Tibet_Aufstand_Jahrestag2017

SRF-Beitrag von 2017 zum Jahrestag des Aufstands in Tibet von 1959. © srf

SRF-2-Redaktorin hält an Falschinformation fest

Urs P. Gasche /  Vor dem Aufstand von 1959 sei Tibet ein unabhängiger Staat gewesen, hiess es in der Sendung «Kontext». Doch das stimmt nicht.

In der Sendung «Kontext» im Radio SRF 2 vom 20. August 2019 erklärte Redaktorin Maya Brändli:

    «Es war vor genau 60 Jahren als die chinesische Regierung den Aufstand in Tibet blutig niederschlug. Damit war es mit Tibet als eigenständigem Staat vorbei. Seither ist Tibet eine chinesische Provinz.»

Man könne mit den Ansichten vieler lamaistischer Tibeter in der Schweiz durchaus sympathisieren, meint Infosperber-Leser Harald Buchmann. Er störte sich jedoch an der Aussage der Redaktorin, dass Tibet bis zum Jahr 1959 ein eigenständiger, unabhängiger Staat gewesen sein soll. Richtig sei vielmehr, dass Tibet in der Neuzeit nie ein eigenständiger Staat war. Weder gab es jemals eine völkerrechtliche Anerkennung Tibets, noch hat irgendein Staat jemals einen unabhängigen Staat Tibet anerkannt. Manche Tibeter hätten zwar schon mal einen unabhängigen Staat gefordert, doch das täten derzeit auch die Katalanen, ohne dass Katalonien deshalb als «eigenständiger» Staat bezeichnet werde.
Auf diesen Einwand des Infosperber-Lesers antwortete SRF-Redaktorin Maya Brändli wie folgt:

    «Mir ist sehr wohl bewusst, dass man sich über den komplexen Status von Tibet streiten kann – und ich bin mir auch bewusst, dass es da zwei sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen – mindestens – gibt. Ich kann nur leider in einer solchen Sendung, wo es um die Begegnung zweier junger Menschen geht, keine wissenschaftliche Abhandlung halten und muss verkürzen.»

Mit dieser Antwort gab sich Harald Buchmann nicht zufrieden, denn es gehe hier nicht um «unterschiedliche Betrachtungsweisen» oder um eine «Verkürzung», sondern um eine falsche Darstellung von Tatsachen.
Deshalb erkundigte sich der Infosperber-Leser bei Redaktorin Brändli, aufgrund welcher Fakten sie denn zur «Betrachtungsweise» käme, dass Tibet vor 1959 ein eigenständiger Staat gewesen sei. Diese Frage beantwortete die «Kontext»-Redaktorin nicht, sondern verwies auf eine Professorin:

    «Wenn Sie wissen wollen, woher ich meine Informationen habe, dann empfehle ich Ihnen aus der Beck’schen Reihe die kleine Geschichte Tibets von Karénina Kollmar-Paulenz.»

Damit hoffe sie, dass «unsere kleine Debatte beendet» sei.
Doch für Infosperber-Leser Buchmann war die Debatte nicht beendet. Er wandte sich an die von Brändli angegebene Kronzeugin Kollmar-Paulenz, Professorin am Institut für Religionswissenschaft der Universität Bern. Diese antwortete:

    «Im Jahr 1965 wurde der Sonderstatus Tibets, der durch das so genannte Siebzehn-Punkte-Abkommen (am 23. Mai 1951 von einer tibetischen Delegation in Peking unterzeichnet) begründet worden war, aufgehoben und die Tibetische Autonome Region etabliert, die Tibet endgültig in die VR China integrierte. Die Aussage, dass Tibet bis in die 1960er Jahre ein unabhängiger Staat gewesen sei, ist daher nicht korrekt. Denn in dem Siebzehn-Punkte Abkommen hatte Tibet das erste Mal die politische Oberhoheit Chinas anerkannt. Damit endete die Unabhängigkeit Tibets.»

Die Aussage, ein unabhängiger Staat Tibet sei im Jahr 1959 durch chinesische Waffengewalt beendet worden, ist offensichtlich falsch. Auch gemäss jener Quelle, welche SRF Moderatorin Brändli selber angegeben hatte. Doch auch nach der eindeutigen Stellungnahme der Professorin wollte Brändli nicht zugeben, dass sie eine falsche Darstellung von Tatsachen verbreitete. Sie reagierte nicht mehr.

