Kommentar

kontertext: Verleger wollen Bauern werden

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsMatthias Zehnder ist freier Publizist, Medienwissenschaftler und Berater (Medienkonzeption) in Basel. Er ist Vorstandsmitglied der SRG ©

Matthias Zehnder /  Die Schweizer Verleger kämpfen um ein Leistungsschutzrecht. Das wäre, wie wenn die Landwirtschaft zur Käseunion zurückkehren würde.

Andreas Häuptli, der Geschäftsführer der Schweizer Medien, hat eine Mission: Er kämpft im Namen der grossen Schweizer Zeitungsverlage dafür, dass sie von Google und Facebook entschädigt werden. Er will, dass die Schweizer Verleger «auf Augenhöhe mit den Silicon-Valley-Playern verhandeln», wie er im Februar-Newsletter seines Verbands und auf der Website von Schweizer Medien schreibt. An sich ist es ja schon bemerkenswert, dass Häuptli offenbar Firmen wie die Akeret Verlag + Druck AG (Andelfinger Zeitung), die az Verlags AG (Schaffhauser az), die Bote der Urschweiz AG (Bote der Urschweiz) oder die Druckerei Appenzeller Volksfreund (Appenzeller Volksfreund) – alles Mitglieder von Schweizer Medien – auf «Augenhöhe mit den Silicon-Valley-Playern» sehen will. Aber Häuptli fordert mehr: Er fordert «einen fairen Deal zwischen den internationalen Plattform-Giganten und der Schweizer Medienbranche».
Im ersten Moment klingt das ja gut: Die braven Eidgenossen fordern als wackere Verleger-Davids von den bösen Silicon Valley-Goliaths Fairness. Doch so einfach ist es nicht. Denn Häuptli und der Verlegerverband möchten in der Schweiz ein so genanntes Leistungsschutzrecht installieren, weil, wie Häuptli schreibt, «klar ist, dass die Produktion von demokratie-relevanten Informationen eine Leistung ist». Und diese Leistung will der Verlegerverband sich jetzt von Google, Facebook und Co. entlohnen lassen: Unter dem harmlosen Titel «Urheberrechtsgesetz. Änderung» debattiert der Ständerat in der laufenden Session einen Vorschlag, der erzwingen will, dass Google, Facebook und Co. die Verlage für ihre Leistungen entschädigen.

Geld für Zitate

Das Gesetz soll um einen Artikel 13b ergänzt werden. In der Fahne für die Beratung des Gesetzes im Ständerat heisst es: «Wer, als Betreiber eines sozialen Netzwerks, eines Informations- oder Unterhaltungsdienstes oder einer anderen Kommunikationsplattform im Internet, journalistische Sprachwerke oder Fotografien so zugänglich macht, dass Personen von Orten und Zeiten ihrer Wahl dazu Zugang haben, schuldet den Urhebern und den Urheberinnen hierfür eine Vergütung.» Das würde bedeuten, dass Google und Facebook die Verlage für Links auf ihre Artikel entschädigen müssen. Sie haben richtig gelesen: Die Suchmaschinen, die mit ihren Links auf die Webseiten der Verlage hinweisen, müssten den Verlagen dafür Geld bezahlen, dass sie dies tun. Und es kommt noch schlimmer: Dieser Vergütungsanspruch «kann nur von zugelassenen Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden».
Dass die Verlage «demokratie-relevante Informationen» produzieren, bestreitet niemand. Aber weder aus dem Text von Häuptli noch aus dem ständerätlichen Vorschlag wird klar, warum genau die Verlage Geld von Google erhalten sollen. Denn es ist ja die Suchmaschine, die den Verlagen einen Dienst erweist, indem sie ihnen Traffic liefert. Der Wegweiser würde dafür zur Kasse gebeten, dass er den Weg weist. Wer zum Beispiel auf Google nach «referendum steuerreform und ahv finanzierung» sucht, findet Artikel und Informationen über die entsprechende Abstimmungsvorlage, von Blick und Watson über die NZZ bis zu SRF, dazu Hinweise auf Informationen aus dem Finanzdepartement, auf Blogs und die Abstimmungsseiten. Google sorgt also dafür, dass die «demokratie-relevanten Informationen» zu den Leserinnen und Lesern finden.

