WilhelmBrauneder

Der frühere Rechtsprofessor Wilhelm Brauneder leitet die FPÖ-Historikerkommission © ZIB1/ORF2

FPÖ-Historikerkommission sucht Heu im Heuhaufen

Jürg Müller-Muralt /  Die FPÖ will ihre Vergangenheit untersuchen. Die Eckpunkte der Geschichte von Österreichs Rechtspartei sind allerdings bekannt.

Es ist ein bemerkenswerter Vorgang: Die Regierungspartei eines EU-Staates legt an einer Medienkonferenz ein Bekenntnis zu den demokratischen Grundwerten ab, zu einer Selbstverständlichkeit also. Die Rede ist von der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), die zusammen mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) seit November 2017 eine Koalitionsregierung bildet. Der FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky hat Mitte Februar 2018 wortreich erklärt, dass sich seine Partei «vorbehaltlos zur Republik Österreich bekennt». Man sei auch gegen Gewalt, Totalitarismus, Rassismus und Antisemitismus. Gleichzeitig will die Partei mit einer Historikerkommission «die braunen Flecken abputzen», wie die Tamedia-Zeitungen es bezeichnen.

Wissenschaft oder Entlastungsmanöver?

Nichts gegen historische Forschung. Die Frage ist nur, ob es sich bei der Untersuchung tatsächlich um eine wissenschaftliche Veranstaltung handelt, oder doch eher um ein politisches Entlastungsmanöver. Wenn man wirklich in die Tiefe gehen wollte, dann wäre der Aufwand beträchtlich, wie ein Interview des Nachrichtenmagazins Profil mit der Sprachforscherin Ruth Wodak eindrücklich zeigt. Viel Erfreuliches dürfte nicht zum Vorschein kommen. Denn die Eckpunkte der Geschichte der FPÖ sind weitgehend bekannt: Die Partei hat immer klar rechte bis rechtsextreme Positionen vertreten. Die deutsche Tageszeitung taz bringt denn auch die Aufgabe dieser Historikerkommission mit einem Zitat des österreichischen Kabarettisten Florian Scheuba auf den Punkt: «Als wollte man in einem Heuhaufen das Heu suchen.»

Laufende Tabubrüche relativieren

Man braucht nicht einmal auf die Anfänge der Partei zurückzugreifen, die sind bekannt: Mitgegründet und in den ersten Jahren geführt wurde sie von einem ehemaligen NSDAP-Abgeordneten und SS-Brigadeführer. Man braucht auch nicht die Zitate des verstorbenen früheren Parteichefs Jörg Haider zur «ordentlichen Beschäftigungspolitik» des Dritten Reichs und zum Hoch auf die Treue und die Charakterfestigkeit der Waffen-SS-Kameraden auszugraben, um die ideologische Grundüberzeugung dieser Partei zu verstehen. Man muss bloss zwei Dinge tun: einen Blick auf das heutige FPÖ-Personal werfen und sich einige «Einzelfälle» der letzten Jahre in Erinnerung rufen. Denn von Einzelfällen, Missverständnissen, böswilligen Unterstellungen etc. sprechen jeweils die Parteioberen, wenn die ideologische Nähe zum Rechtsextremismus allzu klar an die Oberfläche kommt. Die Strategie der FPÖ liegt offen zu Tage: Lippenbekenntnisse zum demokratischen Rechtsstaat und eine Historikerkommission sollen die laufenden Tabubrüche relativieren, die bereits eine neue, sehr rechtslastige Normalität in der Alpenrepublik geschaffen haben.

Scharnierfunktion zu Neonazis

Zuerst zum Personal. «In etlichen Ministerien sitzen farbentragende, mensurenschlagende Alte Herren aus der rechten Parallelwelt der Burschenschaften in Schlüsselpositionen. Und in der FPÖ-Fraktion im Parlament sind nach Angaben des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) 20 der insgesamt 40 männlichen Abgeordneten ‘deutsch-völkisch Korporierte’ – also Mitglieder von Verbindungen, die laut DÖW oft eine Scharnierfunktion zwischen Deutschnationalismus und Neonazis erfüllen», schreibt das deutsche Online-Portal Kontext: Wochenzeitung. Besondere Erwähnung findet die Wiener Burschenschaft Olympia, die gemäss DÖW rechtsextrem und verstrickt sei «mit dem organisierten Neonazismus».

