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Katalanen demonstrieren in Barcelona für die Loslösung von Spanien © tagesschau.de

Katalonien: Wettlauf in die Sackgasse

Alexander Gschwind /  Im Separatisten-Konflikt in Katalonien ist eine Lösung immer unwahrscheinlicher. Die Vermittlung Dritter könnte die Lage beruhigen.

Der Barceloneser Krimiautor und Romancier Manuel Vazquez Montalban, geistiger Vater des Gourmet-Detektivs Pepe Carvalho, mokierte sich jeweils mit einem sarkastischen Witz über die Wundertätigkeit des katalanischen Nationalismus: Zwei Spezi laden ihren taubstummen Freund zum Derby gegen den Erzrivalen Real Madrid in den Fussball-Tempel Camp Nou. Als der Heimklub das erste Tor schiesst, reisst es den Taubstummen vom Sitz und der schreit aus voller Kehle «Vic Barça, Barça! – es lebe der FC Barcelona» Seither soll er jedes Wort Katalanisch verstanden und die Sprache fliessend gesprochen haben. Wurde er aber auf Kastilisch angesprochen, zeigte er sich weiterhin taub und brachte kein Wort über die Lippen.
Von solcher Selbstironie ist inzwischen in Barcelona kaum mehr etwas zu spüren, macht sich dort doch in letzter Zeit wachsende Verbiesterung und Verbitterung breit seit die katalanische Regionalregierung schon zum zweiten Mal innert weniger Jahre eine Abstimmung über die Loslösung vom spanischen Zentralstaat angesetzt hat, ohne die verfassungsmässigen Regeln zu beachten. Prompt wurde der Urnengang vom Verfassungsgericht auf Betreiben der Madrider Regierung verboten und alle Vorkehrungen dafür unter Strafe gestellt.
Urnengang ohne Regeln und Kontrollen
Weil sich der katalanische Premier Puigdemont und sein Kabinett davon unbeeindruckt zeigten, fuhr der spanische Regierungschef Rajoy letzte Woche noch schwereres Geschütz auf. Vierzehn hochrangige Funktionäre der Regionalverwaltung wurden vorübergehend verhaftet, mehrere Gebäude in Barcelona durchsucht, Katalonien seiner Finanzhoheit beraubt und die autonome Polizei dem direkten Kommando des Madrider Innenministeriums unterstellt.
Damit sieht sich die katalanische Selbstverwaltung praktisch jeglicher Handlungsfähigkeit beraubt. Wie unter solchen Umständen ein auch nur halbwegs regulärer und repräsentativer Urnengang stattfinden soll, wird immer schleierhafter. Daran sind allerdings auch die katalanischen Behörden selbst alles andere als unschuldig. Erinnern ihre Methoden und Vorgehensweisen mehr an Konzepte einer Bananenrepublik denn an ernst zu nehmende politische Anliegen.
Bei den Razzien wurden unter anderem fast zehn Millionen Stimmzettel beschlagnahmt – weit mehr als Katalonien Einwohner, geschweige denn Stimmberechtigte hat! Ganz abgesehen davon, dass die von den regionalen Behörden erstellten Stimmregister keinerlei unabhängigen Kontrollen unterstehen und die Wahlteilnahme äusserst laschen Regeln unterliegt, die alle rechtsstaatlichen Grundregeln verspotten: Abstimmen darf jede und jeder, der den Stimmzettel aus dem Internet herunterlädt und zusammen mit der Kopie seines (spanischen!) Passes oder Personalausweises in einen selbst zu kaufenden Umschlag steckt. Betrug und Manipulationen sind damit Tür und Tor geöffnet wie schon bei der letzten solchen Abstimmungsposse vor vier Jahren – als trotzdem nur ein knappes Drittel der Katalanen ihre Stimme abgaben und die Spanientreuen den Urnengang boykottierten.
Auch in unabhängigen Meinungsumfragen erzielten die Separatisten bisher noch nie eine eindeutige Mehrheit. Trotzdem werden sie nicht müde sich auf ein eindeutiges Mandat der katalanischen Öffentlichkeit zu berufen – was immer sie darunter verstehen mögen. Besteht doch die Hälfte der katalanischen Bevölkerung aus Zuwanderern aus anderen iberischen Regionen oder zunehmend auch aus dem Ausland.
Abseits der EU keine wirtschaftlichen Perspektiven
