Prager_Fruehling

Bild aus den dramatischen Tagen im August 1968 in Prag © Common

Als Kameramann für CBS im «Prager Frühling»

Christian Müller /  50 Jahre nach dem dramatischen Einmarsch der Russen in Prag erinnern sich die Journalisten. Ein zweiter Erlebnisbericht.

Wenn wir zusammensitzen, am Abend, bei einem Glas Wein, manchmal auch bei einem Lagavulin oder einem Talisker, dann wird es meistens spät. Wir haben uns viel zu erzählen von unseren Reisen rund um die Welt, er, Detlef Ruge, der ehemalige Kameramann beim Südwestfunk in Baden-Baden, und ich, der ehemalige (und Noch-immer-)Journalist. Heute sind wir Nachbarn, und natürlich kamen wir in diesen Tagen auch auf den «Prager Frühling» zu sprechen, da, wo ein «Sozialismus mit menschlichem Antlitz» hätte entstehen sollen, und auf den Einmarsch der Russen im August 1968, also vor genau 50 Jahren, der dem «Frühling» ein abruptes Ende setzte und in einen «Winter» verwandelte. Für Detlef Ruge eine bleibende Erinnerung, weil er einer der ganz wenigen war, die damals vor Ort in Prag Film-Aufnahmen fürs Fernsehen machen konnten, für mich eine bleibende Erinnerung, weil meine Eltern damals Flüchtlinge aufnahmen und ich später, in den 90er Jahren, selber in Prag gearbeitet und gelebt habe.

Ja, so ganz beiläufig erwähnte Detlef an diesem Abend, er habe angefangen, für seine eigenen Nachkommen einiges über sein Leben niederzuschreiben. Da habe er auch über seinen Einsatz in Prag geschrieben, damals, als junger, freiberuflicher Kameramann und Tontechniker, im Einsatz in Prag im Auftrag des US-amerikanischen Fernseh-Unternehmens CBS. Das sei ganz schwierig gewesen, weil jede Nacht die damals üblichen 16mm-Filmstreifen aus der Tschechoslowakei heraus nach Wien geschmuggelt werden mussten, um möglichst bald im Westen gezeigt werden zu können. Das sei fast immer gelungen. Meist seien seine Filme schon zehn Stunden später in den USA im Fernsehen gezeigt worden. Ob ich diese seine Erinnerungen vielleicht lesen wolle?

Ich wollte. Und nach der Lektüre habe ich ihn gefragt, ob ich diesen Erlebnisbericht – niedergeschrieben für seine eigenen Verwandten – auszugsweise auch öffentlich machen dürfe. Ich darf.

Als Kameramann für CBS 23 Tage in der ČSSR

«Mit zwei Autos fuhren wir entlang der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze, konnten aber weder Flüchtlinge noch etwas Ungewöhnliches entdecken. Ich war mit meinem Fahrer und dem ganzen Kamerakrempel, Licht, Ton, Kassetten und Material alleine in einem Wagen und Udo Nesch und Peter Kalischer, meine Kollegen, mit der versteckten Beaulieu-Filmkamera in dem anderen Auto. Die Parole war ‹durchkommen›, egal wie, möglichst gleich bis Prag. An einem Grenzübergang gelang uns – getrennt – problemlos die Einreise in die ČSSR. Im Interhotel in Třeboň trafen wir uns wieder. Warum ich alleine mit den Sachen fuhr, ist mir erst später klar geworden. Die Amerikaner bezahlten ihre freien Mitarbeiter zwar sehr gut, aber im Notfall hätten sie mich auch über die Klinge springen lassen. Was waren das nur für Zeiten und welche Risiken bin ich da immer wieder eingegangen. Ich hoffte, bei guter Arbeit, sogar auf einen ständigen Job bei CBS, denn Deutsche und Franzosen standen da hoch im Kurs. Das waren für CBS die Leute, die alles machten und kein Risiko scheuten.

