Kommentar

Das «Diktat der EU, die uns entwaffnet»

Beat Allenbach © zvg

Beat Allenbach /  Wer mit dem «Diktat der EU» droht, hat im Tessin offensichtlich gewonnenes Spiel. Auch wenn sich die Behauptung als falsch erweist.

Wir haben das «Diktat der EU, die uns entwaffnet» erlitten, als die Schweiz in der letzten Volksabstimmung die Revision des Waffengesetzes des Bundes angenommen hat. Das Tessin bleibt, so der Titel in der Lega-Zeitung il Mattino della domenica, «das einzige Bollwerk der Schweiz, der einzige Kanton, der nicht die Hosen heruntergelassen hat».

Die Wirklichkeit ist jedoch ganz anders

Der Bundesrat ist zwar nicht immer ein Meister, wenn es darum geht, die Interessen unseres Landes durchzusetzen. Mit Bezug auf die Verschärfung der EU-Waffenrichtlinie war der Bundesrat hingegen äusserst erfolgreich: Zusammen mit anderen Staaten konnte die Schweiz ein Verbot für Private, automatische und halbautomatische Waffen zu besitzen, verhindern; auch die Beschränkung der Zahl der Waffen, die jemand besitzen darf, wurde gestrichen. Im Bundesbüchlein, das allen Stimmberechtigten zugestellt wird, liest man überdies: «Was die Schützen anfänglich befürchtet haben und sie veranlasst hat, das Referendum anzukündigen, bevor die Richtlinie verabschiedet war, ist nicht eingetreten. Niemand wird entwaffnet. Unsere traditionellen Schiessanlässe können weiterhin stattfinden.» Beispielsweise das eidgenössische Schützenfest, das Feldschiessen, das «Obligatorische» sowie die Kurse für Jungschützen; auch lokale Traditionen wie das Zürcher Knabenschiessen. Die Teilrevision des Waffengesetzes des Bundes enthält zwar administrative Änderungen für Sammler, Museen, Waffenhändler und Schützen mit Bezug auf bestimmte Waffen, die der Bundesrat als zumutbar erachtet.

Die Waffengesetzgegner kämpfen mit «fake news»

Die Propaganda gegen die Gesetzesrevision des Präsidenten des Referendumkomitees, des Tessiners Luca Filippini, enger Mitarbeiter des Lega-Staatsrats Norman Gobbi, der Lega dei Ticinesi, des «Mattino della domenica», aber auch der SVP, entspricht nicht der Wirklichkeit, es handelt sich um «fake news». Gerade im Fall der neuen Waffenrichtlinie der EU haben der Bundesrat und seine Mitarbeiter die Interessen der Schweiz sehr wirksam gewahrt und ein gutes Resultat erzielt, das die traditionellen Freiheiten der Waffenbesitzer und der Schützen garantiert.

Man kann ein gewissen Verständnis haben, dass die Waffengesetzgegner in der Abstimmungskampagne allfällige negative Aspekte übertrieben haben, allerdings nicht im Ausmass ihres Abwehrkampfes. Es ist jedoch unverständlich, wie der verantwortliche Redaktor des «Mattino», Exekutivmitglied der Stadt Lugano und Nationalrat, Lorenzo Quadri, die Niederlage des Nein-Komitees nicht sehen will. «Einzig das Tessin hat die Hosen nicht heruntergelassen», lautet sein Titel in der Lega-Zeitung, und weiter nennt er seinen Kanton «das letzte Bolllwerk». Die Wut liess einige Exponenten die Nerven verlieren, und sie brüsteten sich damit, die einzigen wahren Schweizer zu sein, die nicht «einen Teil unserer Souveränität und unserer Unabhängigkeit ins WC» geworfen hätten. Diesen besonderen Patrioten scheint nicht bewusst zu sein, dass ihre drastische Ausdrucksweise alles andere als freundlich ist gegenüber allen anderen Kantonen und der deutlichen Mehrheit des Volkes, welche das neue Waffengesetz mit über 60 Prozent der Stimmen gutgeheissen haben.

Die unausgesprochene Drohung des «Mattino» ist wirksam

Die Politiker und Anhänger der Lega dürfen offenbar alles sagen oder im «Mattino» schreiben, was sie als günstig für ihren Erfolg erachten, ohne sich darum zu kümmern, ob ihre Aussagen mit der Wirklichkeit übereinstimmen, oder ob sie falsch und lügnerisch sind. Es gibt zwar manche Tessiner und Tessinerinnen, auch einzelne Politiker und Politikerinnen, welche die Argumente der Lega öffentlich als unhaltbar und falsch kritisieren. Die Parteien hingegen, vor allem CVP, FDP und SP, empören sich kaum noch über die Lügen der Lega. Wiederholt haben sich bürgerliche Politiker im Gespräch und in Mails bei mir in starken Worten beklagt über den «Mattino» und über die Art und Weise, wie die Lega Politik betreibt. Ein prominenter bürgerlicher Grossrat hat mit erklärt, weshalb viele schweigen: «Viele haben das vulgäre Gehabe der Lega und deren unseriöse Politik satt», sagte er und fügte bei, dass sie jedoch die Lega nicht öffentlich kritisieren mögen, denn sie wollen nicht riskieren, in der folgenden Nummer des «Mattino» an den Pranger gestellt zu werden. Jetzt wissen wir es: Dem verantwortlichen Redaktor der Lega-Sonntagszeitung und Mitglied der Exekutive der Stadt Lugano steht ein wirksames Instrument zur Verfügung, um die Kritik zu ersticken. Es scheint zu funktionieren.