Der Schaden liegt ganz woanders

Häuptli und die Verlage argumentieren, Google verdiene Geld mit fremden Inhalten. Denn Google schaltet auf den Seiten mit den Suchresultaten Werbung. Auf diesen Suchseiten stehen die Suchresultate und die bestehen aus kleinen Inhaltsschnipseln der abgesuchten Webinhalte und den Links. Dazu zeigt Google oben in der Suchliste und rechts davon Werbeinhalte. Bloss: Die Werbeinhalte erscheinen nur, wenn Werbetreibende die entsprechenden Suchwörter gebucht haben. Bei unserem Beispiel scheint das nicht der Fall zu sein. Bei Werbern sind die «demokratie-relevanten Informationen» offenbar nicht so populär. Die Verlage verweisen gerne auf Google-News. Das ist das Google-Angebot für aktuellen Schlagzeilen aus Medien samt den Links dazu. Doch diese Seite ist komplett werbefrei. Wo also ist der Schaden, den die Verleger monieren, der ein Leistungsschutzrecht rechtfertigen würde?
Häuptli und die Verleger haben schon recht: Google, Facebook und Co. fügen ihnen schweren Schaden zu. Aber nicht, indem sie die Zeitungen mit den Links auf deren Inhalte übers Ohr hauen. Google und Facebook haben die Verlage als Werbevermarkter abgelöst, weil sie Werbung im digitalen Raum wesentlich effizienter verkaufen. Google ist auch in der Schweiz längst nicht mehr nur eine Suchmaschine, sondern auch der wichtigste Werbevermarkter. Dieser Dienst heisst GoogleAds – verantwortlich für Werbebanner auf Websites aller Grössen, vom kleinen Blog bis zur Megasite. Firmen ermöglicht es Google, ihre Anzeigen so zu schalten, dass nur Menschen sie sehen, die sich für das entsprechende Thema (mutmasslich) interessieren. Diese Technik ist den Angeboten der Verlage schlicht überlegen.
Laut Prognosen wird 2019 in der Schweiz wohl für deutlich über 2 Milliarden Franken Onlinewerbung verkauft. Experten erwarten, dass Google, Facebook und Instagram 70 % (!) dieses Umsatzes machen werden. Das entspricht laut einer Studie von Publicom 40 % des gesamten Werbeumsatzes in der Schweiz, berichtet die Handelszeitung. Für den Januar 2019 liegen bereits die effektiven Zahlen aus der Werbemarktstudie von Mediafocus vor: Im ersten Monat des Jahres floss 48 % des gesamten Werbeumsatzes ins Internet. Nur 19 % der Werbegelder wurden in den Print investiert. Vor zwei Jahren, im Januar 2017, war die Verteilung noch fast umgekehrt: Print machte damals noch 38 % des Schweizer Werbekuchens aus, Online lag noch bei 15 %. Das Internet hat die gedruckten Werbeangebote in der Schweiz innert zwei Jahren marginalisiert.

Eine Art Käseunion für die Medienbranche

Google und Facebook machen heute in der Schweiz etwa so viel Werbeumsatz wie alle Presse- und TV-Erzeugnisse zusammengenommen. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass sich die Verleger ärgern. Aber ein Leistungsschutzrecht, das die Stellung der grossen Verlage in der Schweiz zementieren und eine Verwertungsgesellschaft im Internet installieren will, ist nicht die richtige Antwort darauf. Es wäre, wie wenn die Landwirtschaft in der Schweiz zur Käseunion zurückkehren würde.
Das Leistungsschutzrecht ist die falsche Medizin – die Diagnose der Verleger ist in einem Teil aber richtig: Google und Facebook machen heute die Umsätze, die früher die Verleger gemacht haben. Wenn Tamedia oder CH Media Werbung verkauft, fliesst dieses Geld mehr oder weniger vollumfänglich zurück in Medienprodukte. Wenn Google Werbung verkauft, fliesst nur das Geld für die Werbeplatzierung an die entsprechende Website. Der Ertrag fliesst aus der Schweiz ab. Dieses Geld fehlt in der Schweiz für die Finanzierung von journalistischen Inhalten. Es wäre deshalb wichtig, Wege zu finden, wie Google, Facebook & Co. an den Kosten der Medien in der Schweiz beteiligt werden. Aber bitte so, dass nicht die grossen, alten Verlage ihre Position zementieren können, sondern dass das Geld auf breiter Ebene jenen für Inhalte zur Verfügung steht, die in der digitalen Welt Angebote bereithalten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Matthias Zehnder ist freier Publizist, Medienwissenschaftler und Berater (Medienkonzeption) in Basel. Er ist Vorstandsmitglied der SRG Region Basel und betreibt unter www.matthiaszehnder.ch einen Medienblog.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

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