Kommentar

Die Auflösung der Tabakkommission untergräbt den Jugendschutz

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsDer Arzt Rainer M. Kaelin war Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ist Vizepräsident von Oxyromandie, einem ©

Rainer M. Kaelin /  In der Schweiz soll sich eine neue Kommission mit süchtig machenden Substanzen befassen. Ihre Strategievorlagen sind ungenügend.

Red. Der Arzt Rainer M. Kaelin war Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ist Vizepräsident von Oxyromandie, einem Verein, der sich für den Schutz der Nichtraucher und für Werbeverbote für Tabakprodukte einsetzt, wie sie die WHO-Rahmenkonvention vorsieht.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat «Verbesserungen» im Tabakproduktegesetz (TabPG) vorgeschlagen, die es kompatibel mit dem WHO-Rahmenübereinkommen zur Eindämmung des Tabakgebrauchs (FCTC) machen sollten. Der Entwurf ist in der letzten Session der ausgehenden Legislatur vom Ständerat verabschiedet worden. Er erweist sich aber wie seine Vorgänger wegen seiner fragmentarischen Werbeverbote als zahnlos.

Die Absicht des Ständerates, 15 Jahre nach ihrer Unterzeichnung die Ratifzierung der FCTC zur Tabakbekämpfung wenigstens in Betracht zu ziehen, ist das einzig weiterführende Resultat des ständerätlichen Entwurfes zum TabPG. Denn die FCTC beinhaltet Massnahmen, die sich in den Ländern, in denen sie umgesetzt wurden, als wirksam erwiesen haben. Sie betreffen auch die Prävention vor Sucht und nichtübertragbaren Krankheiten (NCD). Ein Themenkreis, der zu den Aufgaben der neuen Kommission «für Fragen zu Sucht und Prävention nichtübertragbarer Krankheiten» gehört, die die eidgenössische Kommission für Tabakprävention (EKTP) und die Kommission für Alkoholprävention ablösen soll.

Die FCTC und die Schweiz
Im Gegensatz zu anderen Gesetzen über gefährliche Produkte, stellt die FCTC die kommerziellen Aktivitäten um Tabakprodukte ins Zentrum der Betrachtung. Damit geht sie vom Grundrecht des Schutzes auf eine unversehrte Gesundheit der Menschen aus. Die Vertragsparteien – zu denen nach der Ratifizierung auch die Schweiz gehören wird – anerkennen, dass Tabakprodukte und Tabakrauchexposition Tod, Krankheit und Invalidität verursachen. Und dass diese Produkte in der Absicht hergestellt werden, Abhängigkeit zu erzeugen und zu erhalten.

FCTC-Massnahmen werden nicht umgesetzt
Bisher wurden in der Schweiz keine der FCTC- Massnahmen kohärent umgesetzt: Der Tabakanbau wird staatlich gefördert. Die Tabaksteuern lassen keine Absicht erkennen, Tabak und Nikotin für die Jungen schwer zugänglich zu machen, währenddem die Hersteller mit Kartellabsprachen ihre Margen verbessern (1). Instrumentalisierte Volksvertreter neutralisierten wiederholt angestrebte Werbeverbote mittels dem Argument der «Selbstkontrolle», zuletzt 2005 durch die Vereinbarung von «Swiss Cigarette» mit der «Lauterkeitskommission» (2). Die seit der «Gutzwiller-Initiative» 2004 erarbeitete Regelung zum Passivrauchschutz wurde wegen Ausnahmen zu einem Alibigesetz, genau wie der vorliegende ständerätliche Entwurf zum TabPG (3). Dieser sieht kein umfassendes Werbe-, Promotions- und Sponsoringverbot für Tabak- und Nikotinprodukte vor, wie es Artikel 13 der FCTC gebietet. Dadurch kann der angebliche Jugendschutz durch Verkaufsverbote von Nikotin- und Tabakprodukte an Minderjährige nicht greifen, weil diese nicht aus der Banalisierung des in der Konsumgesellschaft beworbenen verdrängt werden. Der Gesetzesentwurf vermittelt die für Heranwachsende attraktive Botschaft: «Für Kinder verboten, aber risikoarmer Lifestyle-Genuss für mündige Raucher».

Die Annahme der FCTC durch die Gesundheitsvollversammlung der WHO im Jahr 2004 hatte den fundamentalen Interessenkonflikt zwischen der öffentlichen Gesundheit und den Interessen der Nikotin- und Tabakindustrie auch im Recht festgehalten. Aber seit der Markteinführung von E-Zigaretten, die als «harmlosere Produkte» eingeführt wurden, und mit der Strategie der «Schadensminderung», spielt sich die Industrie mit enormem PR-Aufwand als Teil der Lösung der Tabakepidemie auf, deren Hauptverursacher sie ist.

