Kommentar

Burkaverbot zeigt: Das christliche Fundament ist morsch

Kurt Marti © Christian Schnur

Kurt Marti /  Ausgerechnet die SVP und CVP, welche die fundamentalistischen Piusbrüder schützen, predigen ein nutzloses Burkaverbot.

Michael Hermann, der Polit-Kommentator des «Tagesanzeigers», hielt nach dem Votum für ein Burkaverbot in St. Gallen fest, um was es «bei der Debatte um den Islam wirklich geht: viel weniger um objektive Gefahren als um die wahrgenommene Verletzlichkeit der eigenen Identität».

Doch was heisst «Verletzlichkeit der eigenen Identität» konkret? Die Frage stellt sich natürlich nicht nur in St. Gallen, aber das religionspolitische Verhalten der St. Galler SVP und CVP, die sich für das Burka-Verbot stark gemacht hatten, eignet sich besonders gut als klärendes Fallbeispiel für die merkwürdige Verunsicherung.

Die beiden Parteien SVP und CVP erwecken in ihrer Argumentation den Anschein, es gehe ihnen bei ihrem hehren Kampf gegen die Burka um Werte wie Gleichheit und Freiheit, also um zentrale Werte der Aufklärung, die gleichermassen für alle Menschen gelten.

Doch ausgerechnet die beiden St. Galler Parteien SVP und CVP haben sich in letzter Zeit dadurch ausgezeichnet, dass sie die Werte der Aufklärung sehr unterschiedlich anwenden, je nachdem, ob es sich um die christliche oder die muslimische Religion handelt.

Einerseits verlangen sie in der Burka-Debatte von jenen Muslimen, die fundamentalistisch ausgerichtet sind, die Einhaltung der aufklärerischen Werte, beispielsweise der Gleichberechtigung der Frauen. Andererseits halten sie ihre Hand schützend über die Schulen der fundamentalistischen Piusbrüder, die im Widerspruch zur bundesgerichtlichen Rechtsprechnung stehen.

Fakt ist: Im September 2017 versenkte eine Phalanx von SVP und CVP im St. Galler Kantonsrat eine Motion, die den Schulen der Piusbrüder Grenzen setzen wollte. Anfänglich waren die SVP- und CVP-Kantonsräte noch Feuer und Flamme für die Motion, weil sie irrtümlich meinten, der Vorstoss richte sich nur gegen den Islam. Doch als sich herausstellte, dass die Motion auch die Schulen der Piusbrüder im Visier hatte, ruderten die SVP- und CVP-Politiker plötzlich zurück.

Diese Doppelmoral hat ihre Ursache in der akuten Werte-Verwirrung der SVP und der CVP, welche die Werte der Aufklärung als ursprünglich eigene, «christlich-abendländische Werte» reklamieren und die dem Märchen von den christlichen Werten frönen.

Durch die Protektion der fundamentalistischen Piusbruderschaft verwickeln sich die SVP und CVP in einen unlösbaren Widerspruch. Auf dem fundamentalistischen Hintergrund der Erzkatholiken attackieren sie jene Muslime, die sich ebenso fundamentalistisch gebärden. Eine unheimliche Wahlverwandschaft.

Das morsche christliche Fundament führt zur Werte-Verwirrung und zur argumentativen Verunsicherung oder wie der Politologe Michael Hermann es formuliert zur «Verletzlichkeit der eigenen Identität».

Das einzige Gegenmittel gegen diese Verunsicherung und Verletzlichkeit ist die Rückbesinnung auf die Aufklärung und deren Grundsatz, dass nicht eine Religion das Fundament einer offenen Gesellschaft sein kann, sondern das Prinzip der Vernunft und folglich der säkulare Staat.

Denn die Werte der Piusbrüder eignen sich ebenso wenig als Basis für eine offene Gesellschaft wie die Werte des Islamischen Zentralrats. Beide führen zurück ins Mittelalter.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Zum Infosperber-Dossier:

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Pro und Contra Niqab-/Burkaverbot

Sind Niqab und Burka Teil der Religionsfreiheit oder Symbol einer fundamentalistischen Unterdrückung?

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8 Meinungen

  • am 28.09.2018 um 12:47 Uhr
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    Es gibt politische Parteien, die argumentieren fallspezifisch wie Pharisäer bis hin zu Hasspredigern. Trennung von Kirche und Staat und Aufklärung, denen sie eigentlich nach Verfassung verpflichtet wären, haben sie noch nicht einmal verstanden. Sie sind eben «christlich geprägt» und dadurch «verunsichert».

  • am 28.09.2018 um 14:41 Uhr
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    Vielen Dank, dass Sie darauf aufmerksam machen, dass die Mehrzahl der Schweizer/Stimmbürger/Politiker den Dünkel haben, «einfach ein bisschen besser», «etwas Besonderes» respektive «auserwählt» zu sein.

  • am 29.09.2018 um 13:50 Uhr
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    Das Verhalten von SVP und CVP ist tatsächlich heuchlerisch. Daraus gleich auf die Mehrheit aller St. Gallerinnen und St. Galler zu schliessen, scheint mir jedoch etwas übertrieben. Wir kennen die Gründe für ihr Votum nicht.
    Manch einer mag auch Ja gestimmt haben, nur einfach weil er vermummte Gestalten in der Öffentlichkeit nicht schätzt.