Die Burschenschaften als Kaderreservoir

Der österreichische Journalist Hans-Henning Scharsach analysiert in seinem Buch «Stille Machtergreifung», dass «keine der österreichischen Burschenschaften ihre Verwurzelung in den Traditionen des Nationalsozialismus so offen zur Schau trägt wie die Wiener Olympia, der einige der einflussreichsten FPÖ-Politiker angehören.» (Zitiert nach Kontext: Wochenzeitung). Zum Beispiel Norbert Nemeth, der im engsten Koalitionsverhandlungsteam mit der ÖVP sass. Doch die Burschenschaften gehören eben gerade nicht zum Untersuchungsgegenstand der Historikerkommission, obschon sie mit der FPÖ eng verbandelt sind.

Der Einfluss deutschnationaler Burschenschaften hat in der FPÖ in den vergangenen Jahren gerade unter Parteichef Heinz-Christian Strache zugenommen. Burschenschafts-Mitglieder sind mittlerweile zahlreich in der Führungsebene der Partei zu finden und nicht selten Bindeglied zur Neonazi-Szene. Die Burschenschaften bilden auch den unmittelbaren Anlass zur Schaffung der Kommission. Sie ist die Folge des Liederbuchskandals um den FPÖ-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl vom Januar 2018 in Niederösterreich, Udo Landbauer. Er hat mittlerweile die Konsequenzen gezogen und ist von allen politischen Ämtern zurückgetreten. Aus Landbauers Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt war ein Liederbuch mit Inhalten publik geworden, welche den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden verherrlicht.

NS-Propagandawortschatz

Bei der Präsentation der Historikerkommission, deren Mitglieder erst noch ernannt werden sollen, war auch Johann Gudenus anwesend. Gudenus ist geschäftsführender Klubobmann (Fraktionschef) der FPÖ im österreichischen Nationalrat – und gemäss Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes massgeblich für den rechtsextremen Charakter der FPÖ und ihrer Jugendorganisation verantwortlich. Er hat im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Einbürgerungen in Österreich vor einigen Jahren auch schon einmal von «systematischer Umvolkung» gesprochen. Der Begriff stammt aus dem NS-Propagandawortschatz.

EU als «Negerkonglomerat» bezeichnet

Den Vorsitz der Historikerkommission hat nicht etwa eine FPÖ-ferne Persönlichkeit inne, sondern Wilhelm Brauneder, früherer Rechtsprofessor und FPÖ-Politiker. Er wurde auch schon wegen seiner Tätigkeit als Autor der rechtsextremen Zeitschrift Aula kritisiert. Gleichzeitig ist eine Koordinationsgruppe eingesetzt worden, die gemäss Angaben der Partei den historischen Aufarbeitungsprozess «begleitet und steuert». Mit von der Partie sind unter anderem der bereits erwähnte Norbert Nemeth und Andreas Mölzer. Mölzer gilt als führender Ideologe der FPÖ, er selbst bezeichnet sich als «nationalliberalen Kulturdeutschen». Er sass mehrere Jahre als Abgeordneter seiner Partei im Europaparlament. Die EU ist für ihn ein «Negerkonglomerat» und eine «Diktatur», der gegenüber der NS-Apparat geradezu «formlos» und «liberal» gewesen sei.

1992 schrieb die österreichische Zeitung Der Standard über ein Referat von Mölzer: «Mölzer befürchtet vielmehr, dass die deutsche Volks- und Kulturgemeinschaft in der BRD und in Österreich ‚erstmals in ihrer tausendjährigen Geschichte‘ vor einer ‚Umvolkung‘ steht. Bisher sei die ‚biologische Potenz der Deutschen‘ immer stark gewesen, ‚um assimilierender Faktor‘ zu bleiben. Jetzt aber sieht er einen ‚überalterten und schwächeren Volkskörper, der dynamischeren Zuwanderern gegenübersteht‘. Daher dürfe nicht eine ‚amorphe Masse‘ Aufnahme finden, die Menschen sollten bereits im Ausland überprüft werden. Sonst könnte ‚eine ethnische, kulturelle Umvolkung‘ erfolgen.» (Zitiert nach Wikipedia).

