Kommentar

Bomben im Zug, Terror fürs Gemüt

Tobias Tscherrig © zvg

Tobias Tscherrig /  In Zeiten des internationalen Terrors scheint Wachsamkeit angebracht. Das führt auch zu skurrilen Situationen. Eine Glosse.

Ich sitze im Zug. Es ist herrlich: Die Sonne blinzelt durch das Fenster, ihre Strahlen wärmen die blasse Journalistenhaut. Idyllische Landschaften fliegen vorbei, als hätten sie es eilig, von Touristen bewundert zu werden. Das Smartphone bleibt in der Hosentasche, die Push-Nachrichten pushen umsonst: Keine Krisengebiete. Nichts über Unrechtsstaaten. Keine Meldungen von Bombardierungen, Vergewaltigungen, ethnischen Säuberungen. Keine Massaker, keine Korruption.

Es gibt nur mich und das gleichmässige Rattern des Zuges. Ich stöpsle die Kopfhörer ein, wähle ein passendes Frühlingslied und schliesse die Augen. Frieden, Entspannung. Ich strecke die Beine unter den Sitz und meine Nase der Sonne entgegen.

Mit mir im Abteil: Eine strickende, schmatzende und kichernde Gruppe von älteren Wanderern. Knallige Beinstrümpfe über Krampfadern, Knickerbocker, der dauernde Wettlauf um die Toilette. Mir soll es egal sein. Immerhin haben sie das Abteil reserviert, ich bin hier nur geduldet. Das sanfte Schaukeln des Wagens verbindet sich mit dem Frühlingslied, ich gähne und schlafe ein.

Grosse, ängstliche Augen starren mich an. Da ist etwas, ganz nah. Ein Gesicht drängt in mein Bewusstsein: graue Locken, Leberflecken, Brille. Jemand berührt mich an der Schulter. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und bin irritiert. Eine Seniorin hat sich vor mir aufgebaut, die Stricknadel im Anschlag. Ihre Stimme übertönt die Musik aus den Kopfhörern. «Ist das dein Rucksack?» Erwartungsvoll zeigt sie auf eine schwarze Tasche, die auf der Gepäckablage liegt. Ich schüttle den Kopf.

Meine heile Welt stürzt ein. «Er gehört nicht ihm», kreischt die Seniorin. Panik. Die Gruppe springt geschlossen aus ihren Sitzen. Wie junge Rehe, die vor einem Jäger flüchten. Schubsend und zeternd erreichen sie das Zwischenabteil. Dort wähnen sie sich in Sicherheit, ausserdem ist es ein guter Beobachtungsposten. Um nichts in der Welt würden sie ihn verlassen, Neugier ist stärker als Angst. Einige zücken ihre Smartphones, beginnen zu filmen.

Die drei mutigsten der Naturfreunde sind zurückgeblieben, sie diskutieren. Ich streife die Kopfhörer ab und beginne zu verstehen. Der Rucksack ist herrenlos, die Senioren haben alle im Abteil befragt. Jeden einzelnen, ich war der Letzte. Die Tasche gehört zu keinem Passagier, zu keiner Passagierin. Ihre Erklärung: Ein hinterlistiger Bombenleger hat ihn platziert, die Uhr tickt.

Ticktack.

Seniorin A: «Wir müssen etwas unternehmen, niemand soll heute hier sterben.»
Senior B: «Rufen wir die Polizei, verständigen wir den Zugbegleiter.»
Seniorin C: «Was? Das dauert zu lange. Wir werden alle sterben. Werfen wir den Rucksack aus dem Fenster.»
Senior B: «Und wenn dadurch die Bombe ausgelöst wird?»
Seniorin A: «Hast du noch nie einen Krimi gesehen? Heutzutage arbeiten Terroristen mit Sensoren.»
Seniorin C: «Wir müssen etwas unternehmen. Jetzt.»

Ticktack.

Ich kratze mich am Kopf. Sie beschliessen, den Rucksack aus dem Fenster zu werfen. Mit viel Kraft, Hauptsache weit weg. Auf eine Wiese oder in den Wald, auf keinen Fall in einem Tunnel oder bei einem besiedelten Gebiet. So weit, so klar.

