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Hass erzeugt auf der Gegenseite sogar oft eine Stärkung des Extremismus © NPD

Die Spirale des Hasses: Islamfeindlichkeit fördert Islamismus

Christian Müller /  Islamisten und Rechtsextreme sind nur scheinbar politische Gegner. Sie funktionieren ähnlich und fördern einander gegenseitig.

Extremismus stösst – wo auch immer – zu Recht auf Ablehnung. Wo die Ablehnung allerdings zu Hass wird, fördert sie weiteren Extremismus. Und damit auch neuen Hass. Jetzt wurde diese Spirale gesellschaftlicher Polarisierung wissenschaftlich untersucht, am Beispiel von Islamismus und Islamfeindlichkeit.

«Am 19. Dezember 2016 kam der dschihadistische Terrorismus endgültig in Deutschland an: Der Anschlag des islamistischen Attentäters Anis Amri kostete zwölf Menschen das Leben und verletzte weitere 55 Besucher des Weihnachtsmarkts am Berliner Breitscheidplatz, einige davon lebensgefährlich. Seit 1990 sind damit in Deutschland insgesamt 14 Todesopfer islamistischer Gewalt zu beklagen.»

Das schreibt Matthias Quent, Dozent am ‹Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft› in Jena, und fährt fort: «Im Schatten der Gedenkveranstaltung zum ersten Jahrestag der schrecklichen Gewalttat im Dezember 2017 instrumentalisierte die rechtsextreme Identitäre Bewegung das Gedenken für ihre Zwecke: Vor dem Brandenburger Tor luden die Rechtsextremen fünf Betonsteine von einem Lkw, die sie als ‹europäisches Denkmal für die Opfer von Multikulti und islamistischen Terrorismus› bezeichneten. Für diese geschmacklose und rassistische Inszenierung wurde u. a. das christliche Kreuzsymbol auf den Blöcken angebracht. Das Ziel dieser und ähnlicher Aktionen ist durchschaubar: Die Verantwortung für islamistische Anschläge ‹den Muslimen›und der gesamten Einwanderungsgesellschaft in die Schuhe zu schieben. Der liberalen Demokratie stellt die extreme Rechte ein Gesellschaftsmodell völkischer Homogenität als angebliche Alternative gegenüber. Damit lenkt die extreme Rechte ab von der grossen alltäglichen Gefahr, die von vorurteilsgeleiteter Gewalt ausgeht.»

Matthias Quent, im gleichen Text, an anderer Stelle: «Noch bevor alle Hintergründe des Anschlages am Berliner Breitscheidplatz bekannt waren, eskalierte der Hass im Internet. In einem Atemzug mit den ersten Meldungen über den schrecklichen Anschlag des Islamisten Anis Amri wurden auf Facebook und Twitter tausende islamfeindliche, rassistische, rechtspopulistische und rechtsextreme Kommentare, Bilder und Parolen gepostet. Soziale Netzwerke gewinnen für immer mehr Menschen an Bedeutung.»

Die Medien sind die Botschafter des Terrorismus

«Das Funktionsprinzip des Terrorismus ist, durch erschreckende Gewalttaten mit individuell austauschbaren Opfern (Über-)Reaktionen der Öffentlichkeit zu provozieren. Die Tötung und Verletzung von Menschen ist nicht das Ziel, sondern die Methode des Terrorismus. Seine Ziele sind, Angst und Schrecken zu verbreiten, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung (oder Teile dieser) zu beeinträchtigen und Reaktionen in Gesellschaft und Politik hervorzurufen, die den Zielen der Terroristen entsprechen.»

Und weiter Matthias Quent: «Medien sind die Botschafter des Terrorismus. Die Dezentralisierung, Unmittelbarkeit und Visualität von Kommunikationsprozessen im Zuge der Digitalisierung der Informationsweitergabe multipliziert die Wirkung – selbst Anschläge in fernen Regionen können auf dem eigenen Smartphone oder Tablet in hoher Authentizität und in Echtzeit rezipiert, erlebt und gedeutet werden. Das nutzen vor allem rechte Akteure, um mit eigenen Deutungsangeboten von den schrecklichen Gewalttaten und der davon verursachten Betroffenheit und Verunsicherung profitieren zu können: Sie inszenieren sich als radikalen Gegenpart zum islamistischen Terrorismus.»

