Kommentar

kontertext: «Das ist das Wunderbare an der Demokratie»

Martina Süess ©

Martina Süess /  Wie sich rechtspopulistische Rhetorik vom Faschismus unterscheidet.

Die NZZ sieht den Faschismus als Gefahr. Nicht die faschistische Ideologie, nein: Das Reden über den Faschismus betrachtet sie als die eigentliche Bedrohung. Denn die Warnungen vor dem Faschismus würden manchen Medien dazu dienen, «Andersdenkende zu pathologisieren», heisst es in einem Artikel mit dem Titel «Achtung, Faschismus». (NZZ 14.12.2019) Als Beispiel für eine gefährliche Faschismus-Kritik verweist der Autor auf einen Text, der bereits im April 2017 erschienen ist («Tagesanzeiger» vom 16.4.2917), und der die grossen rechtspopulistischen Parteien auf «urfaschistische Sprachmuster» hin untersuchte.

Der Begriff «Urfaschismus» stammt vom italienischen Semiotiker und Schriftsteller Umberto Eco, der in den 90er Jahren eine Liste von 14 Elementen erstellte, die er als typische, überzeitliche Merkmale der faschistischen Ideologie betrachtete. Dazu gehören unter anderem ein extremer Nationalismus, eine «Blut und Boden»-Ideologie, die Aversion gegen Wissenschaft und gegen analytische Kritik insgesamt, die Angst vor Differenzen und Diversität sowie die Verachtung der parlamentarischen Demokratie. Die Analyse des Tagesanzeigers ergab, dass es in jeder der untersuchten Parteien Überschneidungen mit dem von Eco definierten Urfaschismus gibt.

In der NZZ zeigt man sich deswegen nun sehr besorgt. Den Faschismus-Verdacht hält man für extrem gefährlich. Denn es geht um nicht weniger als die Meinungsfreiheit und die Freiheit überhaupt. Wer Faschismus mit aktuellen Phänomenen in Verbindung bringe, träume gar von «Elektroschocks», «chirurgischen Eingriffen» und «Umerziehungslagern». Durch diese aufgeregte Gegenattacke bleibt eine wichtige Frage unbeantwortet, die der NZZ-Text eigentlich aufwirft: Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen rechtspopulistischer und faschistischer Rhetorik?

«Antithese zur Welt der Demokratie»: Faschismus 1926

Besonders interessant und aufschlussreich ist der völlig entgegengesetzte Einsatz des Begriffs «Demokratie». Der Faschismus richtete sich von Anfang an ganz unverhohlen gegen die liberale Demokratie. Sie war das Feindbild par Excellence, und der Begriff Demokratie wurde entsprechend negativ verwendet. «Wir stehen für ein neues Prinzip in der Welt, wir stehen für die reine, kategorische und definitive Antithese zur Welt der Demokratie» erklärte Mussolini in einer Rede von 1926.
Dass diese negative Konnotation des Demokratiebegriffs gut ankam, hatte mit dem politischen Klima zu tun, in dem der Faschismus entstand. Der Faschismus hat seine ideologischen Wurzeln im späten 19. Jahrhundert, und damit in einem Klima, in dem antidemokratische Haltungen en vogue waren. Die radikale Linke, aber auch die Monarchisten und selbst einige gemässigte liberale und konservative Politiker lehnten die parlamentarische Demokratie ab oder waren zumindest skeptisch. Der Begriff war daher ganz anders besetzt, eine «Antithese zur Welt der Demokratie» war für viele ein attraktives Versprechen. Der historische Faschismus konnte sich deshalb auch offen als revolutionäre Kraft inszenieren: Er forderte die totale Revolution und folglich auch die Zerstörung der liberalen Demokratie.