Die NCD-Strategie des Bundes 2017-2020
Gemäss WHO sind 80 Prozent der Todesfälle, die aufgrund von nichtübertragbaren Krankheiten (NCD) entstehen, Krebs, Lungen- und Kreislaufkrankheiten zuzuschreiben. Krankheiten, die vermeidbar sind: Tabakkonsum, körperliche Inaktivität, übermässiger Alkoholkonsum und ungesunde Ernährung sind die Ursachen. In der Schweiz entfallen von den über 80 Milliarden Gesundheitskosten die Hälfte auf diese Krankheiten.

Die von Bund und Kantonen erarbeitete NCD-Strategie sollte auf diese Herausforderung antworten. Die Strategie ist jedoch zahnlos – sie setzt nur auf altbekannte Mittel: «Neu ist, dass alle (Akteure) noch enger zusammenarbeiten». Die Strategie erwähnt nicht einmal die FCTC und nennt auch keine Massnahmen der Verhältnisprävention. Das Strategiepapier weist somit grundlegende Mängel auf (4): keine landesweiten Massnahmen und keine quantifizierbaren Ziele, wie zum Beispiel das Absenken der Quoten von jugendlichen Rauchern. Weiter fehlt jegliche Analyse, warum die strukturelle Prävention in der Schweiz bisher stets am Parlament scheiterte.

2013 stimmte die Weltgesundheitsversammlung, der auch die Schweiz angehört, dem «Global Action Plan for the Prevention and Control of NCD’s 2013- 2020» zu. Dazu identifiziert die WHO Massnahmen, die sich als besonders wirksam und kostengünstig erweisen (5). Die drei ersten sind: Erhöhung der Tabaksteuern, Einführung der neutralen Zigarettenpackung/grosse Gesundheitswarnungen auf Packungen sowie umfassende Werbe-, Promotions- und Sponsoringverbote.

Die Strategie «Sucht 2017-24»
Ende 2019 wird die Eidgenössische Kommission für Tabakprävention (EKTP) aufgelöst. Da die Nachfolge-Kommission «für Fragen zu Sucht und Prävention von nicht übertragbaren Krankheiten» für alle süchtig machenden Substanzen zuständig sein wird, ist zu befürchten (6), dass die spezifischen Ursachen der unterschiedlichen Suchtkrankheiten, wie sie in der FCTC für die Tabakepidemie wissenschaftlich aufgearbeitet wurden, nicht in den konkreten Massnahmenplan einbezogen werden. Diese Befürchtung erweist sich im Strategiepapier «Sucht 2017-24» (7), das Teil der bundesrätlichen Strategie «Gesundheit 2020» ist, als begründet.

Tatsächlich enthält die «Nationale Strategie und Massnahmenplan Sucht 2017-24» nur allgemeine Inhalte, die keine konkreten Regulierungen erkennen lassen. Der Massnahmenplan wurde von Experten erarbeitet, die sich mit dem individuellen Substanzmissbrauch von Medikamenten und illegalen Substanzen von Erwachsenen befassen, aber die Industrie als entscheidenden Vektor der Epidemie von Nikotin- und Tabaksüchtigen, ignorieren.

Lügen als Geschäftsmodell
Mit Meineiden; Wissenschaftskorruption; Desinformation von Kunden, der öffentlichen Meinung, Politikern und Behörden gelang es der Industrie, durch Werbung und PR-Aktionen die Toxizität und das Abhängigkeitspotential ihrer Produkte zu verschleiern. Durch ihre neueste Lüge will sie derzeit Parlamentarier und Öffentlichkeit davon überzeugen, dass sie von nun an eine «rauchfreie Welt» (8) anstrebt und dass sie mit ihren E-Produkten zum öffentlichen Nutzen beitrage, indem sie diese ausschliesslich an Raucherinnnen und Raucher verkaufe, denen der Rauchstopp nicht gelingt. Dies kann unmöglich ehrlich gemeint sein: Es würde bedeuten, dass ihr Markt und das Nikotingeschäft in einer Generation austrocknet.

Departemente verhindern wirksame Prävention
Weder die «NCD- Strategie», noch die «Strategie Sucht» sehen Gesetze vor, um ihre Ziele zu erreichen. Sie wollen den grundlegenden Widerspruch zwischen den Zielen der öffentlichen Gesundheit und den erfolgreichen Bemühungen der Industrie, diese zu untergraben, nicht wahrhaben. Beide Dokumente argumentieren, als würde es sich beim Tabak ausschliesslich um Produkte für Erwachsene handeln. Die Jugend als eigentliches Zielpublikum des Drogenangebotes und als für die NCD-Krankheiten besonders gefährdete Minderheit, wird ignoriert.