Wahre, halbwahre und irreführende Informationen über China

upg. Die USA haben China zum grössten geopolitischen Feind erklärt. Entsprechend häufig werden über China wahre, halbwahre oder irreführende Informationen verbreitet. Manches wird durch das ständige Wiederholen zu einer vermeintlichen «Wahrheit». Im Folgenden einige Beispiele von Medienmeldungen:

  • Man könne keine westlichen Nachrichten sehen, ohne mit VPN einen ausländischen User vorzutäuschen. Tatsache ist, dass CNN und Fox News in China unzensiert aufrufbar sind.
  • Winnie the Pooh sei zensiert. Tatsache ist, dass die Zeichentrickfilme im Streaming frei verfügbar sind.
  • An fast jeder Kreuzung gäbe es Gesichtserkennung und grosse Bildschirme, welche Leute zeigen, die trotz Rotlicht die Strasse überqueren. Tatsache ist, dass es in China solche Testanlagen gibt – im Vergleich zu Millionen von bestehenden Ampeln. Tatsache ist allerdings, dass ein «Social Credit System» eingeführt wird, mit dem oppositionelle Gruppen sofort erkannt und kontrolliert werden können.
  • An das «Tiananmen-Massaker» vom Juni 1989, bei dem nach Angaben eines IKRK-Delegierten in Strassenkämpfen über tausend Menschen starben, darunter viele Polizisten und Soldaten, erinnern grosse Medien fast jährlich am Jahrestag – sogar in der Tagesschau. Deshalb bleibt das «Tiananmen-Massaker» zu Recht überall in schlechter Erinnerung. Nicht aber das viel weniger weit zurückliegende «Rabaa-Massaker» in Kairo vom 14. August 2013. Putschistengeneral as-Sisi liess mindestens 900 unbewaffnete Protestierende töten. Am Jahrestag erinnern die grossen Medien nicht daran, obwohl man laut «Human Rights Watch» das «Rabaa-Massaker» in Kairo mit dem «Tiananmen-Massaker» in Beijing vergleichen kann. Das eine macht das andere nicht besser. Doch warum erinnern die grossen Medien regelmässig an den Jahrestag des «Tiananmen-Massakers», jedoch nie an den Jahrestag des «Rabaa-Massakers»?
  • Wiederholte Medienberichte über die zweifellos unglaublich starke Luftverschmutzung in Beijing und anderen Städten lassen viele Leute im Glauben, in chinesischen Städten sei die Luft am schlechtesten. Tatsache ist, dass die Luftverschmutzung beispielsweise in New Delhi und anderen indischen Städten noch viel schlimmer ist und weniger dagegen unternommen wird.

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14 Meinungen

  • am 21.01.2020 um 16:29 Uhr
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    @Heierli. Auch dieses Papier vom Deutschen Bundestag stellt fest, dass Tibet vor 1959 kein eigenständiger, unabhängiger Staat gewesen war. Tibet war schon vorher eine chinesische Provinz mit Autonomierechten. Die Darstellung von Maya Brändli war falsch.

  • am 21.01.2020 um 19:35 Uhr
    Permalink

    Es gäbe noch mehr Beispiele, wo man feststellen musste, dass bei gewissen Medien das Geschichtswissen sehr im argen liegt. Ein Beispiel vom Sender DRS sind die damaligen Informationen über Katalonien. Aber offensichtlich sind populistische Schlagzeilen und «Vereinfachungen» wichtiger als richtige Informationen. Mindestens bei den öffentlichen Medien sollte man erwarten können, dass diesbezüglich mehr Wissen vorhanden ist. Entweder fehlt da die Zeit dazu oder doch das Wollen?

  • am 21.01.2020 um 21:46 Uhr
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    Ich gratuliere dem Infosperber für die Wiedergabe dieser Episode. Und Harald Buchmann für seine Hartnäckigkeit. Ich bin ein Fan von SRF2 und insbesondere von Kontext. Ich bin deshalb etwas frustriert, dass die Journalistin Maya Brändli so auf die Kritik reagiert hat. Solche Reaktionen und Ausreden kenne ich eher von inkompetenten RedaktorInnen bei Lokalzeitungen. Bleibt zu hoffen, dass die Geschichte nicht noch in eine nächste Runde geht, weil der Infosperber bei Maya Brändli wohl kaum die Erlaubnis für die Publikation ihrer Korrespondenz mit Herrn Buchmann eingeholt hat. Falls ich mich täusche, wäre ein entsprechender Hinweis im Artikel sinnvoll gewesen.

  • am 21.01.2020 um 22:16 Uhr
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    Zu beklagen, dass regelmässig in den Medien über das Tiananmen-Massaker berichtet wird ("sogar in der Tagesschau") und diese Kritik damit zu begründen, dass über etwas anderes nicht berichtet wird, nennt man wohl «whataboutmis» – und dies ist kein Kompliment.

