Broggi

«Subventionen machen dumm»: Mario Broggi, Naturschützer, früherer Cipra-Präsident © Ruedi Schachenhofer

«Die Alpen sind nicht erneuerbar»

Hanspeter Guggenbühl /  Die Zitrone Wasserkraft ist ausgepresst. Mehr Nutzung liegt nicht drin. EuroNatur-Preisträger Mario Broggi im Interview.

Der Alpenbogen zwischen Wien und Nizza ist das Wasserschloss Europas. Gletscher und Seen speichern die Niederschläge und glätten die Abflussspitzen der Flüsse bis ans Meer. Wilde Bäche und mäandrierende Flüsse formten die Landschaft und bildeten die Grundlage für eine vielfältige Natur- und Kulturlandschaft, in der 12 Millionen Menschen aus sechs Nationen leben.

Doch Eingriffe der Zivilisation bringen diesen natürlichen Wasserhaushalt aus dem Lot: Mit der Erwärmung des Klimas schmelzen die Gletscher. Die Eindämmung der Flüsse lässt das Wasser schneller (über)laufen. Kraftwerke und Tourismus graben der Natur viel Wasser ab. Die Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten verarmt.

Konflikt zwischen Naturschutz und Wasserkraft-Nutzung spitzt sich zu

Dem «Wassertrog Alpen» und seinen Bedrohungen widmete sich die Jahresfachtagung der internationalen Alpenschutzkommission Cipra, die letzte Woche in Bozen/Bolzano im Südtirol stattfand. Im Mittelpunkt stand der Gegensatz zwischen Wasserkraftnutzung und Naturschutz. Denn dieser alte Konflikt verschärft sich, seit die europäischen Staaten unter dem Titel «Energiewende» den Umstieg auf erneuerbare Energie vorantreiben.

Unter dem Titel «Plädoyer für den Mäander» hielt Mario Broggi das Eröffnungsreferat. Der studierte Forstingenieur und freischaffende Freilandökologe Broggi war lange Jahre Präsident der Cipra. Von 1997 bis 2004 leitete er als Direktor die Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Für sein vielseitiges Schaffen zum Schutz der Natur erhielt der 67jährige am 9. Oktober den EuroNaturpreis 2013. Mit Mario Broggi sprach infosperber-Mitarbeiter Hanspeter Guggenbühl:

Die Energiewende erfordert einen Ausbau der erneuerbaren Stromproduktion. Dazu gehört auch die Nutzung der Wasserkraft. Ihnen, Herr Broggi, macht das Angst. Warum?

Mario Broggi: Wasserkraft ist zwar erneuerbar, aber die betroffene alpine Landschaft ist es nicht. Die Nutzung der sauberen Wasserkraft zur Elektrizitätserzeugung hat ihre Kehrseiten: Lebendige Bäche werden zu trockenen Geröllbetten abgewertet. Staudämme und Staustufen wandeln dynamische Wasserlandschaften und Naturräume um zu monotonen Abflusskanälen. Die Vielfalt an Lebensräumen für Menschen, Tiere und Pflanzen nimmt ab. Gewisse Wasserkraftanlagen, insbesondere solche mit grossen Sedimentfrachten, hätte man nie bauen dürfen.

Neue Wasserkraft-Projekte müssen heute strengere Vorschriften zum Schutz der Natur erfüllen. Bringt das keine Verbesserung?

Die Wasserkraft hat ihren Obolus zur Stromerzeugung längst geleistet. In den Schweizer Alpen zum Beispiel erfassen Wasserkraftwerke bereits 90 Prozent des technisch nutzbaren Potenzials. Die Zitrone ist ausgepresst. Entsprechend gering ist der Grenznutzen aus den verbleibenden zehn Prozent. Wenn wir die Stromerzeugung aus Wasserkraft nochmals steigern wollen, so bedeutet das den Tod für unsere Bäche und Flüsse.

«Subventionen erhöhen den Druck zur Wasserkraftnutzung»

Diese Entwicklung wird finanziell gefördert, in der Schweiz durch die kostendeckende Einspeisevergütung, die neben Solar- und Windstrom auch Strom aus kleinen Wasserkraftwerken quersubventioniert. Das Parlament hat die Abgabe zur Finanzierung dieser KEV kürzlich auf 1,5 Rappen pro Kilowattstunde Stromkonsum erhöht. Was halten Sie davon?

Solche Subventionen erhöhen natürlich den Druck zur zusätzlichen Wasserkraftnutzung. Das ist fatal, aber leider kein Einzelfall. Die Stiftung für Landschaftsschutz hat bereits im Jahre 2001 den schleichenden Boden- und Naturverzehr durch Subventionen untersucht und beklagt. Ich würde das generell noch zuspitzen: Subventionen machen dumm. Denn Subventionen werden abgeholt, unabhängig vom Sinn oder Unsinn, unabhängig davon, ob sie nützen oder schaden. Subventionen verstärken das Bestehende und verhindern damit die Entwicklung von Alternativen.

