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Louisville, bekannt für seine Skyline. Seine Wasser- und Luftqualität interessiert kaum mehr. © The Puck Fahter, Flickr, CC

Weniger Medien, weniger politisches Engagement

D. Gschweng /  Ein Reporter verlässt eine Lokalzeitung. Jetzt wird über Umweltanliegen in Kentucky kaum noch berichtet. Was das am Ende bedeutet.

Der «New Yorker» beklagt, dass im Zuge des Zeitungssterbens in Kentucky kaum noch über Umweltthemen berichtet wird. Studien bestätigen, dass das nicht das einzige ist, was dabei bachab geht. Die gesellschaftliche und politische Beteiligung in Regionen ohne lokale Medien sinkt merklich.

Beispielhaft erzählt der «New Yorker» dabei die Geschichte des «Louisville Courier-Journal», kurz «Courier-Journal» oder C-J genannt, der grössten Publikation im Bundesstaat Kentucky. 1952 war C-J die viertwichtigste US-Zeitung. Im Laufe der Zeit bekam sie zehn Pulitzer-Preise, unter anderem 1967 für eine Serie zur Kontrolle des Tagebaus in Kentucky. «Ein bemerkenswerter Fortschritt in den nationalen Bemühungen zur Erhaltung der natürlichen Ressourcen», befand die Jury. Seit 1986 gehört die C-J der Gannett Company, einem der grössten Medienkonzerne der Welt. Gannett besitzt mehr als 100 Medien, darunter auch «USA Today».

Die Themen blieben, das Personal nicht

Bedeutung, Auflage und Personalbestand des C-J sind seither ständig geschrumpft. Wichtige Geschichten waren dennoch möglich. 2015 schrieb James Bruggers, einer ihrer Reporter, über Mülldeponien, in denen waggonweise Klärschlamm aus anderen US-Staaten abgeladen wurde. Eine Praxis, die in der Folge geändert wurde. 2016 berichtete er über radioaktive Fracking-Abfälle und löste so neue Vorschriften aus. 2018 warf er das Handtuch und wechselte nach fast 20 Jahren zum Non-Profit «InsideClimate News», einem Onlinemedium mit nationalem Fokus.

Damit verlor das «Courier-Journal» seinen letzten Vollzeit-Umweltreporter. Bruggers Nachfolger wird Umweltthemen nach Angabe des Herausgebers nur noch etwa einen Viertel seiner Zeit widmen können.

Die zweitgrösste Publikation Kentuckys, der «Herald-Leader», beschäftigt einen Reporter, der sich gelegentlich Umweltthemen widmen kann. Er verwende darauf etwa zehn Prozent seiner Zeit, sagte Bill Estep dem «New Yorker». Grosse Themen, die eine ausführliche oder längerfristige Recherche erforderten, könne er nicht realisieren. Dabei gäbe es sie. Tom FitzGerald, Geschäftsführer des «Kentucky Resources Council», der sich für eine saubere Umwelt einsetzt, nennt mehrere Beispiele. In den nationalen Medien wie «USA Today» gingen lokale Probleme einfach unter, beklagt er.

Zum Zuhören ist keiner mehr übrig

Der Journalist Al Cross, der das «Courier-Journal» schon 2004 verlassen hat, bestätigt das. Er erzählt, wie eine aussergewöhnlich starke Überschwemmung auf seinem Grundstück vor kurzem grosse Schäden anrichtete. Er führt das auf vermehrten Holzschlag zurück, denn er sehe die immer zahlreicheren Holztransporter bei sich zuhause vorbeifahren. Der Fluss spült das Abfallholz den Berg hinunter, auch das sieht er. «Und wer schreibt darüber?», fragt er.

Wenn Leser solche Dinge berichten, wird den Hinweisen kaum mehr nachgegangen. Inzwischen rufen immer weniger bei der Zeitung an. Warum auch, es habe immer weniger Personal gegeben, um ihren Anrufen nachzugehen, erzählt Bruggers. Umwelt, das heisse auch, dass jemand anrufe mit Anliegen wie: «Hier gibt es unheimlich viele Fliegen, seit mein Nachbar eine Hühnerzucht hat».

Mehr Journalisten, weniger Tiefe

Personal gäbe es theoretisch genügend. Die Anzahl der Mitglieder der «Society of Environmental Journalists», Nordamerikas grösstem Verband für Journalisten aus den Bereichen Energie und Umwelt, hat sich in den letzten dreissig Jahren verdoppelt. Aber der Anteil derer, die bei Zeitungen angestellt sind, halbierte sich. Freischaffende hätten einige der Redaktionsaufgaben übernommen, aufwendige Recherchen seien ihnen aber schon aus wirtschaftlichen Gründen selten möglich, sagt die Geschäftsführerin Meaghan Parker.

