Sprachlupe: Wer «völkisch» sagt, soll von (Neo-)Nazis reden

Daniel Goldstein /  Auch die Sprache war ein Machtinstrument der Nationalsozialisten. Was tun mit Wörtern, die davon zeugen? Ein Buch gibt guten Rat.

Das Wort «völkisch» sei rassistisch, hielt die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) fest, als die damalige Vorsitzende der Rechtspartei AfD, Frauke Petry, 2016 dafür sorgen wollte, «dass dieser Begriff wieder positiv besetzt ist», schliesslich sei er nichts anderes als das Adjektiv zu «Volk». Das war er einst, aber im 20. Jahrhundert ist er zum Inbegriff nationalsozialistischen Vokabulars geworden, wie es unter Hitler im «Völkischen Beobachter» grassierte – im Sinn der im 19. Jahrhundert entstandenen «Völkischen Bewegung, deren Ziel eine ethnisch und kulturell homogene Nation war» (GfdS).
Die «Sprache des Dritten Reichs» hatte Victor Klemperer schon 1947 seziert; ein halbes Jahrhundert später widmete Cornelia Schmitz-Berning dem «Vokabular des Nationalsozialismus» mehr als 700 Seiten. Nun legt der Dudenverlag ein handliches Kompendium vor: «Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis – und wo nicht». Der Journalist Matthias Heine («Die Welt») schildert den Gebrauch von rund 90 Wörtern – vor, unter und nach den Nazis. Er gibt zu jedem eine Empfehlung, wie heute damit umzugehen sei.

«Verharmlosender Missgriff»

Erstaunlicherweise fehlt ausgerechnet das jüngst kontroverse «völkisch» in der Liste. Heine verwendet es zuweilen selber, aber immer nur dann, wenn er «über den NS-Wortgebrauch und seine Wurzeln in der völkischen und antisemitischen Agitation» schreibt. Das Wort gehört für ihn offenbar zu jenen, die man im historischen Zusammenhang verwenden kann, sonst aber nicht. So schreibt er: «Angesichts der Geschehnisse in Auschwitz und in den anderen Lagern kann die Bezeichnung KZ oder Konzentrationslager für irgendeine andere Institution (…) immer nur ein verharmlosender sprachlicher Missgriff sein.»
Anderes wiederum ist für ihn tabu: «Wer Volksverräter sagt, könnte auch gleich mit erhobenem rechten Arm herummarschieren. Er muss damit rechnen, für einen Nazi gehalten zu werden.» Oder auch: «Das Wort Rasse sollte man nicht meiden, weil es NS-Deutsch ist, sondern weil es Quatsch ist» (wenn auf Menschen bezogen). Oft wägt der Autor ab: «Es gibt wohl so etwas wie ein Volksempfinden. Was darunter zu verstehen ist und erst recht, was gesund oder ungesund ist, sollte aber nach den Justizverbrechen, die im Namen dieses Begriffs begangen wurden, nie wieder ein Richter oder Politiker sich anmassen zu bestimmen.»

«Umvolkung unpassend»

Angesichts rechts aussen kursierender Verschwörungstheorien zur Migration mahnt Heine: «Umvolkung ist ein unpassendes Wort.» Hingegen findet er: «Als Beschreibung einer realen Furcht ist der Begriff Überfremdung trotz seiner NS-Historie durchaus zulässig. (…) Inwieweit ein Gefühl der Überfremdung in Deutschland real ist oder inwieweit die deutsche Sprache durch Anglizismen überfremdet ist, muss diskutiert werden dürfen – und dafür ist das Wort hilfreich. Die Grenzen zum Schüren von Angst werden dabei allerdings leicht überschritten.» Ich empfinde das Wort «Überfremdung» sogar dort als hetzerisch, wo es keine Assoziationen mit den Nazis hervorruft.