Immerhin zweigt die Schweiz 0,1 Rappen von diesen 1,5 Rappen ab, um mit dem Ertrag die Gewässer zu renaturieren.

Die Stossrichtung dieser Massnahme ist gut. Wir erhalten damit eine Sockelfinanzierung für Reparaturarbeiten. Dabei muss man aber auch die Zeit in Rechnung stellen. Die Reparatur aller beeinträchtigten Gewässer müsste mit der Finanzierung aus diesen Beiträgen Jahrhunderte dauern.

Opposition gibt es nicht nur gegen die zusätzliche Nutzung der Wasserkraft. Auch Windkraftwerke und Solaranlagen auf Freiflächen stossen auf Widerstand. Wie wollen Sie denn die Energiewende umsetzen und die Atomkraft ersetzen?

In erster Linie müssen wir unseren Energiehunger bändigen. Sparen ist effizienter als zusätzliche Produktion. Wenn wir aber mehr Energie erneuerbar produzieren wollen, dann sollten wir das primär im Siedlungsraum tun. Bestehende Gebäude können umgebaut werden zu Kraftwerken, die zum Beispiel mit Sonnenenergie mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen.

Pumpspeicher als Kompensation für Flusskraftwerke

In ihrem Referat hier an der Cipra-Tagung lobten Sie die noch ungenutzten mäandrierenden Flüsse und geisselten die rücksichtslose Nutzung der Wasserkraft. Doch am Schluss machten Sie eine Ausnahme. Beim Ausbau der Pumpspeicherung, so sagten Sie, liege noch etwas drin. Ist die Zitrone also doch noch nicht ausgepresst?

Pumpspeicher-Kraftwerke sind Batterien, die überschüssigen Strom temporär speichern und damit die unregelmässige Stromproduktion von Wind- und Solarkraftwerken ausgleichen. Sie nutzen damit eine Sondereigenschaft der Alpen, nämlich das grosse Gefälle. Wenn wir Pumpspeicher-Kraftwerke im Interesse einer sinnvollen Arbeitsteilung zulassen, dann können wir den Druck zur Nutzung der Fliessgewässer vermindern, Flusskraftwerke aufheben und die Flüsse revitalisieren. Ich bin allerdings dagegen, zusätzliche Stauseen zu bewilligen. Denn Pumpspeicher-Kraftwerke können und sollen das Wasser aus den bestehenden Alpenrandseen in einem geschlossenen Kreislauf nutzen. Ein Beispiel für ein solches Kraftwerk gibt es am Lago Maggiore.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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Schutz der Natur und der Landschaft

Nur so weit es die Nutzung von Ressourcen, wirtschaftliche Interessen oder Freizeitsport zulassen?

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9 Meinungen

  • am 14.10.2013 um 12:41 Uhr
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    Ich teile die von Mario Broggi im Interview geäusserten Bedenken voll und ganz. Ich bedaure es zudem auch, wenn Landschaften durch Windgereratoren und schöne Dorfbilder durch Solarpanels auf den Dächern verschandelt werden. Ich unterstütze auch die Bestrebungen, den Energieverbrauch in unserem Land nicht noch weiter anschwellen zu lassen. Dabei denke ich jedoch an den absoluten Energieverbrauch – nicht an den bei ungehemmtem Bevölkerungswachstum wenig relevanten Pro-Kopf-Verbrauch. Ich verstehe aber nicht, dass gerade «grüne» Kreise häufig sehr militant gegen die Atomkraftnutzung (Ausnahmen wie Patrick Moore und James Lovelock gibt es erfreulicherweise) und auch gegen Bestrebungen, die Bevölkerungsexplosion in den Griff zu bekommen, opponieren. Wichtig wäre selbstverständlich, eine Atomkraftnutzung durchzusetzen, die höchste Anforderungen an einen sicheren Betrieb erfüllt. Dass dies möglich ist, und auch zuverlässig kontrolliert werden kann, ist meine volle Überzeugung. Um eine vernünftige Lösung zu finden, müssten «Nicht-Grüne» und «Grüne» über ihren eigenen Schatten springen!

  • am 14.10.2013 um 13:32 Uhr
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    Gerade heute werden in Genf die Schweizer Solarpreise verliehen – siehe dazu auch http://www.solaragentur.ch. In diesem Zusammenhang von Verschandelung schöner Dorfbilder durch Solarpanels zu sprechen, ist schon ein gewaltiger Witz! Schon mal bemerkt, dass die Schweiz nicht mehr nur aus Dörfern besteht? Und dass es ganz viele Beispiele ästhetisch sogar sehr schöner Solarlösungen gibt? Sei’s drum, es geht hier auch nicht um Schönheitspreise, sondern darum, eine menschenfeindliche (Atom-)Technologie zu ersetzen. Was diese bedeutet, zeigt das fortdauernde Desaster in Fukushima, das noch längst nicht ausgestanden ist. Die Probleme des Atomstroms (zu teuer, zu dreckig – nicht nur CO2 spielt eine Rolle, zu gefährlich und unbeherrschbar) sind noch auf Jahrzehnte ungelöst, mindestens. Und die Solartechnologie ist längst erprobt – und neuerdings auch wirtschaftlich.

