Kommentar

kontertext: Vom Programm zur Kontentwirtschaft

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsMathias Knauer ist Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er ©

Mathias Knauer /  Die in «Newsrooms» verrichtete Kontentwirtschaft wird nur an ihrer Betriebsamkeit gemessen.

In einem Beitrag in der Medienwoche hat Robert Ruoff vor kurzem den Kurs von SRF (Deutschschweizer Radio und Fernsehen) untersucht, der von der autorschaftlich-kreativen Programmproduktion zur Informationsfabrik schlingert.

Die SRG am Scheideweg

Unter einem Radio- oder Fernsehprogramm verstehe ich das Gesamtresultat einer nach einem Wertekanon regulierten, vielfältig kreativen Tätigkeit von Autorinnen, Künstlern, journalistisch oder technisch produzierenden Programmschaffenden. Aus einem internen Papier zitierend zeigt Ruoff, wie durch weitere Umstrukturierungen, diesmal im Informationsbereich nach dem «Newsroom»-Konzept, eine Verschiebung vom publizistischen Autor zum Content-Drechsler stattfinden könnte, sollten Ideen des abtretenden SRF-Direktors Matter sich durchsetzen, die dieser in einem Gespräch mit Tamedia-Zeitungen geäussert hat:

    «Die Produktionsweise wird eine andere sein. Ich kann das am Beispiel des Newsrooms erklären, der momentan für TV und Online gebaut wird. Es wird nicht mehr so sein, dass jeder Beitrag vom selben Autor von A bis Z betreut wird. Sondern ein Team kümmert sich um die Nachrichtenversorgung, ein anderes kümmert sich um die Bilder. Wieder andere bereiten den Beitrag für Facebook, Instagram, … auf.»

Und in der NZZ hat Rainer Stadler noch andere Facetten der geplanten Verknechtung des Medienschaffens beleuchtet:

    «Die Interaktivität erhält weitere Bedeutung. Der Austausch mit dem Publikum, die Beobachtung der sozialen Medien, die laufende Auswertung des Nutzerverhaltens werden ein fester Bestandteil des Informationsprozesses. Persönliche Arbeitsplätze wird es nicht mehr geben. … Damit verabschiedet sich SRF zusehends vom Radio- und Fernsehzeitalter.»

Reformen mit der Brechstange

In den öffentlichen Fokus kamen diese Pläne im Zusammenhang mit den Absichten, das zentral in der Stadt Bern gelegene Radiostudio leerzuräumen – übrigens wie das Zürcher Brunnenhof-Studio auch ein Konzert- und Veranstaltungsort –, dort die SRG-Verwaltung einzuquartieren und die heute nah an Bund und Diplomatie arbeitenden Radio-Journalisten, zum Beispiel des «Echo der Zeit», an den Zürcher Chatzen- und Leutschenbach zu verpflanzen. Was für eine spiessige Managerfantasie braucht es, sich mit solchen Reformen eine Verbesserung der publizistischen Kreation zu erhoffen, die unzweifelhaft von urbanem Kommunizieren lebt, doch vom täglichen Pendeln zur Maloche in einer peripheren Gewerbezone und in gitterbewehrtem Komplex schwerlich angeregt werden dürfte.
Wieder einmal wird jetzt ungestraft geschwafelt vom «Vermeiden von Doppelspurigkeiten» – wie heute gern auch im übrigen Kulturbereich: Solches Reinemachen hat seinerzeit der Pro Helvetia den Film weggenommen und neulich den Tonkünstlerverein und andere Künstlerverbände gekillt. Es wird vergessen, dass zwei Redaktionen, wenn sie mit profilierten Köpfen besetzt sind und nicht mit Schreibknechten, niemals das Gleiche hervorbringen werden, Doppelspurigkeit also gerade produktiv wäre, und dass man sie sich jahrzehntelang leisten konnte, solange SRG-Direktoren noch keine Porsches und Chauffeure brauchten, um sich als Chefs zu fühlen.
Als ich mich mit den Medien zu beschäftigen begann (1959 kaufte ich als Schüler den Band Film, Rundfunk, Fernsehen des Fischer-Lexikons von Lotte Eisner – Ja! kein Erbsenzähler, eine Autorin von Name und Rang erhielt dort die Regie), stellte man sich unter einem Programmdirektor noch eine gebildete Persönlichkeit vor, die mit Umsicht und charismatischer Autorität ein Kulturinstitut wie das Radio oder Fernsehen lenkt, einen vielleicht uneitlen Kopf, der aber zur Verteidigung kultureller und gestalterischer Freiheiten und Werte eine staatsmännische oder flammende Rede halten konnte, und der vor allem bei wichtigen Kulturereignissen in der ersten Reihe sass und anzusprechen war.
Der Initiator des «Echo der Zeit» ist ein namhafter Komponist gewesen: Adolf Brunner, christlicher Antifaschist, im Weltkrieg zentrales Mitglied des «Gotthard-Bundes», war bis 1960 Leiter von «Politik und Zeitgeschehen» bei Radio Zürich. Und Rudolf Kelterborn leitete 1974 bis 1980 die Abteilung Musik von Radio DRS. Beide haben sich nach diesem Dienst am Kulturleben wieder zum Komponieren zurückgezogen; Kelterborn beeindruckt die Konzertgänger mit eindrucksvollen Alterswerken.
Heute dagegen sehen wir uns durchaus mal mit einem im Karrierelauf zum dienstfertigen Betriebswirt verkümmerten Phil-Einer konfrontiert, wenn nicht gar mit einem von der «Unternehmenseinheit» per Head-Hunter gefundenen Kulturmanager ohne fachliche Autorität.
Wir beobachten also betrübt den Wandel der SRG vom Kulturakteur zum Contentproduzenten, der ohne Begeisterung buchstabentreu die Konzessionsregeln erfüllt, sofern Druck oder politische Kontrolle es ratsam erscheinen lassen.