Dass auch «Kulturschaffende» eine Nazi-Prägung ist, wissen selbst in Deutschland kaum noch viele: «Der Ausdruck ist wohl nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Da es sich um eine relativ neutrale Bezeichnung handelt, ist das aber auch keine Katastrophe. Dennoch schadet es nichts, seinen NS-Ursprung zu kennen und abzuwägen, ob er überall angebracht ist.» In andern Fällen kann auch Anrüchiges «durchaus akzeptabel» sein: «Liquidieren wird heute nahezu ausschliesslich kritisch gebraucht», für Morde. Doch zieht der Autor willkommene Grenzen: «Untermensch wird heute wieder von Linken gebraucht – bezogen auf brüllende Nazis. Aber das Wort ist auch durch ironische Umwertung nicht zu retten.» Heines Buch, für ein deutsches Publikum geschrieben, kann auch in der Schweiz helfen, weder wie die Nazis zu reden noch andere leichtfertig in deren Nähe zu rücken.

— Zum Infosperber-Dossier «Sprachlupe»
— darin: «Schimpfwörter aus dem Geschichtsbuch»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war Redaktor beim «Sprachspiegel» und zuvor beim Berner «Bund». Dort schreibt er die Kolumne «Sprachlupe», die auch auf Infosperber zu lesen ist. Er betreibt die Website Sprachlust.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

Portrait_Daniel_Goldstein_2016

Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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4 Meinungen

  • am 28.09.2019 um 03:45 Uhr
    Permalink

    Die Beiträge Daniel Goldsteins, soweit ich sie kenne, finde ich alle gut. Wer sich für Sprache interessiert, dem kann in der Tat nicht entgehen, wie einige Wörter plötzlich Mode oder plötzlich geächtet werden.

    Alles, was mit Volk, Heimat, Trachten usw. zusammenhängt, haben die Nazis versaut. Wörter in der Umgebung bleiben vergiftet. Auch der Begriff Rasse gehört dazu. Ob er ‹Quatsch› ist, möchte ich dahingestellt sein lassen, versaut ist er sicher. Doch wie erklärt sich dann die aus dem Nichts entstandene Lawine des Wortes ‹rassistisch›? Jeder, der sich heute im Ton vergreift, läuft Gefahr, damit stigmatisiert zu werden. Ist das dann nicht zwangsläufig ebenfalls ‹Quatsch›?

  • am 28.09.2019 um 13:52 Uhr
    Permalink

    "Antisemitismus» anstelle von «Antijudaismus» kommt ebenfalls aus dieser Ecke

    Der bis heute gebräuchliche und irreführende Begriff «Antisemitismus» (wörtlich genommen «Semitengegnerschaft") wurde 1879 vom deutschen Wilhelm Marr im Zeitungsbericht «Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum» geprägt, in welchem er seine Judenfeindlichkeit rassistisch mit pseudowissenschaftlichen Rassentheorien zu begründen versuchte. Von ihm wurde auch die Antisemitenliga gegründet.

  • Portrait_Gnther_Wassenaar
    am 30.09.2019 um 10:24 Uhr
    Permalink

    Da steht die Überschrift: «Auch die Sprache war ein Machtinstrument der Nationalsozialisten.» und soll uns das sagen, heute sei die Sprache KEIN Instrument der Machtausübung? Gerade heute wird «Neusprech» wie es in «1984» beschrieben wurde immer deutlicher zur Unterdrückung jeglicher Kritik an der Politik der Mächtigen eingesetzt. Dazu gehört das Wort «Reform» ehemals positiv im Sinne einer guten Veränderung, dazu verwendet, die Knechtung der Menschen zu betreiben. Da wurde ein Wort der «SOZIALPARTNERSCHAFT» geboren – weil sich ja Partner nicht gegenseitig bekämpfen, um den Kampf der Arbeiter und Angestellten zu unterbinden – unter Beibehaltung, ja der maximalen Erhöhung der Ausbeutung dieser Klasse. Es wird versucht, Worte vollkommen zu beseitigen, weil man dann in diesem Detail nicht mehr denken kann. Das trifft z.B. für Proletariat zu – was, sollte es verkürzt verwendet wird, nur noch als Schimpfwort Verwendung findet. Es gibt keine KRIEGSMINISTER, sondern alle Kriege dienen der Verteidigung, selbst wenn diese am Hindukusch stattfindet. Aggressionen werden als Friedensmissionen getarnt und den Menschen schmackhaft gemacht – um nur die Spitze des Eisbergs zu benennen.

  • Portrait_Daniel_Goldstein_2016
    am 30.09.2019 um 11:22 Uhr
    Permalink

    "Soll uns das sagen, heute sei die Sprache KEIN Instrument der Machtausübung?» Nein. Wie kommen Sie darauf?

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