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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Ratgeberrolle ungenügend erfüllt

Synes Ernst. Der Spieler /  Auf der Nominierungsliste zum «Spiel des Jahres» fehlt das grosse klassische Brettspiel. Die Nase vorn haben die Kleinen.

Kaum sind alle im Herbst 2018 und im Frühjahr 2019 präsentierten Neuheiten auf dem Markt, geschweige denn gespielt, sprechen Verlage und spielaffine Online-Medien bereits jetzt schon von Spielen, die ab Oktober für Aufsehen sorgen würden. The show must go on! Höchste Zeit also, innezuhalten und den aktuellen Jahrgang zu bilanzieren.

In diesem Sichtungs- und Einordnungsprozess spielt die Jury «Spiel des Jahres» eine zentrale Rolle. Mit ihren Entscheidungen will sie gemäss eigenem Selbstverständnis den Konsumentinnen und Konsumenten unter anderem auch eine Orientierungshilfe bieten.
Normalsterbliche Spielerinnen und Spieler müssten vor der Neuheitenflut kapitulieren, gäbe es da nicht eine Gruppe von unabhängigen Fachpersonen, die jedes Jahr das riesige Angebot an neuen Spielen sichten, jeden Titel x-mal spielen und sich dann nach einem langen und ausgeklügelten Verfahren auf jene rund zwei Dutzend Spiele einigen, die ihrer Meinung nach besonders geeignet sind, ab jetzt als Botschafter für gute Spiele in der Öffentlichkeit zu agieren. Das heisst, die Menschen zum Spielen zu verführen, ihnen zu zeigen, wie gut, schön und unterhaltsam die Beschäftigung mit Brett-, Karten- und Gesellschaftsspielen ist.

Mit grosser Spannung erwartet

Die Entscheide der Jury werden – verständlicherweise – mit grosser Spannung erwartet. So war es auch vergangene Woche, als die Nominierungs- und Empfehlungslisten 2019 publiziert wurden. Ich beschränke mich im folgenden auf die so genannten «roten» Listen, auf welcher jene Spiele aufgeführt sind, die sich für ein breites Publikum eignen (z.B. Familienspiele, Mehrgenerationenspiele). Daneben veröffentlicht die Jury «anthrazite» Listen mit Kennerspielen für Leute, die über eine gewisse Spielerfahrung verfügen und bereit sind, ein wenig mehr Zeit in das Studium der Spielanleitung zu investieren, und Freude an komplexeren Spielabläufen haben. Auf die «blauen» Listen setzt die Jury schliesslich ihre Nominierungen und Empfehlungen zum «Kinderspiel des Jahres».

Als Anwärter für die Auszeichnung «Spiel des Jahres» wurden die folgenden drei Titel nominiert:

  • «Just One» (von Ludovic Roudy und Bruno Sautter, Verlag Repos/Asmodée): Kooperatives Partyspiel um geheime Wörter und Begriffe, die ein Mitspieler erraten muss. Die Hinweise aus der Runde sollen ihm dabei auf die richtige Spur helfen. Die Jury dazu: «‹Just One› ist insbesondere durch seine Einfachheit genial. Es sticht dadurch hervor, dass es einen ungemeinen Sog entwickelt.»
  • «L.A.M.A.» (von Reiner Knizia, Verlag Amigo Spiele): Schnelles Kartenablegespiel, bei dem man Minuspunkte vermeiden muss. Nach Meinung der Jury hat der Autor «das Prinzip des Kartenablegens genial reduziert.» Und weiter: «Die Aufgabe, die hier auf den ersten Blick trivial erscheint, entfaltet dank der minimalen taktischen Note schnell eine Sogwirkung, der sich kaum jemand entziehen kann.»
  • «Werwörter» (von Ted Alspach, Verlag Ravensburger): Kooperatives Ratespiel um versteckte Wörter. Es baut auf dem bekannten «Die Werwölfe von Düsterwald auf». Beim Fragen braucht man sehr viel taktisches Gespür. Die Jury schreibt: «Phänomenal, wie viel Spielspass in fünf Minuten möglich sein kann.»

