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Recep Tayyip Erdogan verletzt im Mittelmehr die Seerechte © Tagesschau

Neuer hochbrisanter Nervenkrieg im östlichen Mittelmeer

Amalia van Gent /  Die Türkei und Libyen schliessen einen militärischen Beistandspakt und teilen Öl und Gas im östlichen Mittelmeer unter sich auf.

Seit Anfang Dezember eskaliert im östlichen Mittelmeer ein Konflikt, der gleich mehrere Anrainerstaaten in ein bewaffnetes Abenteuer zu stürzen droht. Die Krise setzte mit einem geostrategischen Powerplay der Türkei ein. In der ersten Dezemberwoche zwang die türkische Kriegsmarine das israelische Forschungsschiff Bat Galim, welches im Auftrag der zyprischen Regierung innerhalb der zyprischen Territorialgewässer seismographische Forschungen führte, unter Androhung von Gewalt nach Israel zurück. Zeitgleich machte der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu in Ankara die Absichten seiner Regierung kund: Die Türkei würde «selbstverständlich» Gewalt anwenden, um «unerlaubte Aktivitäten» in der von ihr beanspruchten maritimen Wirtschaftszone zu verhindern. Der türkische Aussenminister meinte damit das gesamte Gebiet rundum die Mittelmeerrepublik Zypern. Keine Woche später jagten israelische Kampfjets des Typ F-35s ein türkisches Bohrschiff aus demselben Gebiet fort. Auch diese Machtdemonstration sollte nicht weniger symbolträchtig sein: Israel verfügt heute, im Gegensatz zur Türkei, über den F-35, der das modernste Jagdflugzeug im westlichen Rüstungsmarkt ist.

Jerusalem war nicht bereit, sich den Androhungen aus Ankara zu beugen: Anonyme israelische Quellen liessen durchblicken, dass das Forschungsschiff Bat Galim bald seine Arbeiten vor Zypern wieder aufnehmen würde, diesmal in Begleitung einer F-35 Staffel. Mitte Dezember führten die zyprische, französische und italienische Kriegsmarine vor der Küste Zypern ein gemeinsames Militärmanöver durch. In der dritten Dezemberwoche verletzten laut der meist gut informierten griechischen Tageszeitung Kathimerini türkische Kampfjets massiv den griechischen Luftraum und waren in sogenannte «dogfights» verwickelt, jene gefährlichen Abfangmanövern, die unblutig enden, solange die betroffenen Piloten die Nerven nicht verlieren.

Das Internationale Seerecht auf den Kopf gestellt

Diese Krise geht auf zwei Abkommen zurück, auf die sich die Türkei und Libyen Ende November geeinigt hatten: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der Premier der international anerkannten libyschen Einheitsregierung Fayez Sarraj tagten im am Bosporus gelegenen osmanischen Sultanspalast Dolmabahce über zweieinhalb Stunden lang zusammen, bevor sie ihrer Öffentlichkeit den erfolgreichen Abschluss zweier bilateralen Memoranden verkündigten. Das erste betrifft die Neuziehung der gemeinsamen Seegrenzen. Geographisch sind die Türkei und Libyen bekanntlich keine Nachbarn. Nichtsdestotrotz zogen die zwei Regierungschefs durch das östliche Mittelmeer einen geraden imaginären Seekorridor, der ihre Länder zusammenverbindet, und teilten sämtliche darin entdeckten oder vermuteten Ressourcen unter sich auf. Erdogan und Sarraj ignorierten dabei demonstrativ, dass innerhalb ihres deklarierten Korridors bewohnte griechische Inseln liegen wie Kastellorizo und Kreta und dass sie damit das internationale Seerecht verletzen.

Die Aufteilung des Mittelmeers nach Erdogans Vorstellungen (Grafik nach Büsra Öztürk).