Lauter Einzelfälle?

Und nun zu den Einzelfällen. Das Mauthausen Komitee Österreich (MKÖ) hat noch vor den Wahlen des vergangenen Jahres allein für die Zeit zwischen 2013 und 2017 eine bestens dokumentierte, aber keineswegs vollständige Zusammenstellung zu 60 rechtsextremen Aussagen und Handlungen von FPÖ-Politikern veröffentlicht («Die FPÖ und der Rechtsextremismus: Lauter Einzelfälle?»). Die Dokumentation bestätigt, was der MKÖ-Vorsitzende Willi Mernyi jüngst in einer Medienmitteilung geschrieben hat: «Da können Bundeskanzler Sebastian Kurz und andere noch so oft behaupten, die FPÖ habe sich gemässigt. Tatsächlich ist sie unverändert rechtsextrem, antisemitisch und menschenverachtend – eine massive Belastung für Österreich».

Einige Beispiele aus der MKÖ-Dokumentation in Kürzestzusammenfassung:

  • 2013: Ein FPÖ-Gemeinderat verbreitet auf Facebook ein Foto der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Davidstern und der Beschimpfung «Vaterlandsverräterin».
  • 2014: Die FPÖ Kärnten lehnt im Landtag als einzige Partei die Errichtung einer Gedenkstätte für die NS-Opfer im ehemaligen Gestapo-Hauptquartier in Klagenfurt ab.
  • 2014: Ein FPÖ-Ortsparteichef verbreitet auf Facebook rassistische Propaganda. Er postet: «Menschen sind wie Bananen … Keiner mag die Schwarzen!»
  • 2014: Ein FPÖ-Nationalrat beschimpft Flüchtlinge auf Facebook als «Erd- und Höhlenmenschen».
  • 2015: Ein FPÖ-Gemeinderat beschimpft Flüchtlinge auf Facebook als «Menschenmaterial», das «für Europa komplett wertlos und problembehaftet» sei.
  • 2015: Ein FPÖ-Bezirksvorsteher bedankt sich auf Facebook bei «Unsterblich», einer Neonazi-Bande, für die Unterstützung seiner Fussballmannschaft.
  • 2015: Ein FPÖ-Gemeinderatskandidat verherrlicht Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess als «Märtyrer».
  • 2015: Eine kommunale FPÖ-Fraktionschefin schreibt auf Facebook über Flüchtlinge: «Zu viele Parasiten töten den Wirt!»
  • 2016: Ein FPÖ-Gemeinderat schreibt auf Facebook, es sei ihm «eine Ehre, auch Nazi genannt zu werden».
  • 2016: Ein FPÖ-Landeshauptmann ehrt in einer Festrede den NSDAP-Politiker und SS-Brigadeführer Anton Reinthaller. Reinthaller war nach dem Zweiten Weltkrieg Gründungsmitglied und erster Parteichef der FPÖ.
  • 2017: Die FPÖ Oberösterreich richtet auf ihrer Website eine «Meldestelle» ein: Sie fordert Schülerinnen und Schüler auf, dort Lehrkräfte einzutragen, die sich kritisch über die FPÖ äussern.
  • 2017: Ein Mitglied einer FPÖ-Bezirksparteileitung gratuliert Adolf Hitler auf Facebook zum Geburtstag: «Happy Birthday, Adolf!»

Alles nur Einzelfälle? Auch ohne die Ergebnisse der parteieigenen Historikerkommission ist der Fall klar: Die FPÖ ist eine schwer rechtsextremistisch verseuchte Organisation.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Rechtsextreme in Europa

Arbeitslosigkeit, Immigration und zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich sind Nährboden für Extremismus.

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