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Die WOZ berichtet über das Buch über die WOZ © WOZ

Die WOZ lebt, besser denn je – (k)ein Wunder

Richard Aschinger /  Die Geschichte der Schweizer Wochenzeitung WOZ – jetzt in Buchform. Sie zeigt: Auch relativ kleine Medien haben eine Chance.

Wenn man die ersten hundert Seiten von Stefan Howalds Geschichte der WOZ gelesen hat, erscheint es als Wunder, dass die 1981 von linken Journalisten und Aktivisten verschiedener «Bewegungs»-Gruppen gegründete Zeitung sich in der Schweizer Medienwelt als ernsthafte linke Informationsquelle und alternative Gegenstimme etablieren konnte, und dass sie heute wirtschaftlich und in ihren inneren Strukturen gesicherter funktioniert als je zuvor.

Stefan Howald, der lange Zeit in der Kulturredaktion des Tages-Anzeigers schrieb und seit 2010 als Genossenschafter und Redaktor der WOZ tätig ist, kennt das Selbstverwaltungsprojekt von aussen und innen. Sein Buch «Links und bündig» sieht er nicht als Firmengeschichte, auch nicht als Stimme zur Medienpolitik, sondern als Chronologie der linken, alternativen Medien: Detailgenau rapportiert er unzählige grosse und kleine Geschichten. Mit Respekt für Leistungen von sehr vielen, mit Namen erwähnten GenossenschafterInnen, MitarbeiterInnen, berühmten und weniger bekannten GastautorInnen, SponsorInnen.

Schon am Starttag zeigten die WOZ-Macher, was sie können: Der Zürcher Tages-Anzeiger (TA), der seine politische Linie damals mit «um Haaresbreite links der Mitte» beschrieb, hatte mit der als angriffig links-alternativ angekündigten Zeitung geschäftstüchtig und scheinbar entspannt einen Vertrag über den Druck abgeschlossen. Auftragssumme immerhin 350 000 Franken. Howald beschreibt, wie diese Zusammenarbeit zu Ende ging, bevor sie begann: Unter den für die Nullnummer angelieferten Texten hatte sich eine nicht gezeichnete Glosse befunden, die einen Preis für in der bürgerlichen Presse zensurierte JournalistInnen ankündigte. Der Artikel war nicht gezeichnet, aber im legendären, bissig-provokativen Stil des Journalisten und Schriftstellers Niklaus Meienberg verfasst. Schrieb da einer in eigener Sache? 1976 war Meienberg nach der Veröffentlichung eines Artikels über den Fürsten von Liechtenstein im Tages-Anzeiger-Magazin vom Verleger mit einem dauernden Schreibverbot abgestraft worden, dem Vernehmen nach, weil sich ein Mitglied der TA-Besitzerfamilie, das im Ländle wohnte, ärgerte. Die TA-Leitung liess sich provozieren: Eine halbe Stunde vor Druckbeginn befahl sie die Produktion der WOZ-Nullnummer zu stoppen. Sympathisanten in der TA-Druckerei und das damals linksliberale Badener Tagblatt halfen aus. Die erste WOZ-Nummer wurde unzensuriert in Schaffhausen gedruckt. Die WOZ war für den Zensur-Opferpreis nominiert.

Nach der Zensur beim Tages-Anzeiger wird die WOZ in der selbstverwalteten, politisch befreundeten Ropress gedruckt. Später wechselt die WOZ ihre Druckerei wieder. Howald zeigt die politischen, technischen und wirtschaftlichen Hintergründe. Als sich 2003 neue technische Möglichkeiten öffnen, wechselt man zur Solprint der bürgerlichen Vogt-Schild-Gruppe. 2008 sind alle politischen Hemmungen überwunden: Die WOZ wird in der Druckerei der politischen Erzgegnerin NZZ gedruckt. 2015 steht der stolzen NZZ das Wasser so hoch am Hals, dass sie ihre Druckerei schliesst. Die NZZ wird vom wirtschaftlichen Hauptkonkurrenten, dem Tages-Anzeiger-Konzern, gedruckt. Die WOZ wechselt zu Ringier. Ende 2018 wird auch Ringier ihre Druckerei schliessen. Viele Alternativen lässt die zunehmende Monopolwirtschaft nicht mehr.