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4 Meinungen

  • am 7.07.2019 um 09:21 Uhr
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    Alles richtig, fast. Es ist leider so, dass die grosse Luganeser Tageszeitung (Zeitungsgruppe mit TV/Radio/OnLineMedien/Druckerei) seit langem einen sog. ‹Rechts-Kurs› fährt. Der ehemalige CEO der Gruppe, ein erwiesenermassen Verbreiter von FakeNews wurde letzes Jahr in Italien Verwaltungsratspräsident der RAI (= ital. SRG), gewählt von der Regierung aus Lega und 5Stelle, das sagt doch schon einiges.
    Die Luganeser-Tageszeitung schreibt eben sehr, sehr selten gegen die Brüller der Tessiner Lega (mit im Boot ist auch die SVP). Ach ja, wo wird die Zeitung ‹Mattino della Domenica› der Lega gedruckt? Richtig, in der Druckerei der Luganeser Zeitungsgruppe. Schade, dass viele TI-Politiker der FdP/CVP/SP wie es der NR- & Stadtratpolitiker Quadri ausdrückt ’non hanno le p…..e›. Eigentlich hat er da recht, die Generation der hart aber fair politisierenden Herren (Damen durften noch nicht abstimmen…) Salvioni, Righetti, Stefani, Zorzi, Canevascini, Martinelli usw. ist vorbei. Uebrigens NR- & Stadtrat Quadri’s Gehalt wird vom Tessiner Steuerzahler berappt, da kommt eine grosse Summe zusammen (NR-Diäten/Stadtrat in Lugano), man spricht von ungef. CHF 200’000+, mag ich ihm ja gönnen, aber das sonntägliche sich immer wiederholende und unter der Gürtellinie argumentierende Schreiben ist eine Zumutung. Interessiert dies jemand in der übrigen Schweiz? Wohl kaum, sollen doch die ewig jammernden Tessiner selber schauen. Fest vergessen, CVP-SR Lombardi ist auch im VR der LuganeserZeitung.

  • am 7.07.2019 um 12:51 Uhr
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     ..».und der deutlichen Mehrheit des Volkes, welche das neue Waffengesetz mit über 60 Prozent der Stimmen gutgeheissen haben."
    Bei einer Stimmbeteiligung von 43% mit 63% Ja-Stimmen (1.5Mio) gegen 854’000 Nein-Stimmen kann man wohl von einer Mehrheit der Abstimmenden reden, aber ganz sicher NICHT von einer DEUTLICHEN MEHRHEIT DES VOLKES.
    Ihre Berichterstattung ist vom «Mattino» nicht allzu weit entfernt.

  • am 7.07.2019 um 16:07 Uhr
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    Es geht nicht um die Interessen des Abstaktums Land oder der Nation.
    In der Politik, die den Namen Politik verdient, geht es konkret darum, möglichst viele der auseinanderstrebenden, widersprüchlichen Interessen der Bürger so unter einen Hut zu bringen, dass Harmonie entsteht, ohne der Spaltung in Sieger und Verlierer.

  • am 8.07.2019 um 13:46 Uhr
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    Ich lese gerade das Buch METASTASEN von Gianluigi Nussi und Caudio Antonelli.
    Ein Kronzeuege der ‹Ndrangheta› enthüllt die Die Geheimnisse des grössten Familienunternehmens der Welt der Welt.

    Die ehrenwerte Schweizer Bankgster-Gesellschaft haben soviele Milliarden ‹Ndrangheta›-Gelder gewaschen und dann gleich noch in ihren Offshore-Filialen verborgen, dass auch deshalb die Preise für Immobilien und Aktien so gestiegen sind.
    Die Freundschaft wird gerne mit kostenfreiem Kokain unterfüttert.
    Übrigens verfügen ‹Ndrangheta›-Familien inzwischen selbstüber eigene kleine Bankhäuser, bei denen keine fragwürdigen Finanztransaktionen auffallen und so gemeldet werden könnten. Und nur die könnten von den entsprechenden staatl. Stellen untersucht werden, aber die sind ja sowieso vorsätzlich hoffnungslos unterbesetzt werden.
    Von der nordital. ‹Ndrangheta› Hochburg Lecco sind es nur ein paar Kilometer ins Tessin.

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