Dschihadismus und die extreme Rechte: keine wirklichen Gegensätze

Matthias Quent: «Doch sind die extreme Rechte und der Dschihadismus wirklich zwei gegensätzliche Pole, wie sie der Öffentlichkeit durch ihre Propaganda glaubhaft machen wollen? Daran bestehen Zweifel. Ideologisch beispielsweise treffen sich Islamisten und Rechtsextreme im Antisemitismus und im Antipluralismus. Gewalttäter verbindet häufig die Aufladung von Gewaltaffinität mit religiösen oder politischen Ideologien, die ihnen Sündenböcke liefern und ihre Taten rechtfertigen – häufig, ohne dass dabei ein ideologisch oder theologisch verfestigtes Weltbild festzustellen ist.»

«Radikaler Islamismus und organisierte Muslimfeindlichkeit, die unter anderem in der Gestalt von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus auftritt, entfaltet eine symbiotische Wirkung. Die extreme Rechte wirkt dabei als nationaler Resonanzraum des internationalen Dschihadismus. Beide negieren und demontieren demokratische Grundwerte wie die Unantastbarkeit der Menschenwürde und die Religionsfreiheit. Mehr noch: Rassismus gegen Muslime bereitet den Boden für die Radikalisierung durch islamistische Fundamentalisten.»
(Kursivauszeichnungen durch Red.)

Muslimhass fördert Dschihadismus

Was der Wissenschafter Matthias Quent hier in Kürzestform erläutert, stammt aus dem Vorwort zu einer umfangreichen wissenschaftlichen Untersuchung dieser Spirale von Hass und Extremismus durch das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Das jetzt vorliegende Papier basiert auf der Analyse von Hunderttausenden von Facebook- und Twitter-Posts.

Eine wichtige – und für viele wohl neue – Erkenntnis der Untersuchung ist, dass sich die Islamisten und die Rechtsextremen in vielen Punkten sehr ähnlich sind und sehr ähnlich funktionieren. Beide deklarieren die eigene Gruppe als Opfer der Gesellschaft. Auch dazu ein paar Original-Zeilen aus der Untersuchung:

«Islamisten und Rechtsextreme agieren gleichzeitig aus einer Stärke- und Schwächeposition: Auf der einen Seite fühlen sie sich gegenüber anderen überlegen, auf der anderen Seite fühlen sie sich permanent zu Unrecht diskriminiert und bedroht. Das hat einen strategischen und zugleich wesenhaften Grund: Das Weltbild von Islamisten und Rechtsextremen fusst beiderseitig auf apokalyptischen Weltbildern, welche den Untergang der traditionellen Lebensform oder die Auslöschung der eigenen Gruppe implizieren. Sie kommunizieren ihr Handeln aus einer Verteidigungsposition heraus, die die Verwendung aller Mittel rechtfertigt. Somit nutzen beide eine vermeintliche Diskriminierung der eigenen Gruppe und die konstruierte Übermacht einer anderen, um wirksam in breitere Kreise hineinzuwirken.»

Eine informative Lektüre für die Extremismus-Experten

Informativ ist diese wissenschaftliche Untersuchung vor allem für jene, die sich beruflich mit Extremismus beschäftigen müssen: für Politikerinnen und Politiker, für Juristen, Polizisten und andere Sicherheits-Beauftragte, aber auch für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den Auffanglagern muslimischer Migranten. Wer Islamfeindlichkeit und Hass gegen die Muslime einfach als ‹logische Folge› des Dschihadismus versteht und damit halbwegs akzeptiert, verpasst eine Chance, die Spirale der gesellschaftlichen Polarisation frühzeitig zu stoppen.

Ein rund 70 Seiten umfassendes Dokument mit den Resultaten der Untersuchung kann unten eingesehen und/oder als pdf heruntergeladen werden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Zum Autor. Es gibt keine Interessenkollisionen.

Zum Infosperber-Dossier:

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Rechtsextreme in Europa

Arbeitslosigkeit, Immigration und zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich sind Nährboden für Extremismus.

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Eine Meinung zu

  • am 12.07.2018 um 11:16 Uhr
    Permalink

    Die Islamophopie ist nicht nur auf Rechtsextreme beschränkt, sondern weit verbreitet. Dabei wird der Islam mit dem Wahabismus gleichgesetzt.
    Erschreckend ist, wie wenig diese Leute über den Islam wissen. Dass man die Steinigung nicht im Koran sondern in der Bibel findet, dito Schleier, dass arabischsprachige Christen ebenfalls zu Allah beten (arab. Gott) usw., wird kurzerhand bestritten, da dies nicht dem Feindbild entspricht.

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