sinn) das Richtige tut, ist ein Musterbauer, also ein vorbildlicher. «Modellbauer» ginge laut Duden.de «bildungssprachlich» auch. Diese im Englischen gebräuchliche Verwendung von model führt im Deutschen allerdings hier zur Verwechslung mit jemandem, der Modelle baut. So oder so hat dieser Mensch einen Charakter; er kann aber auch ein Charakter sein, nämlich eine Figur in Literatur oder Film. Auch hier hat wohl die bildungssprachliche Bedeutung englische Flügel bekommen. Sogar die laut DWDS «veraltende» Bedeutung «Schriftzeichen» scheint sich mit Hilfe des englischen Freundes halten zu können. Wer will da noch von einem falschen Freund reden? Offen darf ebenfalls bleiben, ob man auf Deutsch wirklich auch dann «hassen» kann, wenn man «verabscheuen» meint.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
— darin weitere falsche Freunde


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Redaktor der Zeitschrift «Sprachspiegel» und schreibt für die Zeitung «Der Bund» die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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2 Meinungen

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 22.09.2018 um 03:42 Uhr
    Permalink

    Abermals ein zuverlässiger Beitrag zur Sprachreflexion von Daniel Goldstein. Interessanterweise eröffnete lange nach Daniel mit etwelchem Erfolg der vergleichsweise brillante Feuilletonist Martin Ebel beim Tagi bzw. bei Newsnet eine ähnliche der Wortgebrauchsglossierung gewidmete Kolumne, in vielen Beispielen überzeugender als Kommentare mit herkömmlicher Meinungsabsonderung.

  • am 22.09.2018 um 12:55 Uhr
    Permalink

    Danke, Herr Goldstein! Wie kann man sich Qualitätskontrolle beim sprachlichen Ausdruck heute Vorstellen? Im Zeitalter der Globalisierung, wo uns Worte und ganze Texte als wirres Gemisch aus unterschiedlichen Sprachkulturen begegnen. Präzision der Aussage ohne Bedeutung, einerlei ob Fakt oder Fake. Der Computer zunehmend auch für Analphabeten bedienbar. Zeichensprache per Klick genügt.
    Sprachgenuss nicht mehr möglich, zu viele «Pestizide» in den Texten, genau wie in den Tafeltrauben wie der infosperber heute erneut offenlegt?

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