Interne Richtungs- und Machtkämpfe

Viele von Stefan Howald aus den ersten fünfzehn Jahren der WOZ erzählten Geschichten sind geprägt von Diskussionen, publizistischen und ideologischen Richtungs- und Machtkämpfen. Innerhalb des Kollektivs und im Verkehr mit Gruppen, Fraktionen, Organen der alternativen Bewegung, die von der linken Zeitung autoritativ Sprachrohr-Dienste verlangten. Beschrieben werden auch journalistische Gratwanderungen und Abstürze beim Thema Gewalt als politisches Kampfmittel und konkret im Umgang mit in Gefängnissen sitzenden Mitgliedern und Sympathisanten der Terrororganisation RAF. Die WOZ hat mehrmals Stellungnahmen der RAF veröffentlicht und redaktionsintern und in der Leserschaft heftige Reaktionen ausgelöst. Noch einmal während der Kriege in Ex-Jugoslawien trieben nach dem Prinzip «die-Feinde-meiner-(US-amerikanischen) Feinde-sind-meine-(russischen) Freunde» argumentierende Autoren die WOZ in Frontalkollisionen, die die politische Akzeptanz der Zeitung aufs Spiel setzten.

Andere Geschichten zeigen das WOZ-Kollektiv auf der Suche nach Wegen, wie sich mit hierarchiefreien Selbstverwaltungsstrukturen politische Rahmenbedingungen und publizistische Ziele festlegen, Aktualität und Qualität sichern lassen. Und wie eine offene, basisdemokratisch organisierte Zeitung in einem Rudel von linksalternativen Organisationen Unabhängigkeit und linke Solidarität unter einen Hut bringt. Howalds Buch zeigt eine für eine grosse Arbeit kleine, engagierte Redaktion, die Budgetzwänge scheut und immer periodisch in Geldnot gerät. Mit Sparmassnahmen, dem Wissen, dass man für die eigene Zeitung arbeitet, und wesentlich auch dank Spenden von Sympathisanten ging das Leben weiter. Die Chronologie zeigt auch die Bedeutung von herausragenden Gastautoren für die WOZ. Von Niklaus Meienberg, mit seinen genialen Reportagen und Gesprächen, legendären Provokationen und mit seiner aufregenden physischen Präsenz, die die Redaktion oft positiv und gelegentlich negativ erschütterte. Von Jürg Frischknecht, dem präzisen Rechercheur und über Jahrzehnte verlässlich solidarischen Kritiker mit weit über die WOZ-Leserschaft hinaus aufsehenerregenden Enthüllungen, Dokumentationen, Analysen und politischen Reiseberichten. Und von vielen anderen bekannten Experten, Schriftstellern, Kunstschaffenden und Politikern.

Die heutige WOZ ist das Resultat von Leistung

Je länger man in Stefan Howalds Geschichtenbuch liest, desto mehr wird sichtbar, dass das Überleben der WOZ kein Wunder, sondern eine Leistung ist. Das Verdienst von sehr vielen Einzelnen, aber wesentlich auch von einem Kollektiv mit idealistischen Zielen, das seine MitarbeiterInnen in oft erschütterter, aber nie gebrochener Loyalität zusammengehalten hat.
Gleichheit bei Lohn und Mitbestimmung sind nie in Frage gestellte Kernelemente der Arbeitsqualität der WOZ. Jahrzehntelang waren die Löhne knapp. Am Anfang um die 2000 Franken pro Monat. Heute verdient man bei der WOZ für Vollzeitarbeit rund 5000 Franken brutto plus eine Gratifikation. Früher war WOZ-Journalismus politische Fronarbeit für politisch sehr Engagierte. Jetzt können es sich auch Väter und Mütter leisten, für die WOZ zu arbeiten. Das hat die Redaktion verändert. Ein WOZ-Lohn ist auch deshalb attraktiver geworden, weil kommerzielle Medien zwar Chefs reich belohnen, das journalistische Fussvolk aber weitgehend knapp halten.

Auch der Grundsatz, dass alle hauptberuflichen MitarbeiterInnen der WOZ GenossenschafterInnen sind und damit im Kollektiv gleiche Mitspracherechte besitzen, gilt immer noch. Aber seit einer Krise, die der Zeitung 2005 fast das Leben gekostet hat, akzeptiert das Kollektiv sanfte Lenkungsstrukturen. Howald beschreibt, wie Ausbauschritte die erhofften Mehreinnahmen nicht erbrachten und die WOZ wie nie zuvor und nie danach am Rand des Konkurses stand. Gleichzeitig geriet das Kollektiv in eine erbitterte interne Auseinandersetzung über die publizistische Zukunft. Verkürzt beschrieben ging es darum, ob die WOZ sich vermehrt mit Edelfedern als Autorenzeitung profilieren sollte. Das Kollektiv erkannte die Notwendigkeit, eine Redaktionsleitung zu schaffen. Aber die Reform drohte im Streit darüber zu platzen, wer in dieses Gremium gewählt werden sollte. Mitten in der Krisenzeit wechselte der bekannte Autor Constantin Seibt abrupt zum TA.
Am Ende hat die WOZ sich doch noch gerettet. Seit 2005 wird die Basisdemokratie von einer Geschäfts- und einer Redaktionsleitung sanft geleitet. Gewählt werden dem Frieden zuliebe nicht einzelne Mitglieder, sondern ganze Gremien. Eine finanzielle Sanierung sicherte das wirtschaftliche Weiterbestehen. Seit 2005 waren keine Bettelaktionen mehr nötig.