Auf einem Auge blind

Wie die soeben erschienene Analyse der Radioprogramme in der Deutschschweiz (von Publicom AG im Auftrag des Bakom) erneut zeigt, hat das Beurteilen der Erfüllung des SRG-Programmauftrags auch diesmal wieder Schlagseite. Das ist teils zu entschuldigen wegen des selber schon wenig philosophischen Auftrags vom Bakom, aber auch eine Marktforschungsfirma hat ein Prestige zu verlieren.
So werden zwar fleissig Themen und Stoffe ausgezählt, hingegen nicht die produzierten (und koproduzierten) kulturellen Leistungen untersucht, die die Kreativität eines Programms ausmachen. Das Hörspiel, eines der Flaggschiffe radiophonischen Schaffens, ist weder als Literatur noch als Drama zu finden, sondern wird summarisch nur mit ganz anderem Gewächs unter (Wort-)Unterhaltung erfasst; die Anteile an Eigenproduktion, Archiv-Wiederholungen und die Zahl beschäftigter Schweizer Dramatiker/innen – Kernindikatoren fürs Messen der künstlerischen Produktivität eines Radios – werden so wenig erkennbar wie auch kein Vergleich mit Vorjahren möglich ist. Und nach wie vor wird unter «Sinfonie, Oper, Kammermusik» alles in einen Topf geworfen, was kein Jazz oder Popularmusik ist – bei SRF2 sind das 71 % aller Ausstrahlungen. Der Begriff Bildung kommt zwar im Codebuch vor, aber im Bericht ist nichts zu diesem Programmauftrag zu finden. Bei allem Verständnis für die schwierige Operationalisierung des Kulturauftrags: das scheint System zu haben.
Die Service public-Definition wird Jahr für Jahr mehr auf Dienstleistungen fürs Funktionieren von Staat, Verwaltung und Demokratie oder «Kohäsion» borniert, das heisst: auf die Widerspiegelung des politischen und sozialen Geschehens, das Berichten und «Einordnen». Die genuine radiophone Produktion, die das Kulturschaffen ergänzt und bereichert, auch die geleistete Verbreitung der Künste bis ins entlegene Tal, fallen ausser Betracht.
Da erscheint es geradezu grotesk, wenn sich der Bericht (S.116) bei der Spitzfindigkeit aufhält, ob denn ein identischer Nachrichtentext, wenn er später von einem anderen Sprecher erneut verlesen wird, methodisch als Wiederholung einzustufen sei – derweil die musikalische Eigenproduktion mit Werken unserer Interpreten, Komponistinnen oder Musikautoren nicht vom tausendfachen Abspielen von Schallplatten unterschieden wird.
Bei solchem Schrumpfen aller Vorstellungen vom Radio als Kulturproduzent kann es nicht erstaunen, wenn in den Ausstrahlungen stets mehr nur Zugetragenes oder Aufgelesenes zu «Feature oder Reportage aufbereitet» oder als Magazinstück verwertet wird; wenn also, statt Autoren recherchieren und verbindlich formulierte Texte verfassen zu lassen, bloss noch Content-Management betrieben wird. Der antrainierte Grimassensprech gewisser Moderatoren («So könnte sie aussehen, die Zukunft der klassischen Musik…» 28.6.18, SRF2, Kontext), vererbt sich heute schon unredigiert in den Internetabklatsch ihrer Äusserungen, als würde die Schriftform von keinem Redaktor mehr kritisch geprüft – man zweifelt, ob die Maschinerie eines «Newsrooms» hier Besseres ergäbe. Ist das Fleisch schon verseucht, das verwurstet werden muss, kann auch die bestorganisierte Wursterei keinen gesunden Saucisson mehr daraus machen.