  • am 30.09.2018 um 00:51 Uhr
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    @Heierli schreibt:

    "Manch einer mag auch Ja gestimmt haben, nur einfach weil er vermummte Gestalten in der Öffentlichkeit nicht schätzt."

    Genau, Herr Heierli, das muss die Erklärung sein. Weil die St. Gallerinnen und St. Galler «vermummte Gestalten in der Öffentlichkeit nicht schätzen» haben sie ja nun auch die Fasnacht verboten. So müssen sie sich – gerade die Kinder – nicht mehr vor vermummten Gestalten ängstigen und sich darob betrübt fühlen … Schön, dass wir so rücksichts-/verständnisvolle Menschen haben wie Sie (und die St. GallerInnen). Da wird sicher bald nichts mehr schief gehen auf dieser Welt.

    Wie lautete doch noch gleich Ihr Einleitungssatz? Ach ja:

    "Das Verhalten von SVP und CVP ist tatsächlich heuchlerisch."

    Heuchlerisch, hmmm?!

  • am 30.09.2018 um 21:57 Uhr
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    Herr Kurz, sie verwechseln hier offenbar einen Versuch, ein Abstimmungsresultat zu erklären, mit einer Argumentation für oder gegen diese Initiative.
    Ich denke, man sollte generell vorsichtig sein, wenn es darum geht, die Gedanken von anderen Leuten aus der Ferne und aufgrund dürftigster Informationslage moralisch zu bewerten.

  • am 1.10.2018 um 17:30 Uhr
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    Herr Heierli, offensichtlich haben Sie nicht bemerken wollen, dass ich mich gerade nicht auf auf die «Argumentation für oder gegen diese Initiative» bezog, sondern auf Sie bzw. auf Ihren «Versuch, ein Abstimmungsresultat zu erklären».

    Ich hinterfragte die Plausibilität Ihres Argumentes. Wenn es alleine die «Vermummung» wäre, die die St. Galler ablehnen bzw. «nicht schätzen», dann müsste man erwarten, dass sie auch der Fasnacht, den behelmten Motorradfahrern und den Sonnenbrillenträgern gegenüber dieselben «ungute» Gefühle entgegenbringen würden.

    Ich erachte Ihren Erklärungsversuch, dass es sich um eine ‹Vermummungsaversion› handeln könnte, als derart dürftig, dass ich bei Ihnen von einer ‹Hemmung/Blockierung/Aversion› (gegenüber weitergehenden Gedankengängen) auszugehen habe.

  • am 2.10.2018 um 13:50 Uhr
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    Herr Kurz, es ist genau das Problem, dass Sie nicht auf Argumentationen eingehen, sondern auf Personen abzielen.
    Wenn ein Argument für Sie nicht überzeugend ist, dann folgern Sie sofort, dass dies auch für alle anderen Menschen gelten müsse.

    Den Vergleich mit anderen Formen der Vermummung müssten Sie etwas sorgfältiger machen. Ein Motorradfahrer mit Helm und dunklem Visier stört nicht, solange er Motorrad fährt. Wenn er den Tankstellenshop betritt, ohne den Helm abzunehmen, dann riskiert er durchaus, dass ein Polizeialarm ausgelöst wird. Und die Polizei würde die Kosten für den Fehlalarm sicher nicht dem alarmierenden Verkäufer verrechnen, sondern, wenn schon, dem Motorradfahrer. Ähnliches gilt auch für einen Fasnächtler mit Maske, der in unpassendem Umfeld unterwegs ist.

  • am 3.10.2018 um 20:36 Uhr
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    Herr Heierli, das Qualifizierende «verstecken» Sie ans Ende Ihres Kommentars: «in unpassenden Umfeld».

    Der Helm-tragende Motorradfahrer und der Fasnächtler, die Sie beschreiben, begehen da gerade einen Raubraubüberfall – oder so vermutet zumindest der Verkäufer. Was bezwecken Sie mit Ihrer Aussage? Sie wollen doch sicher nicht uns die folgende Banalität mitteilen: Wer ein Verbrechen begeht, versucht sich in aller Regel unkenntlich zu machen – mit Kappe, Helm, Kostüm, Sonnenbrille, Perücke usw. Vielmehr erreichen Sie (unbewusst?) etwas anderes: Burka = ‹gefährliche/schlechten/bösen Menschen›.
    Redlicher wäre zu sagen: die Burka ist ein weiteres Mittel der Vermummung, wenn jemand einen Raubüberfall begehen will – neben all den anderen Mitteln, wie z.B. einer Perücke und Sonnenbrille.
    [PS: Herr Heierli, wenn Verkaufspersonen immer dann einen Alarm auslösen würden, wenn eine Person eingehüllt in Kappe/Kapuze/Pelzmantel und Sonnenbrille auftaucht, blieben die Einkaufsstrassen permanent geschlossen.]

    Mich interessiert einzig Ihr Erklärungsversuch – nicht die Initiative noch Ihre Person. Ich frage, ob Ihre Erklärung Sinn macht bzw. kohärent ist. Ihrer Erklärung (‹Vermummung wird nicht geschätzt›) stelle eine andere Hypothese entgegen. Welche erklärt mehr bzw. ist konsistenter/logischer?

    Ist es möglich, dass nicht die Verhüllung per se, sondern die Person (unter der Verhüllung) «nicht geschätzt» wird? Die Frage darf doch – wie es schön heisst – «doch wohl noch gestellt werden».

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