Direkte Demokratie: Rechtspopulismus im 21. Jahrhundert
Heute hingegen gilt: Demokratie ist gut. Das haben auch die VertreterInnen extremer Positionen verstanden und nutzen es zu ihren Gunsten.
Sie verteidigen die Demokratie, wo sie nur können. In jeder Kritik, in jeder intellektuellen Auseinandersetzung, in jedem Gesetz, das auf Gleichberechtigung, Minderheitenschutz und Gewaltprävention abzielt, wittern sie einen Angriff auf die Demokratie.
Doch ist offensichtlich, dass der Demokratiebegriff der RechtspopulistInnen nicht mit der liberalen, pluralistischen Gesellschaft vereinbar ist. Im Namen der Demokratie greifen rechtspopulistische Forderungen die demokratischen Institutionen, Prozesse und Werte an, die den demokratischen Rechtsstaat ermöglichen. «Direkte Demokratie» heisst das Rezept, mit dem der Parlamentarismus ausgehebelt und die Menschenrechte abgeschafft werden sollen.

Harmlose Sprache als trojanisches Pferd
Die Neucodierung des Demokratiebegriffs ist ein grosses Problem: Denn sie macht es sehr schwierig, extreme – faschistische – Positionen von Absichten rechtskonservativer Positionen scharf zu trennen. Die Verschleierung von extremen Positionen ist eines der Erfolgsrezepte des Rechtspopulismus, und sie hat zur Folge, dass faschistische Tendenzen leicht übersehen werden. Laut der italienischen Schriftstellerin Michela Murgia funktioniert der Faschismus heute wie ein «trojanisches Pferd». Er wird im harmlosen Kostüm in die politische Arena und in die Mitte der Gesellschaft eingeschmuggelt, um dort um so effektiver zu wirken. In ihrer bissigen Satire «Faschist werden. Eine Anleitung» empfiehlt Murgia Faschistinnen und Faschisten daher folgende rhetorische Strategie:

    «Es wird genügen, empört zu rufen: ‹Ihr seid also keine echten Demokraten! In Wirklichkeit wollt ihr alle Andersdenkenden, die Gegenstimmen, den Pluralismus und die Meinungsfreiheit unterdrücken!› Und das Unglaubliche wird geschehen: Weil sie Rädchen in einem fehlerhaften System sind, werden die demokratischen Kräfte, denen man vorwirft, sich antidemokratisch zu verhalten, zu Kurzschlussreaktionen neigen, und am Ende könnten die Demokraten sogar auf den Gedanken verfallen, dass sie selbst die Faschisten sind, wenn sie euch nicht zu Wort kommen lassen. Das ist das Wunderbare an der Demokratie: Anders als der Faschismus kann sie stets gegen sich selbst verwendet werden.»

Verantwortung der Konservativen
Was schützt uns heute vor dem Faschismus? Wichtig wäre, dass man faschistische Positionen erkennt und ihnen auf keinen Fall die Deutungshoheit über den Demokratiebegriff überlässt. Eine besondere Verantwortung haben die rechtsbürgerlichen Parteien. Sie sind aufgefordert, ihren Wählerinnen und Wählern eine Alternative anzubieten, die sich von faschistischem Gedankengut distanziert. Denn der Blick in die Geschichte zeigt: Von ihnen hängt es ab, ob faschistische Ideologien normalisiert werden und als legitime politische Meinungen in die Mitte der Gesellschaft einziehen. Es ist deshalb mehr als bedauerlich, dass die NZZ, als ihr gewichtigstes Medium, keine Orientierung bietet.
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    Dr. Martina Süess ist Literaturwissenschaftlerin und Autorin des Buches «Führernatur und Fiktion. Charismatische Herrschaft als Phantasie einer Epoche». Sie arbeitet als Dozentin, Journalistin und Radiomacherin.

      Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Martina Süess, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Christoph Wegmann, Matthias Zehnder.