Auf die Empfehlungsliste zum «Spiel des Jahres» hat die Jury die folgenden sechs Spiele gesetzt:

  • «Belratti» (von Michael Loth, Verlag Mogel/Asmodée): Kooperatives Kartenspiel. Aufgabe für alle Mitspielenden ist es, eine Ausstellung mit Kunstwerken zu bestücken. Störfaktor ist dabei der Kunstfälscher Belratti.
  • «Dizzle» (von Rolf zur Linde, Verlag Schmidt): Würfel-/Schreibspiel. Das Notieren der gewürfelten Zahlen auf dem Wertungsblatt enthält ein riesiges Ärgerpotenzial.
  • «Imhotep – Das Duell» (von Phil Walker-Harding, Verlag Kosmos): Taktisches Zweipersonen-Spiel, bei dem es darum geht, den Gegner beim Tempel-, Obelisken-, Grabkammer- und Pyramidenbau zu übertrumpfen.
  • «Krasse Kacke» (von Jonathan Favre-Godal, Verlag Pegasus): Kartenablegespiel. Gefragt sind schnelles Reagieren, gute Merkfähigkeit und strapazierfähige Lachmuskeln.
  • «Reef» (von Emerson Matsuuchi, Verlag Next Move/Pegasus): Taktisches Legespiel. Ziel ist es, ein Korallenriff zu bauen, dessen Farben und Formen möglichst viel Punkte ergeben.
  • «Sherlock» (von Josep Izquierdo und Marti Lucas, Abacus-Verlag): Kooperative Krimi-Rätselspiele, bei denen man gemeinsam knobelt und kombiniert, um mehr oder weniger knifflige Fälle zu lösen.

Die Jury scheine dieses Jahr «in ziemlicher Partylaune» gewesen zu sein, schreibt der frühere Vorsitzende und mittlerweile aus dem Gremium ausgeschiedene Tom Felber auf «watson.ch» in seiner Analyse der beiden Listen. Gemeint ist damit, dass «überwiegend Partyspiele und kleinformatige Spiele mit sehr einfachen Regeln gelistet sind».

Das ist tatsächlich der Fall. Es fehlt das grosse, klassische Brettspiel, dessen Einstiegsniveau auf ein breites Publikum zugeschnitten ist und das mit einem attraktiven Thema dieses auch anzusprechen vermag. Ich vermisse Spiele in der Art von «Die Siedler», «Carcassonne», «Kingdom Builder» oder «Azul». Warum das so ist? Harald Schrapers, aktueller Jury-Vorsitzender, kommentiert die Entscheidung ganz knapp: «Da war bei den Neuerscheinungen nichts Herausragendes zu entdecken.» Deshalb seien nun halt «die kleinen Spiele, die unbeschwert unterhaltsame Erlebnisse bieten, die Stars des diesjährigen Spielejahrgangs».

Angebot ist zu einseitig

Ich gönne es allen Autoren und Verlagen, die es mit ihren Titeln auf die Nominierungs- und Empfehlungsliste zum «Spiel des Jahres» geschafft haben. Ich kenne zwar noch nicht alle, aber jene, die ich schon gespielt habe, kann ich nur weiterempfehlen. Doch selbst für mich als Liebhaber von kleinen Spielen mit hohem emotionalem Potenzial, die leicht zugänglich sind und gleichzeitig beste Unterhaltung bieten, weisen diese beiden Listen einen gravierenden Mangel auf: Das Angebot ist zu einseitig. Es nimmt keine Rücksicht auf die Tatsache, dass es unter den spielenden Menschen unterschiedliche Typen und Charaktere gibt. Während die einen eher ruhige Taktikspiele mögen, bevorzugen andere Spiele, bei denen die Kommunikation und der Austausch unter den Teilnehmenden im Vordergrund steht. Dann gibt es Spielgattungen, die polarisieren, wie Versteigerungsspiele («Kuhhandel»), rasante Ablegespiele («Ligretto», «Speed») oder Aktionsspiele («Activity»). Die einen mögen sie, die anderen lassen die Hände davon.
Auf die eben publizierte Nominierungs- und Empfehlungsliste heruntergebrochen heisst das: Wer nicht gerade auf kleine Spiele steht, bekommt heuer von der Jury «Spiel des Jahres» wenig bis gar keine Orientierungshilfe.

Das Experten-Gremium hat dieses Jahr seine Ratgeberfunktion nur ungenügend erfüllt. Eine vertane Chance, schade!


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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Der Spieler: Alle Beiträge

Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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