Auffallend oft wird individuelle Verantwortung genannt, nie aber die Banalisierung der Drogen. Mit Recht macht die aufgelöste EKTP die in der Schweiz beheimateten Tabak-Multinationalen für diesen fehlerhaften Ansatz und die ablehnende Haltung von Bundesrat und Parlament gegenüber der Prävention verantwortlich. Der vom Ständerat Ende 2019 angenommene Entwurf zum TabPG mit seinen fragmentarischen Werbeverboten ist das konkrete Resultat der Taktik der Tabakindustrie (9): die Kontroverse um die E-Zigarette schüren, gesetzgeberische Entscheide verzögern oder unwirksam gestalten, Experten und Behörden einschüchtern, sich für «Schadensminderung» zuständig erklären und Tabakunternehmen als innovativ positionieren. Die Präsidentin der EKTP, Alt-Nationalrätin Lucrezia Meyer-Schatz, nennt die Bundesdepartemente, die eine kohärente Tabakprävention behindern (6): Das SECO hilft der Tabak- und Nikotinindustrie mit «Innovationsförderung» und Tabakanbau; das Finanzdepartement benützt die Tabaksteuer nicht zur Steuerung des Angebotes; das Aussendepartement wollte den Schweizer Pavillon dem Hauptsponsor Philip Morris anvertrauen.

Der Einfluss der Tabakindustrie
Die Strategiepapiere zu nicht übertragbaren Krankheiten und zu Sucht und die fehlenden Grundlagen der neu zu bestellenden Kommission des Bundesrates «für Fragen von Sucht und nicht übertragbaren Krankheiten», legen den Verdacht nahe, dass diese Dokumente, wie die Vereinbarung mit der Lauterkeitskommission über die Tabakwerbung (2), dem Einfluss der Tabakindustrie zu verdanken sind. Denn sie ignorieren die Kern-Aufgaben dieser Kommission. Es sind dieselben, wozu die FCTC ihre Partnerstaaten für die Bekämpfung der Tabakepidemie zu einer wirksamen Gesetzgebung verpflichtet.

Der unverständliche Entscheid des Bundesrates, die EKTP aufzulösen und deren Auftrag in einer Kommission mit mangelhaften Strategievorgaben zu verwässern, erhärtet den Verdacht weiter. Die bisherigen Bemühungen der Schweiz auf die Probleme der öffentlichen Gesundheit im Bereich Tabak, der NCD-Krankheiten und der Sucht mit Prävention zu antworten, erweisen sich als Alibiübungen, da das Gesundheitsinteresse in den Strategie-Entscheiden nie überwogen hat. Die Auflösung der EKTP ist ein Rückschlag für die Tabakprävention, sowie für die anzustrebenden kohärenten Gesetze, denen legale und illegale Drogen, gleicherweise zu unterwerfen sind, da ein kohärenter Jugendschutz notwendigerweise ein umfassendes Werbe-, Promotions- und Sponsoringverbot bedingt. Dies ist auch das Ziel der Volksinitiative «Ja zum Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Tabakwerbung».
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Quellen:

  • 1. Nationalrat, Wintersession 2016. Zwölfte Sitzung 14.12.2016. Tabaksteuergesetz. Modifikation. Objekt 16.051. www.admin.ch/Parlament/Nationalrat.
  • 2. R.M.Kaelin : Der Staat im Staat. SAeZ, 2019;100 (43);1441.
  • 3. R.M.Kaelin: Tabakproduktegesetz als zahnlose Alibiübung. Infosperber.7.11.2019
  • 4. R.M.Kaelin: Zwischen Volksgesundheit und wirtschaftlichem Interesse. SAeZ.2917;98(21-22):700-702
  • 5. WHO. Updated appendix 3 of the Global Action Plan for the Prevention and Control of non communicable diseases 2013-2020. https://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/
  • 6. Lorenz Honegger: « Das Risiko einer Epidemie besteht“. Der Bundesrat löst die Kommission für Tabakprävention auf: Die Präsidentin gibt ein letztes warnendes Interview. Luzerner Zeitung. 1511.2019.
  • 7. www.bag.admin.ch/sucht
  • 8. R.M.Kaelin : Lügen: “Juul“, Cannabis und die Stiftung für eine rauchfreie Welt… SAeZ 2019;100(10):350-352.
  • 9. Eidgenössische Kommission für Tabakprävention: Praktiken der Tabakindustrie zur Einflussnahme auf die Schweizer Gesundheitspolitik. Eine Uebersicht. Nov. 2019. www.bag.admin.ch.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Arzt Rainer M. Kaelin war Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ist Vizepräsident von Oxyromandie, einem Verein, der sich für den Schutz der Nichtraucher und für Werbeverbote für Tabakprodukte einsetzt, wie sie die WHO-Rahmenkonvention vorsieht.

Zum Infosperber-Dossier:

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