Von Třeboň ging es dann weiter Richtung Prag, bis ich vor einer russischen Strassensperre stand. Mir fiel das Herz in die Hosentasche, die erste Begegnung mit russischem Militär seit meiner Flucht als 20-Jähriger aus der DDR, sieben Jahre zuvor, im Jahr 1961. Wir mussten aussteigen, die Papiere zeigen und wurden durchsucht. Als die Russen die Koffer sahen, musste ich alles öffnen und ich hatte den Eindruck, sie wussten nicht, was das war. Ich fasste allen meinen Mut zusammen, bot ihnen eine Zigarette an, die sie auch nahmen, und redete stammelnd auf sie ein: Prag, Cedok (der Name eines tschechoslowakischen Reisebüros), Foto usw. Dann zog ich aus meiner Brieftasche Fotos von meiner Frau und den Kindern. Sie grinsten freundlich und zeigten auf meine Zigarettenschachtel, die ich immer noch in der Hand hatte. Ich gab sie ihnen, sie liessen von uns ab und gaben den Weg frei zur Weiterfahrt.

Die erste grosse Hürde war genommen und wir waren nun in dem von Russen und anderen Militärs besetzten Land. Auch die DDR war, wenn auch nur kurzfristig, an der Niederschlagung des «Prager Frühlings» beteiligt. Bis Prag, wo wir im Hotel Jalta am Wenzelsplatz verabredet waren, passierten wir noch zwei Checkpoints, kamen aber gut an. Kaum eingezogen, ging es zum Drehen zum Rundfunkgebäude, wo gerade die Barrikaden brannten. Die Menschen standen vor den Panzern und versuchten, sich mit den jungen, hilflos erscheinenden Soldaten zu verständigen, einige kletterten sogar rauf. An anderer Stelle wurde sogar geschossen. Einen ausgebrannten Panzer sahen wir ein paar Strassen weiter. Das tschechoslowakische Militär hatte sich grösstenteils auf die Seite der Aufständigen gestellt oder blieb ruhig. Am Abend war absolute Ausgangssperre, die Panzer fuhren über den Wenzelsplatz und schossen mit ihren MGs auf die Häuserfronten, wo sie Licht sahen. Auch unser Hotel Jalta bekam etwas ab. Ein Geschoss schlug über dem Bett eines schlafenden Journalisten ein. Als die Schiesserei begann, legte ich im Dunkeln schnell das laufende Tonbandgerät auf den Balkon und zog mich auf die Toilette zurück. Plötzlich war ich angstvoll an meine Kindheit erinnert, als die Kriegswalze über Schlesien kam. Ein Viertel-Jahrhundert war vergangen und schon wieder Krieg, Angst, Blut und Tränen in unserer unmittelbaren Nähe.

Aufgrund der Schiessereien zogen wir um die Ecke des Wenzelplatzes ins Hotel Alcron um. Hier waren alle ausländischen Korrespondenten und Teams versammelt und beäugten sich misstrauisch, wer zuerst eine neue Story hat. Am liebsten hätte man dem anderen noch die Autoreifen zerstochen. Das Lokal und die Bar waren ständig überfüllt, auch mit einschlägigen Damen. Ewiges Warten auf Kontaktleute mit Neuigkeiten und Kontrolle der Ticker war angesagt. Ich versuchte, mit der kleinen Beaulieu-Filmkamera, unter der Windjacke versteckt, einige Aufnahmen vom russischen Militär zu machen. An einer Strassenecke in Deckung filmte ich eine Panzerkolonne, als neben mir mit lautem Geratter von der anderen Strassenseite eine zweite Kolonne kam, in deren Blickfeld ich natürlich war. Ich drehte mich einfach mutig um und konnte die Soldaten gross filmen, sie winkten mir sogar. Dann wagten wir uns sogar vor das Russencamp am Bahnhof und wollten den Kommandanten sprechen. Peter Kalisher überzeugte sie und es gelang uns ein Interview. Wir durften sogar die Panzer und Geschütze filmen und die Vorbereitungen für ein Fest am Abend mit dem russischen «Bob Hope» als Unterhalter. Diese gelungene Story hat kein anderer Korrespondent bekommen.

Eine andere geglückte Story war ein Interview mit dem chinesischen Botschafter, der wie ein Verrückter tobte und über die Russen sauer war. Die Story wäre fast schief gegangen, wenn mir – als Finte – nicht am Tor eingefallen wäre, dass wir vom CBS, vom Canadian Broadcast System kommen, wie ich nun sagte. Als US-Amerikaner wären wir abgeblitzt, als ‹Kanadier› aber erschienen wir unverdächtig …

Wir erkundeten auch die Lage ausserhalb von Prag und fuhren mühsam zum Stahlwerk nach Kladno. Der Weg war schwierig zu finden, weil die Tschechen an allen Kreuzungen die Strassenschilder vertauscht hatten, um die Russen vom Weg abzubringen.