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    5 Meinungen

    • am 1.01.2020 um 07:17 Uhr
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      "Denn es geht um nicht weniger als die Meinungsfreiheit und die Freiheit überhaupt."
      Um welche Freiheit genau bemüht sich hier die NZZ? Um die Wahlfreiheit, welchen Typ Konsument man sein will? Wenn ich das Resultat von 75 Jahren Demokratie als dominantes System auf Erden betrachte, dann erscheint mir eine skeptische Haltung gegenüber der parlamentarischen Demokratie zumindest als angebracht. Gebaren doch alle parlamentarischen Demokratisch ein und das selbe Wirtschaftssystem, den Kapitalismus. Nun kann man sich fragen, ob wir überhaupt Demokratie haben, oder nur ein Wirtschaftssystem? Auf jeden Fall hat uns die parlamentarische Demokratie jene totale Gleichmacherei gebracht, welche man dem Kommunismus stets vorhielt und ihn damit erfolgreich bekämpft hat.
      Die parlamentarischen Demokratien brachten den Kapitalismus, der Kapitalismus frass die Freiheit und die Umwelt und hinterlässt uns als überforderte Zwangskonsumenten auf einer ausgeplünderten, zugemüllten und zerstörten Erde.
      Kein andere System als die parlamentarische repräsentative Demokratie hätte unsere Freiheit und unsere Umwelt so effektiv und gründlich zerstören können. Denn lässt eine repräsentative Demokratie zu, dass sich das Kapital konzentrieren kann, dann ist auch schon bestimmt, wenn oder was diese Demokratie früher oder später repräsentieren wird…

    • am 1.01.2020 um 13:33 Uhr
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      Die Demokratie wurde in Athen erfunden. Demos=Volk, kratia: Herrschaft. Wie Abraham Lincoln es formulierte, bedeutet Demokratie «Regierung vom, für und durch das Volk». Man muss nicht grosse ideologische Turnübungen betreiben, um festzustellen, dass die direkte Demokratie der Definition von Demokratie am nächsten kommt. Falls Parlamente in Konflikt zur direkten Demokratie geraten, ist es eindeutig, dass die direkte Demokratie vorherrschen muss. Das hat mit Faschismus nichts zu tun. Alles andere wäre oligarchisches Verhalten.

    • am 1.01.2020 um 16:46 Uhr
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      Das thema ist wichtig. Frau süess wirbelt jedoch alles erdenkliche wild durcheinander. Sie bleibt immer an den symptomen kleben, kratzt nicht bis auf die ursachen. Interessant wäre, weshalb die faschisten die demokratie oder den parlamentarismus ablehnen und damit sogar noch auf beifall stossen. Meine hypothese ist, dass sie damit auf übertreibungen reagieren, also einen wahren kern aufgreifen. Ähnlich wie der trumpismus ausgelöst wurde durch die übertreibungen der political correctness (toiletten für das 3. Geschlecht wichtiger als einkommenssicherung). Oder die afd durch muttis «wir schaffen das». Sarah wagenknecht hat recht: wir besiegen die afd nicht indem wir die probleme negieren, die sie artikuliert. Forschen sie weiter frau süess, aber kratzen sie bis zu den ursachen hinunter!

    • am 2.01.2020 um 02:16 Uhr
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      Wer das Wort Populismus verwendet, anstatt tatsächlich zu beschreiben, was für ein Problem damit gemeint ist, will diffamieren.

    • am 6.01.2020 um 08:50 Uhr
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      In diesem Artikel fehlt mir der Bezug zur Schweiz. Ist die SVP im Urteil der Autorin eine faschistische Partei? Falls ja, weshalb? Die Ausführungen sind mir zu schwammig. Sie soll die Sache auf den Punkt bringen und die Position begründen. Dann wird es spannend und relevant.
      Die Autorin scheint eine Anhängerin demokratischer, parlamentarischer Strukturen zu sein. Die direkte Demokratie scheint ihr weniger zuzusagen. Diese Staatsform scheint aus ihrer Optik ein mögliches Einfallstor für Faschismus zu sein. Welche historische Erfahrung steht hinter diesen Überlegungen? Man hätte sich auch vorstellen können, dass sie dies noch etwas präzisiert. Kennt sie als Deutsche überhaupt diese Staatsform?
      Dürftiger Beitrag: Viel Ideologie, wenig Erfahrung.

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