Kommentar

Wundersame Wissenschaft

Beat Gerber © bg

Beat Gerber /  Glyphosat darf weiter wuchern, bald sollen Ozeane blubbern, ein Tenniscrack wird Ehrendoktor. Forschung provoziert den Planeten.

Die Informationsflut schwemmt eine Unmenge von News aus Forschung und Universitäten an die Öffentlichkeit. Meistens sind es PR-Meldungen von Hochschulen und Pharmafirmen, die die Medien umgehend veröffentlichen – weder eingeordnet noch kommentiert, schon gar nicht hinterfragt oder ironisiert. Tröstlich dabei: Nachrichten aus dem akademischen Elfenbeinturm sind lediglich der letzte Stand des Irrtums. Ein paar Müsterchen aus der jüngsten Vergangenheit:
Unkraut verdirbt nicht. – Selbst beim Einsatz von Glyphosat trifft die Redewendung zu. Der populäre Pflanzenschutz-Wirkstoff von Monsanto wirkt offensichtlich zu wenig stark. Nur so lässt sich erklären, dass der Bundesrat den Grenzwert in Gewässern für den umstrittenen Unkrautvernichter um den Faktor 3’600 anheben will (TA 09.12.). Die Experten streiten sich seit langem darüber, ob das Breitband-Pestizid Krebs verursacht. Unzählige wissenschaftliche Studien und Gutachten kommen je nach Untersuchungsmethode zu unterschiedlichen Resultaten und ermöglichen einen beträchtlichen Interpretationsspielraum. So scheidet denn das eigentlich bestuntersuchte Ackergift die Geister von Naturschützern und Agrarchemielobby. Auch die EU-Kommission ging vor der Wirtschaft in die Knie und hat die Genehmigung der auf Glyphosat aufbauenden Pestizide für weitere fünf Jahre erneuert (NZZ 13.12.). Wissenschaft im Agrarsektor ist hochpolitisch, für den Laien hingegen völlig undurchsichtig. Die Öffentlichkeit hat keinen Zugriff auf die Wirkstoffbewertungen. So darf Glyphosat ungehindert weiter wuchern. Derzeit werden weltweit jährlich gegen 900’000 Tonnen verbraucht (Tendenz steigend), auf einem Gesamtterrain von über 40’000 Quadratkilometer. Das entspricht etwa der Fläche der Schweiz. (siehe dazu Infosperber: Pestizide theoretisch letzte Wahl, real überall)