Das System scheint zu funktionieren. Während kommerzielle Zeitungen massiv Auflage verlieren, nahm die Zahl der WOZ-Abonnenten langsam zu. Howalds Chronik lässt erkennen, dass Susan Boos, die bis Ende 2017 in der Redaktionsleitung arbeitete, massgeblich dafür verantwortlich ist, dass sich die WOZ vom Trauma von 2005 erholt hat.

Mit einer Auflage von gegen 17 000 ist die WOZ immer noch ein Nischenprodukt. Aber sie ist heute eines der ganz wenigen übriggebliebenen Medienunternehmen der Schweiz, die weitgehend auf relevante politische Information und Meinungsbildung setzen. In der zurückhaltenden Geschichtsschreibung von Stefan Howald ist die Frage offen geblieben, wie die legendäre Risiko- und Konfliktfreude der WOZ-Redaktion die Lebenskrise von 2005 überstanden hat. Sie war jahrelang das herausragende Markenzeichen der WOZ. Frech und oft übermütig feierte sie Erfolge – und machte Fehler. Heute ist die Zeitung professioneller, ernsthafter, fehlerloser geworden. Die Schweiz braucht eine konfliktfähige, angriffige linke Gegenstimme. Mehr denn je.

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Zum Buch:

Stefan Howald. «Links und bündig. WOZ Die Wochenzeitung. Eine alternative Mediengeschichte.» Rotpunktverlag, Zürich 2018. Fr. 39.-.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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3 Meinungen

  • am 2.04.2018 um 12:45 Uhr
    Permalink

    Eigentlich könnte die WOZ sich im ehemaligen Feld des Tagi „um Haaresbreite links der Mitte“ ausbreiten. Dieser hat sich ja mit seinem Allerweltsjournalismus inzwischen um Haaresbreite am rechten Flügel positioniert.

  • am 2.04.2018 um 17:09 Uhr
    Permalink

    Ich habe die WOZ von allem Anfang an abonniert und freue mich, dass Stefan Howald das Buch geschrieben hat. Noch habe ich es nicht gekauft,, aber schon einige Rezensionen darüber gelesen. Dabei fällt mir auf: Als besonders tolle Hechte werden stets Niklaus Meienberg und Jürg Frischknecht genannt. Ich las aber besonders gern Artikel von Lotta Sutter oder Corinne Schelbert. Es gibt nämlich nicht nur Journalisten, sondern auch Journalistinnen. Wenigstens nennt Richard Aschinger den Namen von Susan Boos, die sich für den Job der Redaktionsleiterin «geopfert» hat.
    Marlies Strech, Zürich

  • am 3.04.2018 um 09:38 Uhr
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    Wo Gewinnstreben und Kampf um Marktanteile dominiert geht der Journalismus flöten! Schweizer Tageszeitzungen TA, BAZ, Blick, NZZ beweisen dies. TA Journalisten mit der latenten Schere im Kopf schreiben was der VR zulässt, Gerüchte über möglichen Verkauf das Tagblattes an Blocher kein Thema, keine Recherche. Bund, BAZ sind journalistische Almosenempfänger des TA. NZZ einst Leibblatt des liberalen Freisinns ist zum Geiferpapier der Rechten verkommen, im Zeitalter der Digitaliserung nicht mehr zwingend für die Wirtschaft! Blick wird gelesen, aber nicht wirklich wahrgenommen, ausser der Chefredaktor, Ritalinkandidat, hypert hinter Trump. In diesem Umfeld entsteht Platz für «Nischenprodukte» wie der WOZ, dem Infosperber, Medien die nicht dem Tagesgeschäft frönen müssen, keinen Shareholder verpflichtet sind, die neben Geld auch journalisitischen Gehorsam wollen! Peinlich für die Schweizer Medienlandschaft mit welchen Schlagwörtern sie den Kriechgang der letzten Jahre verkauft. Abbau der Redaktionen, Meinungen wird zur Bündelung der Kräfte. Neue wirklich innovative Medien entstehen kaum! REPUBLIK? Schön geschriebene Artikel mit «Ladies and gentleman» angekündigt, viel mehr nicht. WOZ hatte auch Irrläufe, die JournalistenInnen haben gewechselt und gelernt auch aus der «linken » Ecke ohne Scheuklappen und Goodwill für die eigene Klientel zu schreiben. Das was man bei den Mainstream-Blättern vermisst! Unabhängigen Journalismus nicht zur Selbstprofilierung und Einkommenssicherung!

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