Sprachlupe: Wenn sich Sprachfreunde auf der Heubühne streiten

Daniel Goldstein /  «Dasselbe» bedeute nicht dasselbe wie «das gleiche», mahnen gestrenge Sprachwächter. Manchmal haben sie recht, aber nicht immer.

Ich habe das Heu nicht auf der gleichen Bühne wie Leute, die jetzt den Mahnfinger heben und korrigieren: Es heisse «nicht auf derselben Bühne». Die Mahner berufen sich auf die Unterscheidung, wonach mit «der-, die-, dasselbe» ein und dasselbe Ding gemeint sei, mit «der, die, das gleiche» aber nur ein gleichartiges, nicht mit dem ersten identisches. Schliesslich sei es ein grosser Unterschied, ob Hinz und Kunz im selben Bett schliefen und also buchstäblich unter einer Decke stecken könnten, oder ob sie sich nur fürs selbe Modell entschieden hätten, also für je ein gleiches Bett in getrennten Schlafzimmern.
In diesem Fall leuchtet mir die Unterscheidung ein – aber sie ist nur dann nötig, wenn die Aussage sonst nicht eindeutig ist. Ob sich aber Hinz und Kunz fürs gleiche Modell entschieden haben oder für dasselbe, bedeutet keinen Unterschied: Da wird ja schon gesagt, dass es ums Modell geht und nicht um eine gemeinsame Bettstatt. Auch der Duden-Band «Zweifelsfälle» unterscheidet bei «der gleiche / derselbe» zwischen der «Identität des einzelnen Lebewesens oder Dings» und jener «der Art oder Gattung», leitet aber daraus keine strikte Regel ab: «Im Allgemeinen ergibt sich aus dem Zusammenhang, welche Identität gemeint ist, sodass eine strenge Unterscheidung zwischen derselbe und der gleiche in diesen Fällen unnötig ist.» Nur wo Missverständnisse möglich sind, rät der Duden zu «derselbe» für «identisch» und zu «der gleiche» für «gleichartig» – etwa wenn es vor Gericht darum gehe, «ob ein Zeuge dasselbe oder nur das gleiche Auto gesehen hat.»

Uns ist es gleich

Findet die Gerichtsverhandlung auf Schweizerdeutsch statt, so muss dieser Unterschied ausdrücklich geklärt werden, denn das Auto ist in beiden Fällen «glich» (oder «glichlig», ohne Bedeutungsunterschied). Als ich einem legendären Wirt im Berner Oberland die leere Flasche reichte und «e glichi» bestellte, bekam ich zur Antwort: «Weit dr nid lieber e volli?» Spass beiseite, sind wir in dieser ländlichen Umgebung wieder beim Heu auf der Bühne: Der Vergleich zwischen Heu und Gesinnung oder Interessen ist nur dann sinnvoll, wenn (im übertragenen Sinn) wirklich dieselbe Heubühne gemeint ist, nicht etwa nur eine baugleiche. Weil aber kaum jemand Letzteres vermutet, kann man getrost «die gleiche Bühne» sagen und damit nahe am mundartlichen Ursprung der Redewendung bleiben.
Der Duden «Redewendungen» vermerkt «schweiz.» bei «sein / das Heu nicht auf derselben / der gleichen Bühne haben». Die gleiche Zuordnung findet sich im «Variantenwörterbuch des Deutschen»; in der ersten Auflage stand nur «der gleichen», in der zweiten ist «derselben» dazugekommen. Diese Wörterbücher orientieren sich am gedruckten Sprachgebrauch. In der Schweizer Pressedatenbank SMD finden sich mit «Heu» denn auch beide Formen, aber «der gleichen» überwiegt im Verhältnis 4:1. Fast 10:1 ist es bei den (Fach-)Zeitschriften auf E-Periodica.

Nur «auf der selben» geht nicht

Man könnte vermuten, wer ja keinen Fehler im Schriftdeutschen machen wolle und sich aus der Schule an die Unterscheidung erinnere, schreibe «derselben». Aber keine Angst: Die genannten Wörterbücher und auch der Duden «Schweizerhochdeutsch» vermitteln korrektes Deutsch und haben in diesem Fall «das Heu auf der gleichen Bühne»: Sie lassen «der gleichen» und «derselben» gelten.
Was aber nicht ginge, wäre «auf der selben Bühne». Zwar gibt es neben dem Adjektiv «gleich» auch – mit anderer Bedeutung – das Pronomen «dergleichen» –, aber es gibt nur das Pronomen «derselbe», hingegen kein Adjektiv «selb». Man sagt nur deshalb «im selben Moment», weil hier «derselbe» seinen eingebauten Artikel «der» an «in» abgetreten hat und aus «in dem» eben «im» geworden ist. Man könnte auch «in demselben Moment» sagen, das liefe aufs Gleiche hinaus – oder aufs selbe (kleingeschrieben, weil es immer noch ein Pronomen ist und nicht ein substantiviertes Adjektiv). Da haben die Mahner und ich das Heu wohl auf der gleichen Bühne.
— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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4 Meinungen

  • am 15.09.2019 um 05:45 Uhr
    Permalink

    ‹…welche Identität gemeint ist›
    Es gibt nur Identität, logisch ausgedrückt mit a ≡ a, oder Gleichheit a = b.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 15.09.2019 um 13:09 Uhr
    Permalink

    Wohlan denn, schlagen Sie dem Duden eine Korrektur vor: «wessen Identität gemeint ist» (die des Objekts oder die des Typus). Begriffen hatten Sie es wohl schon, nicht wahr?

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 15.09.2019 um 13:09 Uhr
    Permalink

    Wohlan denn, schlagen Sie dem Duden eine Korrektur vor: «wessen Identität gemeint ist» (die des Objekts oder die des Typus). Begriffen hatten Sie es wohl schon, nicht wahr?

  • Portrait_Gnther_Wassenaar
    am 15.09.2019 um 18:12 Uhr
    Permalink

    Zugegeben, über Sprache kann man stundenlang polemisieren – auch wissenschaftlich – aber es ist weit wichtiger zu erkennen, dass DIE SPRACHE ein entscheidendes Element des Klassenkampfes ist. Wer es nicht glauben will, sollte mal «1984» von Orwell lesen und auch wenn er ein knallharter Antikommunist war, können selbst Kommunisten aus dem Buch etwas lernen, wenn sie zu den Artikeln mit «Neusprech» kommen.

    Dabei haben wir das von Orwell angesprochen Neusprech schon lange in der Anwendung, denn kein NATO-Staat hat ein Kriegsministerium, obwohl die NATO seit fast 30 Jahren Krieg führt – bei denen sind das ALLES Friedensmissionen

    Dafür wurde das Wort Proletariat fast vernichtet – zumindest umgedeutet und wird als Schimpfwort angewendet. Ein Wort was verschwindet bedeutet aber dass man über dessen Inhalt nicht mehr denken kann.

    Wer sich nicht sicher ist, sollte mal über die Worte «Arbeitgeber» und «Arbeitnehmer» nachdenken, sollte den Inhalt von «Sozialpartnerschaft» analysieren oder sich überlegen, warum die Schweinereien der Politik neuerdings immer als REFORMEN bezeichnet wird.

    Der Iran wird mit Sanktionen belegt – obwohl es sich um knallharten Wirtschaftskrieg handelt – und selbst linke Kräfte schwafeln mit falschen Wörten mit.

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