Dass eine einseitige Unabhängigkeitserklärung Kataloniens keinerlei realpolitische Perspektiven hat, wird dabei systematisch ausgeblendet. Die Brüsseler Kommission hat schon sehr früh klargestellt, dass ein unabhängiges Katalonien automatisch aus der Europäischen Gemeinschaft ausscheiden würde und auch nicht mehr den Euro als Zahlungsmittel verwenden dürfte. Die stark export-abhängige Industrie Kataloniens stünde plötzlich wieder vor hohen Zollschranken und die Katalanen blieben auch vom freien Personenverkehr des Schengenraumes ausgeschlossen. Der Identitätsträger FC Barcelona würde bloss noch in der katalanischen Regional-Liga gegen Girona, Lerida, Tarragona oder Figueres kicken und müsste sich die UEFA Champions League auf alle Zeiten abschminken.
All dies müsste für sich allein zumindest nüchterne katalanische Patrioten zur Vernunft bringen, und viele davon zeigten denn auch bis vor Kurzem Skepsis gegenüber den Provokationen separatistischer Hardliner. Die unnötig harten und unflexiblen Reaktionen Madrids und das aufgeheizte Klima lassen solche Stimmen der Vernunft allerdings im Schlachtgetümmel untergehen. Zumal auch auf spanischer Seite kaum mehr echte Dialogbereitschaft spürbar ist.
Vor einem Jahr hatten die Sozialisten dem Konservativen Rajoy zwar mit ihrer Enthaltung nur unter der Bedingung zu einem zweiten Regierungs-Mandat verholfen, dass er sich künftig dialogbereiter zeige. Dass ihnen der selbstgefällige Premier seither immer wieder die Nase drehte und seinem vorgestrigen Weltbild aus der Mottenkiste des Diktators Franco unbeirrt treu blieb, nahmen sie angesichts der Zerstrittenheit in den eigenen Reihen mit flauer Ohnmacht hin. In der Katalonienfrage stützen sie dem Regierungschef mit ihren eigenen zentralistischen Ticks gar den Rücken. Nicht zuletzt, weil ihre ärmlichen Hochburgen im Süden auf den Finanzausgleich aus dem reichen Norden – also auch Katalonien – angewiesen bleiben.
Dass der letzte Anlauf zu einem Ausbau der katalanischen Selbstverwaltung vor zehn Jahren von einer Parlaments-Mehrheit unter ihrem letzten Premier Zapatero abgesegnet wurde und nur durch eine Verfassungsklage der Konservativen gestoppt wurde, wird dabei geflissentlich verdrängt. Selbst die links-alternative Bewegung Podemos steht irgendwie zwischen den Stühlen und beschränkt sich auf die vielsagende Beschwörung eines katalanischen Selbstbestimmungsrechts, ohne dessen Voraussetzungen wohlweislich näher zu definieren.
Föderalistisches System statt Autonomiestaat
All dies erhöht die Ansteckungsgefahren der aktuellen Eskalation mit dann tatsächlich hohem Zerreisspotential für den gesamten spanischen Staat. War im jahrzehntelang aufgewühlten und terrorgeplagten Baskenland in den letzten Jahren langsam Ruhe eingekehrt und haben dort heute gemässigte Stimmen das Sagen, mehren sich nun doch wieder Zeichen für erneute Radikalisierung unter dem Eindruck der Konfrontation in Katalonien. Auch von den Balearen und aus Valencia kommen Signale der Solidarisierung mit den Separatisten.
Dass der Konflikt mit freiwilliger Rückkehr zu Vernunft und Dialog von den Streitparteien noch aus eigener Kraft lösbar ist, wird mit jedem Tag unwahrscheinlicher. Also wird früher oder später die Frage nach irgendeiner Form internationaler Vermittlung aufs Tapet kommen müssen. Im Baskenland haben irische Mediatoren mit ihrer Erfahrung bei der Beschwichtigung des Ulster-Konfliktes viel zur Beruhigung der Lage beigetragen. Ähnliches wäre auch in Katalonien von Nöten. In Madrid wiederum müsste endlich die Einsicht wachsen, dass die Weiterentwicklung des spanischen Autonomienstaates zu einem echt föderalistischen System überfällig ist. Ansonsten droht der spanische Vielvölkerstaat dereinst seinen eigenen Widersprüchen und Zentrifugalkräften zum Opfer zu fallen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Alexander Gschwind war Spanien-Korrespondent bei Schweizer Radio DRS (heute SRF). Er ist Autor des Buches «Diesseits und jenseits von Gibraltar». Wer sich für die Länder Spanien, Portugal, Marokko, Algerien oder Tunesien interessiert, findet in diesem Buch nötiges Hintergrundwissen.

Zum Infosperber-Dossier:

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