Doris Leuthard am Scheideweg

In düsterer Parallelität zu diesem sich ausbreitenden Ungeist finden sich nun auch manche irritierende Begriffsverschiebungen im Vorentwurf für ein Gesetz über «elektronische Medien» (BGeM), der das geltende RTVG ersetzen soll und bis im Oktober in Vernehmlassung ist.
Der Begriff des Radio- und Fernsehprogramms ist in diesem Entwurf dort, wo es um die SRG geht, entfernt und durch «Medienangebot» ersetzt worden. Das Wort erscheint paradoxerweise nur noch an den Stellen, wo von «Veranstaltern ohne Leistungsauftrag» die Rede ist, für deren «Programm» dieses Gesetz sich ja gar nicht mehr interessiert. Programm hat hier die Bedeutung von Vorsatz, Konzept oder Komposition verloren und erscheint auf den technischen Aspekt von Kanal oder Ausstrahlung reduziert: «Fernsehprogramm: lineares audiovisuelles Medienangebot», «Radioprogramm: lineares Audio-Medienangebot», wird definiert.
Als Muster für die Sprachverschiebung und den Sprachklang der Vorlage seien hier zwei korrespondierende Absätze verglichen. Heisst es im geltenden Art. 4 des RTVG:

    Mindestanforderungen an den Programminhalt
    (1) Alle Sendungen eines Radio- oder Fernsehprogramms müssen die Grundrechte beachten. Die Sendungen haben insbesondere die Menschenwürde zu achten, dürfen weder diskriminierend sein noch zu Rassenhass beitragen noch die öffentliche Sittlichkeit gefährden noch Gewalt verherrlichen oder verharmlosen. […]

so formuliert der Vorentwurf (Art. 7):

    Mindestanforderungen bezüglich Medienangeboten
    (1) Die Medienanbieterinnen sind verpflichtet, bei der Gestaltung ihrer Angebote, einschliesslich der Werbung, die Grundrechte zu beachten. Dabei müssen sie insbesondere die Achtung der Menschenwürde gewährleisten.
    (2) Medienbeiträge, die diskriminieren, zum Hass gegen bestimmte Gruppierungen oder Angehörige einer Gruppierung aufrufen, die öffentliche Sittlichkeit gefährden oder Gewalt verherrlichen oder verharmlosen, sind verboten. […]

Wir können hier nicht auf viele andere Aspekte eingehen, die an diesem halbherzigen Gesetzesentwurf diskutiert werden müssen – er ist in der ZEIT mit guten Gründen als «Murks» bezeichnet worden, obwohl er auch erfreuliche Ideen enthält, etwa die Verpflichtung der SRG zur Zusammenarbeit mit den Kulturschaffenden. Doch an erster Stelle muss angemahnt sein: Wird ein Service-public-Radio oder Fernsehen unterstützt oder mit Gebührenanteilen alimentiert, so soll es auf Grund der Gesamtheit seiner autonom gestalteten Programmleistungen geschehen, nicht zur Abgeltung einzelner »outgesourcter» Staatsaufgaben.
Sollte der vorliegende Gesetzesentwurf unter Doris Leuthard weiterverfolgt werden, möchten wir auf eine Redaktion hoffen, die nicht sachfremd hobelnd einer undurchsichtigen «Gesetzessystematik» gehorcht, so wie es uns das Bundesamt für Justiz beim Kulturfördergesetz oktroyiert hat; wir möchten vielmehr einen Vorschlag sehen, der die anstehenden Probleme des Medienschaffens zukunftsorientiert zu lösen verspricht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Mathias Knauer ist Musikwissenschafter, Publizist und Filmemacher. Er ist seit Jahren in der Kulturpolitik engagiert. Er war Mitbegründer der Filmcooperative und des Filmkollektivs Zürich. Als Mitglied des Verbands Filmregie und Drehbuch Schweiz war er an der Ausarbeitung des «Pacte de l'audiovisuel» und anderer filmpolitischer Instrumente beteiligt. Er ist Vizepräsident von Suisseculture und Mitbegründer der Schweizer Koalition für die kulturelle Vielfalt, in deren Vorständen er u.a. das Dossier Medienpolitik betreut.

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

Zum Infosperber-Dossier:

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