Das Stahlwerk war nicht besetzt. Der Direktor hatte sich geweigert, das Werk zu öffnen, und den Russen gesagt, dass alle Arbeiter hier gute Kommunisten seien und keine Konterrevolutionäre. Diese Worte hat er dann stolz über seinen Mut und Erfolg im Interview wiederholt. Auf der Rückfahrt kamen wir nicht mehr über die Moldau, alle Brücken waren gesperrt, nur Versorgungs- und Krankentransporte kamen durch. Peter suchte ein Telefon, kam nach einer Weile zurück und kurze Zeit darauf kam ein Lastwagen mit Kohlen. Die Kamera mit Material und ich wurden mit einer Decke unter den Kohlen versteckt und so durch die Absperrung geschleust. Wie das Auto mit Udo und Peter wieder ins Hotel kam, blieb mir verborgen. Nach diesem Erlebnis vermutete ich die CIA dahinter, die schützend ihre Hand über uns hielt. Beweisen kann ich es nicht.

Nach jeder Story wurde das Material von unseren Fahrern sofort zum Flughafen nach Wien gebracht. In Schwechat stand ein Jet mit vorrangigem Start- und Landerecht, der eine Film-Entwicklungsmaschine an Bord hatte. Wenn er in London angekommen war, wurde das bereits fertig entwickelte Film-Material sofort in die Staaten überspielt, wo es meist schon nach zehn Stunden in Amerika gesendet werden konnte. Die Nachrichten-Agenturen wie CBS, NBC, ABC liessen sich dieses alles viel kosten. Der erste und beste bringt die Zuschauer und den Gewinn.

Ganz anders war es mit unserem ZDF und ARD, sie waren immer zu spät an den Storys oder überhaupt nicht dran. Abends sassen sie aber auch in der Bar, wo Udo immer grosszügig ganze Flaschen bestellte und sich die Damen um ihn und uns scharten. Eine ‹Libuše› machte mich immer an und schenkte mir sogar ein Buch über Prag mit ihrer Widmung. Sie erhoffte sich durch den Kontakt wohl eine Heirat mit legaler Ausreise. Die Abende waren oft sehr teuer, aber wir hatten es ja durch unsere Dollars, die wir auf dem Schwarzen Markt in Unsummen zu Kronen wechselten. Damit konnten wir uns alles leisten, denn Rücktausch in Dollars war nicht mehr möglich.

Auch mit Tipps für Informanten, die wir mit CBS abrechneten, brauchten wir nicht zu sparen. Einer für 25 $ brachte uns eine einmalige Story ein. Ein tschechoslowakischer Informant berichtete mir von Raketenstellungen. Ich versprach ihm nochmals 25 $, wenn er mich dort hinbringe. Nach einigem Zögern war er bereit und wir fuhren los. Er sass mit dem Fahrer vorne und ich mit der Beaulieu unter der Fussmatte und einem aufgeklappten Taschenmesser hinter ihm, falls er uns reinlegen sollte. Wir fuhren sehr lange, dann aber sahen wir von der Strasse Kräne, die Raketen aufstellten. In grosser Entfernung sahen wir aber auch Russen auf der Strasse. Ich liess den Fahrer stoppen, die Motorhaube aufklappen und einen Motorschaden simulieren. Mit Deckung durch die Motorhaube drehte ich schnell zwei 30-Meter-Rollen von dem Aufbau der SS-20-Raketen. Der Fahrer klappte die Motorhaube wieder zu, startete den Wagen und dann fuhren wir mit einem Affenzahn an den auf uns zukommenden Russen vorbei, die völlig verblüfft waren und nicht mal zur Waffe griffen. Mit diesen 60 Metern Filmmaterial hatte ich erstmalig bewiesen, dass die Russen in der ČSSR Raketenstellungen installierten. Die Geschichte brachte mir bei Peter Kalischer grossen Respekt ein, ein lobendes Fernschreiben von CBS für die Aufnahmen und später die Erwähnung meiner Person in einem seiner vielen Bücher.

