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Spielexperte Synes Ernst © cc

Der Spieler: «Arboretum» für Gärtner und Lateiner

Synes Ernst. Der Spieler /  Wir sind Landschaftsarchitekten und legen uns mit Karten eine schöne Anlage mit verschiedenen Bäumen und Wegen an. Aber mit System.

Urs Wäfler aus Dietlikon (ZH) macht sich Sorgen um die Bildung. Genauer gesagt, um einen gleichberechtigten Zugang zu den Attributen, die seiner Meinung nach einen gebildeten Menschen auszeichnen. Beim Zürcher Kantonsparlament hat er kürzlich eine Einzelinitiative eingereicht mit der Forderung, dass die Volksschulen Latein als Wahlfach anbieten müssen. Der Grund: «Latein gehört für mich klar zur Allgemeinbildung». In dieser Sprache hätten die Römer die Hochkultur der Griechen «übermittelt». Latein ermögliche den Zugang zur Antike und somit zur Philosophie, meint Wäfler weiter und schreibt dann: «Eine Person, welche über keine Kenntnisse in Latein verfügt, gehört für mich ganz klar zur ungebildeten Masse.» Den Vorstoss des Initianten wird man bei der Behandlung im Parlament als arrogant und elitär kritisieren, selbst wenn das Anliegen des Vorstosses die Gleichberechtigung ist. Diese ist für Wäfler nämlich erst gegeben, wenn auch den «Handwerkern» der Weg zur Bildung offen stehe, der wegen des Volksschulgesetzes heute den Akademikern vorbehalten sei.

Latein könnte abschrecken

So abstrus die Wäfler-Idee auch ist, ein Körnchen Wahrheit steckt trotzdem darin: Wer sich von einer Mehrheit verstanden wissen will, verwendet kaum lateinische Begriffe. Ein Markenname, mit dem man möglichst viele Leute ansprechen will, auf Latein – kaum vorstellbar. Der Name könnte ein falsches Signal aussenden, aufgepasst, etwas Gehobenes, nichts für einfache Leute. Vorurteile lassen sich nicht ausrotten.

Wer ein Spiel «Arboretum» nennt, geht das Risiko ein, dass das breite Publikum einen Bogen darum macht aus Angst, dass sich in der Verpackung ein anspruchsvolles Spiel verbergen könnte, ein Spiel für die Mehrbesseren. Latein ist ja, so das Vorurteil, nichts für das gewöhnliche Volk. Eine Ausnahme dürften vielleicht jene Zürcherinnen und Zürcher bilden, die sich unter dem Namen «Arboretum» etwas Konkretes vorstellen können, da es in ihrer Stadt einen wunderbaren Erholungspark am See gibt, der genau so heisst. Was verbindet ihr Park mit dem Kartenspiel? Neugier und Interesse sind geweckt, lateinischer Titel hin oder her.

Ein Besucher des Zürcher Parks hat im Internet auf den Punkt gebracht, worum es in einem «Arboretum» geht: «Der Name sagt es schon, viele alte Bäume.» Das gilt auch für das kleine Spiel «Arboretum». Abgebildet sind auf den insgesamt 80 Karten zehn Baum- oder Straucharten (zehn Farben). Neben den geläufigen Weiden, Ahorn, Magnolien, Oliven finden sich auch Hartriegel, Kassie, Flammenbaum und Jacarana. Ob Sie die alle kennen, tut nichts zur Sache, «Arboretum» ist kein Lern- oder Quiz-Spiel, bei dem Sie Ihr Wissen vor den Mitspielenden unter Beweis stellen müssen (was für viele Menschen ein Horror ist, weshalb sie diese Spielgattung richtig hassen).

Gärten mit Bäumen und Wegen

Keine Hemmungen also, «Arboretum» ist ein einfaches Ablegespiel. Der Ablauf ist rasch erlernt: Man hat immer sieben Karten auf der Hand. Wer an der Reihe ist, zieht zwei Karten und nimmt sie auf die Hand. Anschliessend legt er eine Karte aus seiner Hand in die eigene Ablage und eine zweite wirft er ab. Das dauert so lange, bis der Nachziehstapel aufgebraucht ist. Mit der Zeit sehen die Ablagen vor den einzelnen Mitspielenden wie Gärten mit Bäumen und Wegen aus. Logo, handelt es sich doch, um es korrekt auf Lateinisch zu sagen, um «Arboreta» (= Plural von «Arboretum»).

«Ist das schon alles?» höre ich den Einwand. Aber nein. Der Autor Dan Cassar hat die Schlussphase des Spiels mit einigen heimtückischen Elementen gespickt. Die Auswertung der schönsten Baumgärten ist deshalb alles andere als ein fröhliches Schaulaufen, sprich: Zusammenzählen von Punkten. Wer nämlich beim Ablegen seiner Baumkarten nicht schon die Regeln beachtet hat, welche die spätere Abrechnung bestimmen, muss möglicherweise mit Schrecken feststellen, dass seine Anlage praktisch wertlos ist. Wer je in einem Arboretum war, egal ob in Zürich oder im Fürst-Pückler-Park in Muskau an der Neisse, weiss, dass solche Anlagen nicht wild gewachsen sind. Jeder Baum und jeder Strauch ist von Garten- und Landschaftsarchitekten nach einem genauen Plan an seinen Platz gesetzt worden, sichtbarer Ausdruck auch der aufklärerischen Idee, dass der Mensch fähig ist, die natürliche Ordnung zu überwinden. Planung ist alles, auch hier im Kartenspiel.

Nach dem Rommé-Prinzip

«Arboretum», das übrigens durch seine sorgfältige Gestaltung und Ausstattung auffällt, baut auf dem klassischen Rommé-Prinzip auf, bei dem Karten nach einem bestimmten System abgelegt werden. Die Familie, die vermutlich mexikanischen Ursprungs ist, umfasst mehrere Dutzend verschiedene Varianten vom südamerikanischen Canasta über das amerikanische Rummy bis hin zum hierzulande bekannten deutschen Rommé oder der modernsten Version, dem Rummikub. Das Prinzip besticht durch seine Einfachheit. Das erklärt zum einen seine allgemeine Beliebtheit, zum andern auch, dass es gerne als Ausgangspunkt für Weiterentwicklungen verwendet wird, eben hier in «Arboretum».

«Arboretum» ist ein Beweis mehr, welches Potenzial und welche Vitalität in den klassischen alten Spielprinzipien immer noch steckt – eine unerschöpfliche Fundgrube für Autoren und Verlage.

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Arboretum: Taktisches Kartenablegespiel von Dan Cassar für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Abacus Spiele (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), ca. Fr. 17.–


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

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