Ticktack.

Seniorin C: «Dann los, wer macht es?»

Betretene Stille. «Ich habe Enkel», sagt Seniorin A. Allgemeine Erleichterung, die haben sie nämlich alle. «Der Hansi hat aber niemanden mehr», sagt jemand aus dem Hintergrund. Dreissig Augenpaare richten sich auf Hansi. Der arme Senior steht im Türrahmen und schwitzt. Er wollte doch nur wandern, die Schönheit der Natur geniessen. Was kann er dafür, dass seine Frau gestorben ist und er keine Kinder hat? Wahrscheinlich suchte er in der Gruppe Anschluss, er wollte wieder unter Menschen, nicht länger alleine sein. Das hat er nun davon.

Ticktack.

Hansi: «Nein, ich will nicht. Holen wir den Zugbegleiter.»
Senior B: «Dazu haben wir keine Zeit. Jemand muss das tun. Sei kein Feigling.»

Hilfesuchend blickt Hansi in die Runde. Er will nicht der Erste sein, will sich nicht in Gefahr bringen. Schliesslich seufzt er. Was soll er auch tun, er hat keine Chance. Gruppendynamik. «Gut, ich mache es.» Langsam steuert er auf den Rucksack zu. Im letzten Moment bremst er ab. Er schüttelt den Kopf, seufzt. «Nein, ich kann das nicht.» Hansi hängt an seinem Leben.

Ticktack.

Wir sind alle dem Tode geweiht. Unweigerlich.

Ticktack.

Stossgebete werden gen Himmel geschickt.

Ticktack.

Der Zug hält, die Türen öffnen sich. Wir sind da. Die Wandergruppe quetscht sich durch die Türe. Panisch, Rücksichtslos. Alle wollen gleichzeitig nach draussen, alle wollen leben. Dann sind sie weg, Stille im Abteil.

Eine junge Frau tritt durch die Türe des Zwischenabteils, die aufgebrachte Wandergruppe hatte ihr wohl den Weg versperrt. Sie schlendert zum Rucksack, wirft ihn lässig über die Schulter und verschwindet in der Menge.


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Eine Meinung zu

  • am 22.03.2018 um 20:07 Uhr
    Permalink

    Der Beitrag veranschaulicht bildlich, dass es den Mainstreammedien sehr gut gelungen ist, einer Mehrzahl von Menschen Angst vor (Terror-)Anschlägen einzujagen. Das hat System. Die MSM übernehmen die meisten Meldungen der grossen «vertrauensvollen» Agenturen wie Reuters, AP und AFP, welche nachweislich dem militärisch-industriellen Komplex gehören oder nahestehen, ohne deren Wahrheitsgehalt zu recherchieren.

    In seinem Buch «Psychologische Kriegsführung und gesellschaftliche Leugnung» von Elias Davidsson (Zambon/2017) kann man die Details dazu auf 534 Seiten erfahren. Hier daraus ein paar Zitate:

    Seite 197: «Auf meine schriftliche Anfrage beim Counter Terrorism Committee (CTC) des Sicherheitsrats der UN wurde mir erklärt, dass der Ausschuss keine Statistik über das Ausmass des internationalen Terrorismus besitzt! Der internationale Terrorismus gefährde zwar den Weltfrieden, behauptet der Sicherheitsrat, aber das könne er leider nicht belegen."
    Seite 198: «Die Gefahr von seinen Angehörigen ermordet zu werden, ist etwa 100-mal grösser als in einem Terroranschlag zu sterben. (Offizielle Statistik)."
    Seite 200: «Die Wahrscheinlichkeit eines Europäers, bei einem Terroranschlag zu sterben, ist demnach kleiner als 1:10.000.000."

    Davidsson macht auch deutlich, dass wesentlich mehr Leute wegen Schlangenbissen oder Blitzeinschlägen ums Leben kommen als durch Terroranschläge.

    Doch – wer nimmt sich schon die Mühe den Infosperber zu lesen, geschweige denn 534 Seiten Davidsson?

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