Der Höhepunkt der Storys war natürlich, als Alexander Dubček angeschlagen aus Moskau nach Prag zurückkehrte. Wir standen hinter dem Parlament, als er aus dem Auto ausstieg. Nur wenige Journalisten waren zugegen. Da wir nicht mit ihm ins Parlament durften, drückten wir einem Begleiter die Kamera in die Hand und baten ihn, für uns zu drehen. Ich machte die Blende auf und zeigte ihm den Auslöser an der Auricon-Kamera. Was sich im ZK abspielte, haben wir nie erfahren, aber nach zwei Stunden Wartezeit brachte man uns die Kamera zurück und tatsächlich war einiges von dem Filmmaterial brauchbar, wie uns später berichtet wurde. Ludvík Svoboda und Alexander Dubček wollten ein neues, freies System, ähnlich wie in Jugoslawien, ohne Bevormundung durch die Russen, was ihnen aber leider nicht gelang. Die Jugoslawen hatten sich als Ostblockstaat nicht an der militärischen Besetzung der Tschechoslowakei beteiligt. Auch die Rumänen, die den Flugplatz besetzt hatten, zogen als erste wieder ab. Wir drehten die Ankunft der ersten Maschine aus der Schweiz. Und der einzige Fluggast, der ausstieg, war der Vertreter für Pilsener Bier in der Schweiz.

Der «Prager Frühling» ging mit jedem Tag in einen schnellen Winter über. Wofür hatte sich ein Tschechoslowake vor den Panzern mit Benzin übergossen und verbrannt? Wofür starben etliche oder gingen hinter Gitter? Der Aufstand hat sich trotz aller Opfer doch gelohnt, weil er den Gedanken der Unabhängigkeit und Freiheit im Volk weiterleben liess. Selbst kleine Nadelstiche trugen dazu bei. Es gab zum Beispiel keine ‹russischen Eier› mehr. Und ein Soldat, der bewaffnet in das Alcron Restaurant kam, wurde vom Kellner einfach nicht bedient. Er versuchte sich mehrfach erfolglos Aufmerksamkeit zu verschaffen. Schliesslich nahm er seine Kalaschnikow, entleerte wütend das Magazin, knallte die Patronen auf den Tisch und verliess unter Gelächter der anderen Gäste das Restaurant. Selbst das gab es, aber mir war die Situation eher peinlich. Die Aggression traf wieder den Falschen.

Wir drehten noch in Brünn auf der Messe, in den Barrandov Filmstudios und in den Škoda-Werken und warteten sehnlich auf das Reserve-Team, das uns hier ablösen sollte. Die Situation beruhigte sich langsam und die alten Kräfte in Prag gewannen wieder Oberhand. An einem der letzten Tage ging ich noch in einem Kaufhaus meine letzten Kronen ausgeben. Ich kaufte wie ‹einer aus dem Westen› – und mir war eigentlich nicht gut dabei, weil mir die Blicke der Leute verrieten, was sie dachten, wie ich mit dem Geld umging. Eine Admira-Kamera, Sachen für Gerda und die Kinder und auch ein kleines GoKart für den Neffen Rainer. Alles wurde im vollgepackten Auto verstaut.

Es wurde auch für uns Zeit, zu verschwinden. Nach 23 Tagen standen wir wieder an der Grenze zu Österreich. Zur Sicherheit hatten wir uns in Brünn Messekarten besorgt, damit wir bei Kontrollen nicht als Journalisten auffielen. Die Grenzkontrolle wurde diesmal von Tschechoslowaken und Russen durchgeführt, die alles sehr genau nahmen. Auspacken! Was ist das? Während der Russe das GoKart inspizierte, fragte der Tscheche unauffällig: Wo ist das Filmmaterial? Zumindest er hatte uns und den Zweck unserer Reise erkannt. Was blieb mir übrig, als ihm den Koffer zu zeigen, sie untersuchten sowieso alles. Er nahm den Koffer aus dem Auto und stellte, ohne ihn zu öffnen, seinen Fuss darauf. Der Russe kontrollierte genau unsere Papiere, untersuchte weiter und diskutierte heftig mit den anderen Grenzsoldaten. Als sie endlich fertig waren, stellte der Tscheche den Materialkoffer wieder in das Auto und schloss den Kofferraum. Auch so konnte Widerstand aussehen. Die Tschechoslowaken waren daran interessiert, dass alle Informationen über die russische Aggression in den Westen gelangten. Wir hatten Glück mit dem restlichen Filmmaterial und kamen erleichtert und unbeschadet nach 23 Tagen in Wien an. Zeit für die Familie allerdings blieb kaum, denn schon zwei Tage nach Ankunft flogen wir nach Stuttgart und einen Tag später nach Lissabon, wo es in diesen Tagen wegen eines Schlaganfalls des damaligen Militärdiktators António de Oliveira Salazar ebenfalls zu massiven politischen Unruhen kam …»

