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Abwarten und Daumen drehen: Viele Praxis- und Spitalärzte sind nur noch halb ausgelastet. © tdl

Die Corona-Epidemie leert Spitäler und Arztpraxen

Hanspeter Guggenbühl /  Es scheint paradox: Die Corona-Epidemie respektive die Angst davor lässt die Umsätze in Spitälern und Arztpraxen einbrechen.

«Ich rechne etwa in eineinhalb Wochen mit dem grossen Ansturm auf die Spitäler.» Das sagte Natalie Rickli, Gesundheitsdirektorin des Kantons Zürich, an einer Medienkonferenz am 25. März. Damit bleiben heute noch drei Tage (bis zum 4. April), um zu verifizieren, ob und wie weit sich diese Prognose der Zürcher Regierungsrätin erfüllt. «Die Welle kommt», und «sie kommt bestimmt», bekräftigen auch andere Fachleute.

Patientenrückgang um 50 bis 70 Prozent

Diese Prognosen kontrastieren mit der aktuellen Realität. Das zeigen Befragungen von Infosperber und Radio SRF am 31. März: In Schweizer Arztpraxen und Spitälern sind die Patientenzahlen, Kapazitätsauslastungen und Umsätze regelrecht eingebrochen: «Im Moment habe ich noch 30 Prozent so viele Patienten wie in Normalzeiten», sagte ein allgemein praktizierender Arzt in Illnau-Effretikon gegenüber Infosperber und tröstete sich: «Dafür habe ich für die einzelnen Patienten jetzt mehr Zeit.» Am gleichen Tag registrierte ein Hausarzt in Männedorf gegenüber Radio SRF einen Patientenrückgang «um 50 bis 75 Prozent». In der gleichen Grössenordnung bewege sich auch sein Umsatzverlust, bestätigte ein von Infosperber befragter Chirurg mit Praxis im Zürcher Oberland. Seine Begründung: Nicht dringende Operationen werden zurzeit aufgeschoben, und «wenn wir nicht operieren können, fallen auch die Voruntersuchungen und Nachbehandlungen aus.»

Ähnlich verhält es sich in Krankenhäusern: «50 Prozent weniger Patienten kommen momentan auf unseren Notfall», schätzt ein Arzt, der schon vor Ausbruch der Corona-Epidemie auf der Notfallstation eines Aargauer Spitals arbeitete. Doch jene Patienten, die den Notfall heute noch aufsuchen, wiesen im Schnitt schwerere Verletzungen oder Krankheiten auf als früher.

Das betreffende Krankenhaus im Aargau ist keineswegs ein Einzelfall. Die Kapazitäten in vielen weiteren Spitälern in der Schweiz sind zurzeit nur zur Hälfte oder noch weniger ausgelastet. Ärztinnen und Krankenpfleger sitzen untätig herum und drehen Däumchen. Einige Kliniken oder Arztpraxen haben bereits vor einigen Tagen Kurzarbeit angemeldet; dazu gehören Kliniken der Hirslanden-Gruppe oder die Gruppe Swiss Medical Network, berichtet das Portal der Gesundheitsbranche «Medinside».

Das ist eine Momentaufnahme. Die Verhältnisse sind nicht in allen Spitälern und Abteilungen genau gleich. Intensivstationen sind zurzeit stärker ausgelastet als etwa Augenkliniken; dies vor allem im Tessin. Doch auch in diesem von der Epidemie am stärksten betroffenen Schweizer Kanton sind noch Plätze auf Intensivstationen frei. Zudem lassen sich drohende Engpässe beseitigen, indem Personal aus unterbeschäftigten Abteilungen in Intensivstationen verlagert wird, soweit die Ausbildung das zulässt.

Die Gründe für den Patientenrückgang

Der hier geschilderte Rückgang der Patientenzahl wirkt auf Anhieb paradox in einer Zeit, in der Behörden täglich über die Zunahme der Corona-Infizierten berichten, Ärztinnen und Krankenpfleger vor laufenden Kameras über Überlastung klagen und einige Medien bereits den Zusammenbruch des Gesundheitssystems an die Wand malen. Doch dieser scheinbare Widerspruch lässt sich zumindest teilweise auflösen. Befragte Personen und schriftliche Informationen liefern folgende drei Erklärungen:

