Hassen_Chalghoumi

Predigt und demonstriert gegen den islamistischen Terror: der französische Imam Hassen Chalghoumi © gk/LP

Hassen Chalghoumi: Warum kennen wir ihn nicht?

Christian Müller /  Die Berichterstattung der Medien über den Islam ist ungenügend und einseitig. Es gibt auch Imame, die Publizität verdient hätten.

Eigentlich müssten wir alle ihn kennen: Hassen Chalghoumi. Wir alle wissen um die Terroranschläge der Islamisten, wir alle verurteilen Gewalt und sinnloses Morden, wir alle wünschten uns ein friedliches Zusammenleben, unabhängig von Ethnie und Religion. Und viele von uns sind, vielleicht zu Recht, ein wenig enttäuscht, dass nicht mehr Muslime hier in Europa sich von Terror und Gewalt öffentlich distanzieren.

Hassen Chalghoumi: Er ist der französische Imam, der an der Moschee von Drancy wirkt. In Drancy, zehn Kilometer nordöstlich von Paris, war von 1941 bis 1944 ein Sammellager der Nazis für französische Juden und Roma; um die 65’000 von ihnen sind von dort in die Vernichtungslager von Auschwitz und Birkenau abtransportiert worden. Ist Hassen Chalghoumi, der Imam von Drancy, so ein Hassprediger, den wir alle zum Teufel wünschen? Ist er gar verwickelt in Terroranschläge? Oder warum sollten wir ihn denn kennen?

Im Gegenteil, und gerade deshalb: Hassen Chalghoumi ist der wohl bekannteste französische Imam. Bekanntgeworden ist der 1972 in Tunesien geborene muslimische Geistliche, weil er sich öffentlich für ein Verbot der Burka ausgesprochen hat – im Sinne der Gleichberechtigung der Frauen! Und jetzt predigt er öffentlich gegen den islamistischen Terror – und demonstriert, öffentlich, zusammen mit anderen muslimischen Geistlichen, in vielen europäischen Städten. Das müssten wir doch eigentlich wissen!

Woher sollen wir das wissen?

Am 8. Juli 2017 meldete die Schweizer Nachrichtenagentur SDA:
«Imame setzen mit Bustour Zeichen gegen Terrorismus. – Eine Gruppe Imame will mit einer Bustour durch Europa ein Zeichen gegen den Terrorismus setzen. Der Bus mit der Aufschrift ‹Marsch der Muslime gegen den Terrorismus› hielt zum Auftakt am Samstag auf dem Pariser Prachtboulevard Champs-Élysées. Die Imame beteten an dem Ort, wo im April ein Polizist bei einem Anschlag ermordet worden war.

Am Sonntag machen die rund 60 Teilnehmer aus mehreren Ländern am Berliner Breitscheidplatz Station, wo im Dezember beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche 12 Menschen starben. Danach fährt der Bus weitere Städte an, die in den vergangenen Jahren von Anschlägen betroffen waren – darunter Brüssel, Toulouse und Nizza. Die Bustour endet am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, wieder in Paris.

Der Imam Houcine Drouiche aus Nîmes sagte, es gehe um eine ‹Botschaft der menschlichen Brüderlichkeit gegen den Terrorismus›. – Muslime müssten sich nicht für islamistischen Terrorismus rechtfertigen, sagte Hassen Chalghoumi, Imam im Pariser Vorort Drancy, dem Sender France Inter. Dieser nehme den Islam zur Geisel. Aber: ‹Es ist wichtig, dass die Muslime sich ausdrücken können, um zu sagen, dass meine Religion nichts mit diesen Barbaren zu tun hat.›

Chalghoumi hat die Aktion gemeinsam mit dem jüdischen Schriftsteller Marek Halter initiiert. Die grossen muslimischen Dachverbände in Frankreich sind nicht an der Aktion beteiligt.»

Einen Tag später, am 9. Juli, doppelte die SDA nach und ergänzte aktuell: «‹Wenn unsere Religion vom IS als Geisel genommen wird, müssen wir reagieren›, sagte der Pariser Imam Hassen Chalghoumi über die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Er engagiert sich seit Jahren für ein friedliches Miteinander der Religionen, insbesondere im Verhältnis zum Judentum. Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge nannte die Aktion ein ‹Zeichen des Friedens› und eine Botschaft, dass der Weg der Religion friedlich und segensreich sei. ‹Gewalt, Hass und Terror dagegen sind Verrat am Glauben und Verrat an Gott. Denn Gott ist ein Gott des Friedens!›, sagte er.»

Und das Echo in den Schweizer Medien?

Alle grossen und grösseren Schweizer Zeitungen haben die Schweizer Nachrichtenagentur SDA abonniert und das Recht, von deren Nachrichten so viel abzudrucken, wie sie wollen, ohne zusätzliche Kosten. Was haben sie nun in diesem konkreten Fall mit der doppelten SDA-Meldung getan?

Die Zentralschweiz am Sonntag und die Ostschweiz am Sonntag, die weitestgehend identische Seiten publizieren, übernahmen die SDA-Meldung praktisch unverändert und platzierten sie, immerhin, oben an der Seite Schauplatz. Auch Blick online brachte sie, leicht modifiziert und ergänzt. Chapeau! Und natürlich auch auf SRF erschien einiges.

Ende der Durchsage. In der NZZ, im Zürcher TagesAnzeiger, im Bund, in der Berner Zeitung, in der Basler Zeitung, in der Aargauer Zeitung, in der Schweiz am Wochenende, wohin man auch sehen wollte: Nichts! Keine Zeile. (Soweit zumindest das Resultat einer Recherche im Schweizer Medienarchiv smd.)

Medien-Marketing: man liefert, was gelesen werden will

Zur Beurteilung einer Medienlandschaft gehört nicht nur, zu beobachten, was publiziert wird. Zur Beurteilung einer Medienlandschaft gehört auch, zu beobachten, was nicht publiziert wird. Und natürlich wird immer berichtet, wenn etwas passiert, was die Leserinnen und Leser lesen wollen: Ein Muslim zückte das Messer … Ein Muslim aber, ein berühmter Imam sogar, der nicht das Messer zückt, der nicht bewaffnet ist, sondern der öffentlich gegen den islamistischen Terror demonstriert: Wen interessiert das schon?

Sind wir Schweizerinnen und Schweizer wirklich so einfältig, dass wir nur noch für jene Publikationen zahlen, die bereit sind, unsere Vorurteile zu bestätigen? News, die zeigen, dass es auch die andere Seite gibt, aber gar nicht zur Kenntnis nehmen wollen?

Ob die grossen Schweizer Printmedien ihre Leserinnen und Leser nicht doch etwas unterschätzen?


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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Eine Meinung zu

  • am 9.08.2017 um 10:58 Uhr
    Permalink

    Vermutlich kennen wir Herrn Chalghoumi nicht, weil seine Meinung unter Imamen nicht unbedingt, einer Mehrheitsmeinung entspricht?

    Anders lässt sich das Schweigen vieler Imame gegenüber dem Terror, nicht erklähren.

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