Kommentar

kontertext: Irgendwie danebengegriffen

Ariane Tanner © A.T.

Ariane Tanner /  Der «Tages-Anzeiger» sammelte in der Redaktion Begriffe, die «wehtun», und kreierte dazu ein Wort weit jenseits der Schmerzgrenze.

«Wörterboarding», so der Teaser auf der Frontseite des «Tages-Anzeiger» vom 22. März und die Karikatur-Aufschrift zum entsprechenden Artikel. Mit dieser Wortschöpfung ist der «Tages-Anzeiger» im fiktiven Wettbewerb der geschmacklosesten Begriffskreationen des Jahres 2018 Anwärter auf einen Spitzenplatz.


Die Karikatur zum Artikel mit dem Titel «Grauenhaft»
im «Tages-Anzeiger» vom 22. März 2018

Zehn «Wörter und Sätze, die einen Krampf in der Kopfhaut verursachen», wurden von Redaktionsmitgliedern zusammengetragen und einzeln erläutert. Der Cartoon dazu zeigt den auf einem Stühlchen sitzenden Folterknecht mit Henkersmütze, der dem kopfüber auf einem Brett angeschnallten Pullunder-Träger, dessen Gesicht schon gequält-verzerrt ist, eine Auswahl dieser Begriffe vorliest. Das sind zum Beispiel «schmunzeln» und «Beste Grüsse». Dies, so lässt uns der Cartoon-Text wissen, ist die «intellektuelle Form von Waterboarding: Wörterboarding».
Ein zerdehntes «okeee», so ein weiteres im Artikel vorgestelltes «verbales Ekelgeräusch», könnte darauf eine zwischen Verwunderung und Angewidertheit changierende Entgegnung sein. Aber auch bei allen anderen Beispielen wie «bezahlbare Wohnung», «Wutbürger» oder die Unart des verniedlichenden Diminutivs, der selbst Halb- und Ganzwüchsige dem «Müüsli»-Dasein nicht entkommen lässt, ist die Schieflage der ganzen Artikelaufmachung und -illustration frappant. Das liegt daran, dass der Foltervergleich einfach nicht lustig werden will.

Ich hätte mir (siehe weitere Beispiele für ‹schmerzende› Begriffe im gleichen Artikel) ein «Schutzgatter» herbeigewünscht, das «bei Gefahr, ohne lange zu überlegen, in einem Schuss» herunterfährt, um mich vom Lesen dieser «Auslegeordnung» von wehtuenden Wörtern im Folter-Vergleichsmodus abzuhalten. Hat hier jemand «nur seinen Job gemacht», ohne vorher eine «Wähe» zu essen? Zu «schmunzeln» gab es jedenfalls nichts. «Beste Grüsse» und es schöns Tägli no!

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ariane Tanner ist Historikerin und Texterin aus Zürich. Interessenbindungen: keine.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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