  1. Bundesrätliche Notverordnung
    Neben anderen notrechtlichen Massnahmen beschloss der Bundesrat am 16. März die «Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (COVID-19)». Darin steht im Artikel über «Pflichten der Gesundheitseinrichtungen» unter Absatz 1: «Die Kantone können private Spitäler und Kliniken verpflichten, ihre Kapazitäten für die Aufnahme von Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen». Und in Absatz 2 verlangte die Landesregierung: «Gesundheitseinrichtungen wie Spitäler und Kliniken, Arztpraxen und Zahnarztpraxen müssen auf nicht dringend angezeigte medizinische Eingriffe und Therapien verzichten.» Damit will der Bundesrat Raum und Kapazitäten vorsorglich schaffen oder freihalten, falls die angekündigte «Welle» von schweren COVID-19-Patienten anrollt. Die Formulierung «nicht dringende» Eingriffe ist zwar dehnbar. So verzichten einige Fachärzte und Spitäler zurzeit konsequent auf Vorsorgeuntersuchungen sowie aufschiebbare Operationen und annullieren «bis auf weiteres» bereits früher vereinbarte Termine. Andere Ärztinnen und Ärzte überlassen den Entscheid über die Dringlichkeit eines Eingriffes oder die Notwendigkeit eines Arztbesuches ihren Kunden.
  2. Angst vor Ansteckung
    Viele Leute verzichten zurzeit freiwillig auf einen Arztbesuch, vermuten befragte Ärzte, sei es aus Rücksicht auf die – vermeintliche – Überlastung der Gesundheitseinrichtungen, sei es aus Angst, von der Corona-Epidemie erfasst zu werden. Die Losung «Bleiben Sie daheim» halte auch viele Personen vor einem Gang zum Arzt oder zur Notfallstation ab.
  3. Weniger Verletzungen
    Die von der Regierung verordnete Schliessung von Läden, Restaurants sowie das Verbot von Veranstaltungen vermindern auch Krankheiten und Verletzungen. Das leuchtet ein, bevor dieser Befund statistisch erhärtet wird. Wer nur noch in der heimischen Umgebung spaziert, bricht sich seltener einen Knochen als Leute, die sich auf Skipisten tummeln oder Fussball spielen.

Ruhe vor dem Sturm oder …

Die Flaute in Arztpraxen und Spitälern ist zwiespältig. Einerseits bringt sie den Anbietern von Gesundheitsleistungen finanziellen Verlust. «Von den Covid-19-Patienten allein können wir nicht leben», konstatiert ein befragter Arzt lakonisch. Das gilt nicht nur für Arztpraxen. In den meisten Spitälern ist der Anteil an Covid-19-Patienten zurzeit kleiner als zwanzig Prozent gemessen an der Zahl der verfügbaren Betten. Andererseits, und das ist die positive Nachricht, senkt der momentane Patientenrückgang die horrenden Krankheitskosten.

Ungewiss ist, ob und wie lange dieser Zustand anhält. Der Ruhe können zwei Stürme folgen. Zuerst der angekündigte grosse Ansturm von Corona-Infizierten; ob diese Prognose eintrifft, werden wir schon bald erfahren. Zweitens und etwas später kann ein Nachholbedarf an Gesundheitsleistungen, die der Bundesrat mit seinem Notrecht vorsorglich aufgeschoben hat, die Unter- in eine Überbeschäftigung wandeln. Irgendwann werden wir verschobene Untersuchungen und Operationen nachholen müssen, erklären einige der Befragten.

… ist aufgeschoben auch aufgehoben?

Möglich ist aber auch eine andere Entwicklung: Die angekündigte «Welle» von Corona-Kranken kommt nicht oder fällt schwächer aus als prophezeit. Und ein Teil der «nicht dringenden» Untersuchungen und Operationen wird aufgehoben, weil die aufgeschobene Zeit selbst heilend wirkt. Schön wäre, wenn diese sanfte Landung einträte. Dann könnten wir Fehlprognosen für einmal fröhlich feiern.
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Trotz des heutigen Datums: Dieser Beitrag ist kein 1.-April-Scherz
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Infosperber-DOSSIER:
Coronavirus: Information statt Panik


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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7 Meinungen

  • am 1.04.2020 um 12:11 Uhr
    Permalink

    Hallo Herr Guggenbühl
    Danke für diesen tollen Artikel. Ich habe ihn in meine Whatsup-Gruppe «Menschen mit Visionen» gestellt.
    Wie können wir die Erkenntnisse und noch kommenden Erkenntnisse für Visionen und Utopien nutzen?

    Mit nachhaltigen Grüssen
    Urs Anton Löpfe

  • billo
    am 1.04.2020 um 14:26 Uhr
    Permalink

    Für mich trifft die 2. Erklärung zu, allerdings unter den erschwerten norditalienischen Bedingungen. In normalen Zeiten hätte ich mich längst im lokalen Spital untersuchen lassen, dies vermied ich jedoch bisher, weil ich das Gesundheitssystem und mich selber schonen will. Denn so, wie die Zeitung unserer nordöstlichsten Region täglich berichtet… Aber vielleicht müsste ja auch hier ein InfoSparviero hinter die Kulissen schauen; wer weiss, da sitzt das Personal gar herum und geniesst eine Auszeit vom sonst üblichen Stress…?