  • am 22.01.2020 um 10:08 Uhr
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    Das ist aber ein ganz seltsamer Artikel hier, was soll diese Haarspalterei um den Staatsbegriff? Offensichtlich hat Tibet seit Jahrtausenden eine eigene Geschichte und war zuletzt ein eigenständiges Gebiet mit einem eigenen Herrscher (Dalai Lama). Ob man darauf unsere modernen Ideen, was ein Staat sei, anwendet oder nicht und irgendwelche Anerkennungen als Massstab nehme will: Die Chinesische Besetzung ist in jedem Fall eine militärische Okkupation einer anderen Kultur. Aber Macht- und Gewaltpolitik war schon immer darauf aus, sich zu rechtfertigen, auch mit den wildesten Argumenten. Schreibt doch besser Klartext: Warum vertritt Infosperber plötzlich die Position der Chinesischen Parteidiktatur? Was wollt ihr damit sagen und erreichen?

  • am 22.01.2020 um 22:07 Uhr
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    @Urs P. Gasche
    Ich bin immer noch der Meinung, dass der Bericht des Bundestages
    https://www.bundestag.de/resource/blob/414272/43693068e69bc83d90f0230b9b0a46d6/wd-2-037-08-pdf-data.pdf
    festhält, dass die Situation nicht so klar ist. Unklarheit und Uneinigkeit ist gar nicht so selten, wenn es um völkerrechtliche Einschätzungen geht.
    Das Völkerrecht ist auch nicht frei von Widersprüchen. So ist die gewaltsame Unterdrückung der Bevölkerung verboten. Was aber, wenn ein Staat nur dank gewaltsamer Unterdrückung der Bevölkerung die faktische Kontrolle über ein Territorium ausübt? Da weiss das Völkerrecht auch nicht weiter, und am Ende zählt das Recht des Stärkeren.

  • am 23.01.2020 um 00:33 Uhr
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    Im Buch von Kollmar-Paulenz liest man in Kapitel 5 (Das unabhängige Tibet vor 1950), dass der Dalai Lama 1913 in Tibet die Unabhängigkeit proklamiert habe, was die Republik China nicht akzeptiert habe. In den osttibetischen Regionen sei es in den folgenden Jahrzehnten immer wieder zu bewaffneten Konflikten mit China gekommen.
    Die kommunistische Regierung der VRC habe von Beginn an eine Politik der „Wiedervereinigung“ mit dem chinesischen „Mutterland“ gewollt und 1950 seien dann chinesische Truppen in Tibet einmarschiert.
    1951 mussten die Tibeter unter sehr grossem Druck der Chinesen ein Abkommen unterzeichnen, welches das Schicksal Tibets besiegelte. Tibet wurde in China „reintegriert“, erhielt regionale Autonomie und durfte sein politisches System behalten. Religionsfreiheit und der Erhalt der Klöster wurde garantiert. Die tibetische Sprache, die Wrtschaft sollten gefördert werden und Reformen sollten nicht auf Druck der chinesischen Autoritäten eingeleitet werden. Im Abkommen erkannte Tibet zum ersten Mal die Oberhoheit Chinas an. „Das wäre zu verschmerzen gewesen“, so Kollmar-Paulenz, „wenn sich die Chinesen an den Inhalt des Abkommens gehalten hätten.“ Das hätten sie aber nie getan. Somit sei 1951 die seit 1911 bestehende „faktische Unabhängigkeit Tibets“ beendet worden.
    Wie es dann den Tibetern unter der Diktatur der Rotfaschisten aus Peking ergangen ist, können Herr Gasche und Herr Buchmann im Buch von Kollmar-Paulenz nachlesen, falls es sie interessiert.