  • am 14.10.2013 um 14:58 Uhr
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    Besten Dank für die gute und klärende Antwort von Guntram Rehsche. Das unendlich fortdauerende menschliche und ökologische Desaster Fukushima muss doch alle zur Vernunft bringen. Danke auch für das gute Interview mit Mario Broggi und seine kluge differenzierte Position zur meist überschätzten Pumpspeicherung.

  • am 14.10.2013 um 15:09 Uhr
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    Leider scheint die Sonne nachts nicht – und auch am Tag nicht immer!

  • am 14.10.2013 um 15:26 Uhr
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    Mario Broggi betont im Interview den Wert der Pumpspeicherung – das gilt auch für den Solarstrom für die Zeit, da die Sonne nicht scheint. Abgesehen davon, dass dann ja Wasserkraft verfügbar ist. Der Präsident von Swissolar, Roger Nordmann, hat in einer Studie gezeigt, dass sich Sonnenstrom und Wasserkraft sogar über den Jahresverlauf hervorragend ergänzen (siehe http://www.swissolar.ch).

  • am 14.10.2013 um 22:18 Uhr
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    Die Haltung der Landschaftsschützer ist sicher gut gemeint und ehrenwert. Schade ist aber, dass die Sachlichkeit abhanden kommt. Da wird emotionale Energie kanalisiert – wer findet, ein Bachbett sei mit viel Wasser schön und mit wenig Wasser hässlich, müsste konsequenterweise bei Regenwetter wandern gehen und nur von Mai bis Juni… Aussagen wie «Die Vielfalt an Lebensräumen nimmt ab» halten einer wissenschaftlichen Prüfung nicht stand. Restwasserstrecken bieten auch Lebensräume, darin kann die Artenvielfalt sogar zunehmen. Also anders, nicht schlechter. Klar braucht es Restwasservorschriften. Die Hürden für Wasserkraft-Ausbauten sind heute aber bereits enorm hoch. Und Wasserkraftnutzung beansprucht eben gerade wenig Naturraum. Liebe Landschaftsschützer, machen wir gemeinsam Druck für griffige Vorschriften beim Stromsparen, bevor wir viel Energie verschwenden, um sinnvolle Projekte zu verhindern, die erst noch den Randregionen zugute kommen.

  • am 15.10.2013 um 08:31 Uhr
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    Weil die Sonne nicht immer scheint, ist anscheinend Wasserkraft die Lösung. Damit schliesst sich der Kreis und wir sind wiederum beim Ausgangspunkt, dem Interview mit Mario Broggi, angelangt. Apropos Pumpspeicherung: Man müsste mal Axpo anfragen, ob sie heute wieder in ein Speicherkraftwerksystem wie Linth-Limmern investieren würden, nachdem die für den ROI wichtigen Stromlieferungen zur Deckung der Mittagsspitzen-Nachfrage weitgehend weggebrochen sind. Grund dafür ist der von den deutschen Konsumenten/Steuerzahlern grosszügig zwangssubventionierte Überschuss an Solarstrom, der genau in diesem Tageszeitintervall den Markt überschwemmt.

  • am 15.10.2013 um 22:42 Uhr
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    @Moning: Es ist aktuell nicht absehbar, zu welchen Zeiten künftig Spitzenpreise für Strom verlangt werden können. Wenn es gestern die Mittagszeit war, könnte es morgen die frühen Nachtstunden sein. Dann ist kein Solarstrom verfügbar und mit dem Wegfall der Bandenergie der AKWs – welche heute notabene geradezu verschleudert wird, weil man AKWs nicht abstellen kann – können zu diesen Zeiten neue Knappheiten entstehen. Mittelfristig sind weder Solar- noch Wasserkraftstorm das Problem, sondern die vielen Kohlekraftwerke, welche extrem billig und dreckig zu beliebigen Zeiten Strom erzeugen.

  • am 18.12.2020 um 11:15 Uhr
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    nur kurz allgemein an die Belegschaft von Infosperber:

    warum musste eine deutsche Firma ihre Redaktions-Software herstellen ?
    Gab es wirklich keine Firma in unserem Land ? Ich habe schon einwenig Mühe wie es in den letzten Jahren unsere Abhängigkeit von Deutschland praktisch in allen Bereichen zunimmt. Es gibt also doch zu wenig blitzgescheite Hirne in unserem Land. Nur zu Ihrer Orientierung: ich habe das am eigenen Leib erfahren wie ein deutscher «Gigolo» hätte eine Grossdruckerei quasi retten sollen und hat sich dabei aber den eigenen Sack vollgestopft und dafür haben dann mehr als 70 Mitarbeiter den Arbeitsplatz verloren.
    Vielleicht können Sie es nachvollziehen, warum ich daher sehr sensibel auf die Marke Deutschland reagiere.

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