Erdogan und Sarraj, jeder aus ganz persönlich unterschiedlichen Gründen, hatten es offensichtlich eilig, sich politisch zu positionieren: Seitdem vor der Küste Israels, Ägyptens und Zyperns riesige Gasvorkommen vermutet oder entdeckt wurden, bekundet die Türkei immer lauter den Anspruch, ihre Kontrolle über diese Öl- und Gasvorkommen ausbauen zu wollen. Dabei demonstrierte Ankara gerne seine militärische Überlegenheit im östlichen Mittelmeer und liess mit türkischen Kriegsschiffe immer wieder Erkundungsbohrungen vor Zypern behindern.

Das Verhalten der türkischen Führung hat sich seit Ende November aber qualitativ verändert: Nun spricht Ankara der Republik Zypern faktisch jedes Recht auf eigenständige Förderung seiner Ressourcen ab. Denn Zypern, so die türkische Auslegung, liege auf dem türkischen Kontinentalsockel und jede Suche oder Förderung der Rohstoffe durch Zypern verletze infolgedessen die Rechte der Türkei und der von Ankara geschützten Inseltürken.

Das türkisch-libysche Abkommen habe das Machtverhältnis im östlichen Mittelmeer grundlegend verändert, frohlockte zunächst die regierungsnahe Tageszeitung Sabah. Nach dem Abschluss dieses Memorandums könne weder Israel noch Ägypten, Griechenland oder ein anderer Anrainerstaat «ohne die ausdrückliche Billigung aus Ankara» seine Ressourcen auf den Weltmarkt bringen, bestätigte auch der türkische Aussenminister. Die Ziehung der türkisch-libyschen Seegrenze macht tatsächlich den Bau einer geplanten Pipeline, die Gas aus Israel, Ägypten und Zypern nach Europa transportieren würde, vorerst unmöglich.

Das «Dolmabahce-Memorandum» hat deshalb nicht nur die betroffenen Staaten Israel, Ägypten, Griechenland und Zypern in Alarmbereitschaft versetzt. «Das Memorandum verletzt die Hoheitsrechte von Drittstaaten und steht nicht im Einklang mit dem Seerecht. Daher kann es keinerlei Rechtsfolgen für Drittstaaten haben», lautete eine EU-Erklärung. Schliesslich sind Griechenland und Zypern Mitgliedstaaten der EU. Alarmiert erklärte auch die US-Regierung das Memorandum einen «provokativen» Deal, während der Sicherheitsexperte Craig Hooper von einer «aggressiven Landnahme auf Hoher See» sprach.

Noch wähnt sich der türkische Präsident aber offensichtlich in der Gewissheit, dass die Weltgemeinschaft wie ein hilfloser Papiertiger kaum bereit sei, ihn zur Aufgabe seiner Pläne zu zwingen. Erdogan möchte kurz vor dem 100. Jahrestag der Gründung der Republik Türkei als der grosse Volksführer in die Geschichte eingehen, der einen Teil des reichen Kuchens vom östlichen Mittelmeer für seine Nation errungen hat. Dafür nimmt er die lauten Proteste der Anrainerstaaten in Kauf und begründet seine Haltung gar damit, dass sie sich in einer Allianz aus 13 Ländern zur Förderung der riesigen Erdölvorkommen im östlichen Mittelmeer zusammengeschlossen hätten, ohne die Türkei zu berücksichtigen. So demonstrierte Erdogan Entschlossenheit und liess letzte Woche unbemannte Drohnen im völkerrechtlich nicht anerkannten türkischen Nordzypern stationieren. Damit eskalierte der Konflikt auch militärisch eine Stufe weiter.

Riskantes militärisches Beistandsabkommen

Auch der Premier der international anerkannten libyschen Einheitsregierung Fayez Sarraj hatte es Ende November eilig. Ihm ging es allerdings weniger um die Aufteilung der Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer. Für ihn war vor allem das zweite bilaterale Abkommen, ein militärischer Beistandspakt, von Bedeutung. Dieser erlaubt der Türkei neben der Lieferung von Waffen auch die Stationierung türkischer Soldaten in Libyen. Sollte Tripolis darum fragen, wäre die Türkei bereit, türkische Truppen nach Libyen zu schicken, sagte der türkische Präsident. Das hat laut Presseberichten aus Tripolis der libysche Premier inzwischen getan.