  • am 23.01.2020 um 08:32 Uhr
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    1. Befürworte ich jede Zerstückelung von Grossstaaten.
    2. Ist es für eine fremde Besatzungsmacht fast unmöglich, gegen die Mehrheit der Besetzten sich so lange zu halten, wie China in Tibet. Siehe UDSSR im Ostblock, USA in Vietnam, die Anrainerstaaten um Kurdistan, etc.
    3. Ist mir die Liebe der Schweizer zu Tibet suspekt. Würde bei uns durch die Mönche von Einsiedeln nach dem Ableben eines Gottkönigs, einfach ein Neugebornes entführt, um in Einsiedeln durch die Mönche zum neuen Gottkönig erzogen zu werden; wir würden unsere Helebarden vom Estrich holen und dieses Pack mit Schimpf und Schande davonjagen. Von der «Verteilung» des urbaren Landes ganz zu schweigen.
    4. Ist jede Tibetische Gebetsfahne, die im Eidgenössischem Wind weht, eine Beleidigung für unsere wilden Vorfahren; sie steht genau für das Gegenteil aller Schweizer Werte.
    5. Sollten unsere Herze für Kleinstaaten schlagen, die nach unabhängkeit streben und nicht für Bergvölker, die auch gerne aus Milch Käse machen. Die Basken, Schotten und Katalanen wären uns dankbar, wenn wir unsere unbestechliche Stimme für die Freiheit und Unabhängigkeit für sie erheben, als für verklärte Folklore im Bezug auf Tibet.

  • am 25.01.2020 um 14:42 Uhr
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    Ja, seltsamer Artikel. Es geht im Tibet um die Unterdrückung – besser: Ausmerzung – einer Kultur – was China jetzt auch mit dem Uiguren versucht und , was, mit echt Chinesischer Hartnäckigkeit und Digitalik auch gelingen könnte …

  • am 2.02.2020 um 01:42 Uhr
    Permalink

    Peinlich fürs SRF.
    Aber FAKT ist:

    China zensiert Youtube, Facebook und wenn CNN was Chinakritisches im TV bringt verschwindet das Signal.

    Winnie The Pooh Memes werden gelöscht. Nicht die Sendung selbst.

    Zum Kairo Massaker: Feinster Whataboutism.

    Zur Luftverschmutzung; Macht es nicht besser für die Menschen wenn es in Indien noch schlimmer ist.

  • am 4.02.2020 um 00:28 Uhr
    Permalink

    1995 schreibt Gyaltsen Gyaltag, Repräsentant des Dalai Lama für die UNO und für Angelegenheiten der EU in Genf zur Frage der Unabhängigkeit von Tibit in der Zeitschrift «du» (Heft Nr. 7, Juli, S. 96): «Seit der Unabhöngigkeitserklärung durch den 13. Dalai Lama im Jahre 1913 bis zur völkerrechtswidrigen Annexion Tibets durch die Volksrepublik China im Jahre 1951 ist Tibet ein vollständig unabhängiger Staat gewesen. Das ist durch die internationale Juristenkommission in ihrem bereits erwähnten Gutachten zur Tibet-Frage von 1960 auch bestäigt worden. Darin stellt sie fest, dass Tibet im Jahre 1949, als es von den Chinesen gewaltsam besetzt wurde, die Kriterien für einen selbständigen Staat erfüllt habe: ein Volk mit einem eigenen Territorium und einer eigenen funktionierenden Regierung in diesem Territorium. Diese Feststellung ist ausserdem vom wissenschaftlichen Fachdienst des deutschen Bundestages in seinem Gutachten von 1987 bestätigt worden."
    Die Behauptung von Herrn Gasche «Tibet war schon vorher eine chinesische Provinz mit Autonomierechten» ist zudem fundamental falsch – eine ziemlich üble Geschichtsklitterung. Anderfalls hat Herr Gasche die Details zu seiner Behauptung darzulegen. Von wann bis wann war das? Unter welcher chinesischen Regierung? Welche Autonnomierechte hatten die Tibert? Ist das international anerkannt worden? waren die Tibeter damit einverstanden? etc.

  • am 4.02.2020 um 08:56 Uhr
    Permalink

    @Sauser. Sie bestätigen, dass Tibet in den Jahren vor 1959 kein unabhängiger Staat war. Es stimmt also nicht, wie Brändli sagte, dass es vor 60 Jahren «mit Tibet als eigenständigem Staat vorbei» war, weil China einen Aufstand unterdrückte. Was Sie erwähnen, betrifft die Zeit bis 1951. Sie erwähnen zwei Gutachten, nach welchen Tibet vor 1951 ein unabhängiger Staat war. Gutachten gibt es viele. Entscheidend ist, dass es nie eine völkerrechtliche Anerkennung Tibets gab, noch hat irgendein Staat jemals einen unabhängigen Staat Tibet anerkannt. De facto unabhängig waren in der Geschichte schon viele Regionen in Zeiten, während denen eine Zentralregierung schwach war oder militärisch angegriffen wurde. In jüngster Zeit waren oder sind auch kurdische Gebiete in Irak und Syrien «unabhängig», mit eigenem Territorium und funktionierender Regierung. Doch international gelten diese Gebiete nicht als unabhängige Staaten.

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