  • am 1.04.2020 um 14:35 Uhr
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    Die Panik um Corona welche auf falschen uneinheitlichen Zählmethoden beruht – es gibt sogar Spezialisten, die alles als Coronatote zählt, welche einfach positiv sind, egal ob sie an Diabets, Herzinfarkt, Altersschwäche oder sonst was gestorben sind. Dann werden sie wegen Seuchengefahr sofort kremiert, damit man die wahre Todesursache nicht rausfindet. Das ist unverantwortlich!
    Diese Panikmache – alle Journalisten und Politiker die von Killerviren gesprochen haben, gehören vor ein Kriegsgericht – ja Kriegsgericht!
    denn sie haben einen Illusions-Krieg, einen Handelskrieg angefangen!
    Die digitale Demenz greift um sich wie ein Fieber! Alle haben vergessen wieviele Tote bei der Pandemie Schweinegrippe, wieviel bei Vogel gestorben sind. Weniger als 3000 weltweit. Schwachsinn.
    Aber Inforsperber sollte doch mal aufdecken, wer von einer Pandemie-Warnung und einem Handelsskrieg profitiert – wenn nicht die Oligarche Finanzelite – wie Rockefeller Stiftung und Bill Gates Stiftung die immerhin das WHO sponsern. Schon mal da geforscht? Oder sich mal gefragt, warum es nur 2-3 im babylonischen Lohnknechtschaftstehende Wissenschaftler das Mantra von der Corona-Kurve verzapfen? Mal das überlegt?
    Mal Zusammenhang – Corona-Krise und Finanzcrash hergestellt? Die Krise kommt doch ganz gelegen, um den Finanzcrash auf Corona und nicht die Finanzorgien der sog. systemrelevanten Banken zurück zu führen. Willkommen in Phantasienland, lasst Euch nur weiter von Angst und Panik lähmen statt denken.

  • am 1.04.2020 um 18:40 Uhr
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    Ich wette, die angekündigte Welle kommt viiiel schwächer als angekündigt. Wer hält dagegen?

  • am 2.04.2020 um 13:52 Uhr
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    Im Ansatz etwas positives der sogenannten Pandemie abgewinnen, könnte noch etwas ausgebaut werden. Wenn alle Leute die betroffen sind von der wirtschaftlichen Misere, welche aus der Pandemie-Regelung resultiert, dann könnte zB endlich der Wirtschafts-Lobby die Stirn geboten werden, dass sie immer noch sagen: die Banken müssten dem Staat das Geld geben, damit er es den Bürgern verteilt – sie stützt vor ihrem Konkurs. Das Geld wird von den privaten Banken aus NICHTS digital direkt aus dem Computer erzeugt – nur aufgrund der Nachfrage. Warum soll es diesmal nicht die SNB sein welche dieses Geld zur Verfügung stellt. dann müssten wir es nämlich nicht über Steuern oder Krisen-Rückerstattung zurückzahlen. Da die Regierung die Krise eingeläutet hat, muss sie auch dafür gerade stehen und zwar für uns gratis. Es gibt überigens noch den STGB-Art. 258: Absatz 1: Schreckung der Bevölkerung:
    .. Wer die Bevölkerung durch Androhen oder Vorspiegeln einer Gefahr für Leib, Leben oder Eigentum in Schrecken versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

  • am 2.04.2020 um 14:37 Uhr
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    Die Dynamik einer Infektionskrankheit (Fälle vs. Zeit) ist, allgemein betrachtet, schon seit fast 100 Jahren berechenbar. Was man dazu braucht sind die Parameterwerte des Rechenmodells. Diese sind für COVID-19 im Basisfall (dh, man unternimmt nichts) mittlerweile bekannt. Wie die Geschichte in der Schweiz weitergehen wird, hängt davon ab, um wieviel die Ansteckungsrate aufgrund der bisherigen Massnahmen reduziert werden kann – das wird man relativ bald wissen nachdem ja bereits zwei Wochen seit ihrer Einführung vergangen sind.
    Eine gute und verständliche Übersicht in deutscher Sprache gibt https://perspective-daily.de/article/1181/2hWA1mB8. Dort wird auch erklärt, warum die ostasiatischen Länder (China, Südkorea, Singapur, Taiwan) soviel erfolgreicher waren als bisher der Rest der Welt.

  • am 3.04.2020 um 11:38 Uhr
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    an Herrn Dörfler, der vorgeschlagene Text ist viel zu lang und verlangt viel Hirnakrobatik. Sagen sie es doch in wenigen Worten, weshalb die ostasiatischen Länder erfolgreicher waren. Die Länge des Textes selber überzeugt mich nicht – sorry.

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