Bald blubbernde Ozeane. – Das Nicht-Nachhaltige ist kaum zu bremsen: Die Waffenverkäufe sind militant gestiegen (11.12.), der globale Fleischkonsum nimmt deftig zu (NZZ 23.11.) und auch der Kohlendioxid-Ausstoss hat 2017 einen neuen Rekordwert erreicht (13.11.). Es wird immer mehr Kohle verbrannt, vor allem in China. Das war eine schlechte Nachricht für die UNO-Klimakonferenz in Bonn, die keine griffigen Resultate zustande brachte (06.11.–17.11). Das unverbindliche Klima-Palaver ging kürzlich in Paris weiter. Dort hat sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an einer eintägigen Gipfelkonferenz (ohne USA, China und Indien) als Retter des Planeten inszeniert (NZZ 13.12.). Der Klimaschutz stösst aber augenfällig an politische Grenzen, die unrealistischen Einsparziele sind mit den klassischen Massnahmen nimmer zu erreichen. Stets mehr Exponenten aus Wissenschaft und Wirtschaft fordern daher grosstechnische Verfahren, um den Klimawandel effizient eindämmen zu können. Im Vordergrund steht die sogenannte Kohlendioxid-Sequestration, also das Abscheiden des Treibhausgases bei der fossilen Verbrennung und die Lagerung danach in geeigneten Gesteinsspeichern, zum Beispiel im Meeresgrund. Das Problem dabei ist die Dichtigkeit solcher Lagerstätten. Wird aus den Ozeanen bald grossflächig Kohlensäure entweichen? Ein Megateich, der perlt wie Sekt?
Gescheitertes Lobbying. – «Die Wissenschaftler müssen aus ihrem Elfenbeinturm herauskommen und sich in die Politik einmischen», verkündet der frisch gebackene Schweizer Chemie-Nobelpreisträger Jacques Dubochet von der Uni Lausanne seit der Bekanntgabe seiner hohen Auszeichnung wiederholt in den Medien (ab 04.10.). Diesen Aufruf zum Lobbying nahm sich auch die ETH Zürich zu Herzen und lud an ihrem diesjährigen ETH-Tag Bundesrat Ueli Maurer als Festredner ein. An der besagten Feier vom 18. November brachte der SVP-Landesvater gemäss Medienmitteilung «seine Wertschätzung für die Bildung zum Ausdruck». Doch zwei Wochen später im Nationalrat sprach sich der eidgenössische Finanzminister gegen eine Aufstockung des Bundesbeitrags an den ETH-Bereich aus. Der Bundesrat sei der Meinung, dass die öffentlichen Finanzen an die ETHs für ein Jahr auch etwas spärlicher fliessen dürften (minus 70 Millionen, bei gesamthaft 2,28 Milliarden Franken). Das gäbe den Bundeshochschulen «mit ihren 18’000 Festangestellten die Gelegenheit, ihre Ausgaben zu prüfen und Effizienzsteigerungen ins Auge zu fassen» (NZZ 05.12.). Bumm, da liess doch der Maurer die gut gemeinte ETH-Public-Affairs-Aktion gegen (s)eine Wand laufen!
Coach Potato wegen Federer. – Am Dies Academicus der Uni Basel kam es zu heftigen Kundgebungen (Telebasel u.a. 14.11.). Die Studierenden protestierten draussen auf dem Münsterplatz gegen die steigenden Gebühren und die sinkende Qualität der schweizweit ältesten Universität (Gründung 1460). Unterdessen wurden drinnen in den universitären Hallen die Ehrendoktoren gekürt. Darunter auch Roger Federer, der sich wie üblich in einer Videobotschaft dafür bedankte. Der Tennisstar wurde wegen seiner wertvollen Verdienste als sportliches Vorbild ausgezeichnet, so die Laudatio. Er animiere viele Menschen weltweit zu mehr Bewegung und leiste damit einen wichtigen Beitrag zur Gesundheitsförderung. Eine wissenschaftlich wahrlich exzellente Leistung des siebenfachen Schweizer Sportlers des Jahres! Bei mir allerdings löst Federer den genau gegenteiligen Effekt aus. Während seiner Spiele sitze ich gefesselt auf der Couch vor dem Fernseher, je nach Rogers Tagesform mal länger oder kürzer. Von Bewegung keine Spur!
Verwirrende Gesichtserkennung. – Die Schafe auf der Weide im Berner Tierspital glotzen mich jedes Mal lange an, wenn ich vorbeimarschiere. Irritierend! Jetzt weiss ich auch warum: Britische Forscher haben herausgefunden, dass Schafe zu kognitiven Höchstleistungen fähig sind und bei der Gesichtserkennung mit Primaten buchstäblich auf Augenhöhe sind (NZZ 10.11.). Die Versuche wurden anhand von Vergleichen mit Fotos durchgeführt, als Belohnung beim richtigen Erkennen erhielten die Tiere Futterpellets. Vor allem erkennen die Schafe die Gesichter ihrer weissen, wolligen Artgenossen wieder, doch manche von ihnen auch das Antlitz von Menschen. Welch ein Alptraum von einer Herde Schafe identifiziert zu werden! Die Gesichtserkennung liegt technologisch voll im Trend. Damit identifiziert auch Apples neues iPhone X seine Nutzer, eine monumentale Meute von Menschen. Genauso wie in China, wo gegenwärtig 170 Millionen Überwachungskameras installiert sind, die jede Person innerhalb von sieben Minuten aufspüren können (20 Minuten 12.12.). In den nächsten Jahren sollen 400 Millionen weitere Kameras folgen, mit denen sich aufgrund gespeicherter Bürgerdaten die meisten Gesichter im Reich der Mitte erkennen lassen. Ob jedoch die dort eingesetzte Technologie mit Künstlicher Intelligenz auf gleiche Art funktioniert wie bei den Schafen neurologisch, ist ein chinesisches Industriegeheimnis, määäh!
Goldgräberstimmung. – Die ETH Zürich bangt um ihre weltweite Spitzenposition, zudem sieht die Hochschule ihre Rolle als «zentrale Impulsgeberin mit internationaler Ausstrahlung» für die Schweiz und deren Innovationskraft in Gefahr. Deshalb will die technische Universität in den kommenden Jahren 100 neue Professuren mit insgesamt 800 Vollzeitstellen schaffen (NZZaS 12.11.). Zwar soll gemäss Schulleitung der Ausbau durch eigene Reserven finanziert werden, doch interne Kritiker zweifeln daran. Weil von der öffentlichen Hand künftig nicht mehr Geld zu erwarten ist (siehe oben), wird das «ETH plus» genannte Projekt wohl mehrheitlich durch Externe bezahlt werden. Gesucht sind also Mäzene, Stiftungen und finanzstarke Unternehmen, die der ambitionierten Hochschule unter die Arme greifen. Die Ökonomisierung von Lehre und Forschung nimmt damit auch in Zürich ihren Lauf, wissenschaftsnahe Unternehmen können sich die Hände reiben. Bestqualifizierte akademische Fachkräfte werden künftig den Forschungsfragen von Privatfirmen auf den Grund gehen, mit den Resultaten lassen sich danach die Kassen füllen. Eine erste Ahnung davon liefert der illustre Bergbaukonzern Glencore, der im aktuellen ETH-Hochglanzmagazin GLOBE ein ganzseitiges Inserat (für günstige 7’500 Franken) geschaltet hat und die international ausgerichteten Studierenden (auf Englisch) fragt: «Möchtet Ihr mit leidenschaftlichen Führern (passionate leaders) auf ihren Spezialgebieten zusammenarbeiten?» Nun, wer will denn nicht in einer Goldmine schürfen?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der langjährige Wissenschaftsjournalist des «Tages-Anzeiger» war bis Februar 2014 Öffentlichkeitsreferent der ETH Zürich. Er publiziert heute auf seiner satirischen Webseite «dot on the i».

Zum Infosperber-Dossier:

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Beat Gerber: Tüpfelchen auf dem i

Die Welt ist Satire. Deshalb ein paar Pastillen für Geist und Gaumen.

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Beat_Gerber_200

Beat Gerber

Der langjährige TA-Wissenschaftsjournalist und ehemalige ETH-Öffentlichkeitsreferent publiziert auf www.dot-on-the-i.ch Texte und Karikaturen. Kürzlich erschien sein erster Wissenschaftspolitkrimi «Raclette chinoise» (Gmeiner-Verlag).