(Ende des Berichts von Detlef Ruge)

Nein, wir hatten gerade kein Bier aus Pilsen zur Verfügung, sonst hätten wir, Detlef Ruge und ich, an diesem eher heissen als nur warmen Abend Anfang August 2018, wohl ein echtes Pils aus Tschechien getrunken. Wir öffneten eine Flasche «Erbaluce di Caluso», einen wenig bekannten Weisswein aus dem Piemont, den Detlef in den 1970er Jahren – ebenfalls als Kameramann vor Ort – kennengelernt hatte …

Und jetzt?

«Prager Frühling». Auch ich habe da meine Erinnerungen, ganz konkrete sogar. Denn nach diesen absolut dramatischen Tagen damals 1968 in Prag kehrten Zehntausende von Tschechoslowaken, die gerade ausserhalb der ČSSR in den Ferien weilten, gar nicht mehr in ihr Land zurück. Und Zehntausende, vor allem junge Facharbeiter und Wissenschaftler, flüchteten in den darauf folgenden Tagen und Wochen ausser Landes – allein auf dem Weg via Österreich waren es über 160’000 – in westliche Länder, viele auch in die Schweiz. Sie wurden überall herzlich willkommen geheissen und von hilfsbereiten Familien spontan aufgenommen. Auch meine Eltern – mein Vater war damals 63 und meine Mutter 55 – machten in ihrem bescheidenen Häuschen im Tannenhof in Neuenhof im Aargau ein Zimmer frei und nahmen ein junges Paar auf und beherbergten es viele Monate lang unentgeltlich und gaben den beiden jungen Leuten auch das Geld für die erforderlichen Lebensmittel und den Lebensunterhalt.

Es waren, nach heutiger Terminologie, Wirtschaftsflüchtlinge. Sie wären in der ČSSR nicht erschossen worden. Aber sie glaubten nach dem gescheiterten «Prager Frühling», in ihrem Land keine Perspektive mehr zu haben, und gingen – in ein Land, wo sie glaubten, eine Perspektive zu haben. Das hat dann auch tatsächlich geklappt. Der junge Mann, er war Elektroingenieur, fand bei der damaligen Motor-Columbus in Baden eine Anstellung.

Und wie geht man in der Tschechischen Republik heute mit Flüchtlingen um? Man weist sie, wie in allen vier Visegrád-Staaten, zurück und verweigert ihnen den Aufenthalt. Es seien ja «nur» Wirtschaftsflüchtlinge, keine «echten» Flüchtlinge also …

So schnell kann man die eigene Vergangenheit vergessen. Es stimmt mich traurig, manchmal auch richtig wütend …

  • Lesen Sie auch den Erlebnisbericht zum gleichen Thema des Schweizer Journalisten Erich Gysling, hier anklicken.

Ein weiterer Bericht von Urs P. Gasche, der drei Monate später in Prag weilte, folgt in den nächsten Tagen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Zum Autor. Christian Müller arbeitete in den 1990er Jahren als Generalmanager von Ringier CR in Prag und ist mit einer gebürtigen Tschechin verheiratet. – Es gibt keine Interessenkollisionen. Detlef Ruge war von 1966 bis 1970 freiberuflicher Kameramann für verschiedene Fernseh-Sender, ab 1970 festangestellter Kameramann beim Südwestfunk in Baden-Baden.

Zum Infosperber-Dossier:

Frher

«So hatte ich es erlebt»

Die ältere Generation berichtet authentisch, wie sie wichtige Ereignisse früher persönlich erlebt hatte.

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