Premier Fayez Sarraj hat das Sagen nur in der libyschen Hauptstadt Tripolis. Ein Grossteil seines vom Bürgerkrieg erschütterten Landes wird vom Warlord Khalifa Haftar kontrolliert und dieser hatte vor wenigen Tagen zum Sturm auf Tripolis aufgerufen. Eine aktive türkische Einmischung im libyschen Bürgerkrieg ist für Sarraj deshalb eine existentielle Frage, geht es doch um nichts weniger als um sein Überleben. Mischt die Türkei aktiv mit, könnte sie aber Libyen in ein neues bewaffnetes Abenteuer stürzen: Denn Haftar wird von Ägypten und Saudi Arabien, von den Vereinigten Emiraten, von Frankreich und insbesondere auch von Russland unterstützt. Ein Konflikt mit Russland würde zudem für die Regierung Ankara teuer zu stehen kommen.

Der Kommentator der regierungsnahen Zeitung Sabah Serkan Demirtas fasste das Libyen-Dilemma Erdogans so zusammen: Beide Abkommen hingen direkt miteinander zusammen. Denn nur ein Überleben des libyschen Premiers könnte der Türkei garantieren, das östliche Mittelmeer und die dort vermuteten Öl- und Gasvorkommen zu kontrollieren. «Eine Niederlage Fayyez Sarrajs käme somit einer Niederlage der Türkei gleich». Eine De-Eskalation dieses hochbrisanten Konfliktes ist damit noch schwieriger geworden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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4 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 22.12.2019 um 18:01 Uhr
    Permalink

    Nicht vergessen. 2027 ist der zwei-hundertste Jahrestag der Seeschlacht von Lepanto bei der die Engländer und Franzosen einen wesentlichen Teil der osmanischen Flotte vernichteten. Hier gibt es noch jede Menge offene Rechnungen.

  • am 23.12.2019 um 08:15 Uhr
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    Erdogan wartet doch nur darauf, der Nicht-NATO-Welt zu demonstrieren, wie die westliche Welt der Türkei den Bündnisfall verweigern wird.
    Hier im dekatdenten Europa wird uns dies keine grossen Schlagzeilen bescheren, aber im Rest der Welt wird es grvierende Folgen haben.

  • am 24.12.2019 um 14:52 Uhr
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    Mich würde aber auch interessieren, was die anderen Staaten(-bunde) İsrael/USA, Griechenland bzw. Zypern (also EU) im Schilde führen (könnten). Das würde, denke ich, zum relevanten Kontext gehören. Denn es ist ja wohl zumindest naheliegend, dass die israelische Bat Galim nicht einfach «seismografische Forschungen» zum Wohle der Wissenschaft führt. Die Forschungen dienen da doch ganz klar geostrategischen und militärischen İnteressen. Zudem hat doch der Despot in Ankara nicht unrecht, wenn er beklagt, dass sich eine Allianz aus 13 Ländern zur Förderung der riesigen Erdölvorkommen im östlichen Mittelmeer zusammengeschlossen hat, ohne die Türkei zu berücksichtigen. Solange wir noch so tun, als wären uns geostrategische Interessen egal, weil uns nur Demokratie und Menschenrechte wichtig sind, werden sich Typen wir Erdogan nie zusammenreissen. Solange wird nämlich der bestimmen, der das stärkere Militär hat.

  • am 26.12.2019 um 20:43 Uhr
    Permalink

    Zypern wurde ohnehin den Türken entrissen. Natürlich von Grossbritannien. Auch ohne Sympathie für den türkischen Präsidenten, es war sein Territorium. Die andern hätten dort eigentlich nichts verloren. Mit dem russischen Präsidenten sollte er es sich allerdings besser nicht verscherzen.

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