Judy Petersen, ehemalige Geschäftsführerin der «Kentucky Waterways Alliance», bedauert Bruggers Wechsel. Ein nationales Medium habe nicht denselben Einfluss wie ein lokales, stellt sie fest. «Wenn etwas in der Lokalzeitung steht, nehmen andere Medien das Thema auf, die lokale Regierung wird aufmerksam, Leute stellen Fragen und gehen zu öffentlichen Anhörungen», sagt sie.

Am Ende nur noch Facebook

Nach einer Analyse der Presseagentur AP haben in den vergangenen 15 Jahren rund 14’000 US-amerikanische Städte eine Zeitung verloren. Während im vergleichsweise kleinräumigen Europa über schrumpfende Medienvielfalt diskutiert wird, gibt es in mehr als 2‘000 US-Gemeinden gar kein lokales Nachrichtenmedium mehr. Diese Rolle übernimmt nun Facebook. Der Social-Media-Gigant hat dennoch Schwierigkeiten, Lokalnachrichten für seinen Feed zu finden, weil niemand mehr darüber berichtet.

So weit ist es in Kentucky noch nicht. Doch das Angebot schrumpft. Kentucky hat 4,5 Millionen Einwohner, Louisville 750‘000. Der Einzugsbereich des C-J umfasst 19 Bezirke. Eine ehemalige Angestellte des C-J bemängelt, dass sich die Berichterstattung zunehmend auf den urbanen Raum um Louisville beschränke. Über die ärmeren Gebiete im kohlereichen Osten werde kaum noch berichtet. Die Folgen des Bergbaus sind neben den Auswirkungen der Forstwirtschaft Kentuckys wichtigstes Umweltthema.

Dennoch wurde eine Kohlesteuer zur Unterstützung von Kranken mit Staublunge, einer bei Bergleuten häufigen Krankheit, Anfang des Jahres eingestellt. Die Bergbauunternehmen im «Coal Country» sparen dabei Millionen. Sowohl Donald Trump wie auch der Senator von Kentucky, die sich sonst gerne hinter die Kohlekumpel stellen, haben dagegen nichts unternommen.

Weniger Medien, weniger soziales Engagement

Dünner werdende Berichterstattung hat nicht nur Einfluss auf Town Hall Meetings, Abfallgesetze und die Versorgung chronisch Kranker, sondern auf das gesamte politische Leben. Wo eine Lokalzeitung stirbt, nehmen die Beteiligung der Einwohner am öffentlichen Leben, das politische Engagement und die aktive wie passive Wahlbeteiligung ab. Das bestätigen Studien aus den USA. Das gleiche gilt auch für die Schweiz.

Nationale Medien in den USA konzentrierten sich politisch eher auf die Konflikte zwischen den beiden grossen Parteien und weniger auf ihre lokalen Vertreter, stellt eine Studie der «Nieman Foundation» fest. Das Mediensterben trage so zur politischen Polarisierung bei. Der Anteil der Wähler, die in der gleichen Wahl oder in aufeinanderfolgenden Wahlen Vertreter verschiedener Parteien gewählt haben, nehme da, wo eine Lokalzeitung eingestellt worden sei, spürbar ab. Eine andere Studie fand heraus, dass die kommunalen Kosten in medial schwach abgedeckten Gebieten steigen, weil die Kontrollfunktion der Medien fehlt.

Weniger Wähler, mehr Polarisierung

Auch die Wahlbeteiligung in schlecht abgedeckten Gebieten sinkt. Und zwar unabhängig vom politischen Engagement einer Wählergruppe, konnten zwei Forscher bei der Untersuchung von Daten zu den Midterms 2010 feststellen.

Generell gelten Alter, Bildungsgrad und Einkommen als Gradmesser dafür, wie hoch die Wahlbeteiligung ist, und die Beteiligung selbst gilt als Gradmesser für die Gesundheit einer Demokratie. Wer sich mit den aufgestellten Personen oder Parteien eher identifiziert und durch Parteien, Familie und Bekannte eher mobilisiert wird, geht öfter zur Wahl und lässt sich auch eher selbst als Kandidat aufstellen. Wer schlechter informiert ist, interessiert sich also weniger für Politik. Er spreche weniger darüber und drücke seine Meinung zu den Kandidaten seltener aus, schreiben die Autoren der Untersuchung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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