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Tschechiens Staatspräsident Vaclav Klaus wettert gerne gegen Europa © st.

Vaclav Klaus: verlogene Worte in Zürich

Christian Müller /  Der tschechische Staatspräsident fordert das Gegenteil von dem, was er selber praktiziert hat. Realitätsfremder geht’s kaum.

Vaclav Klaus ist der Mann, der als Premierminister der Tschechoslowakei im Herbst 1992 zusammen mit seinem politischen Gegenspieler Vladimir Meciar dafür sorgte, dass das Land in zwei Teile getrennt wurde, in die Tschechische Republik und die Slowakische Republik – gegen den Willen des Volkes. Das Volk wurde nicht gefragt.
Vaclav Klaus ist der Mann, der als Partei-Chef, als Finanzminister, als Premierminister und schliesslich als Staatspräsident wie kein anderer Politiker die Geschichte Tschechiens in den letzten zwei Jahrzehnten beeinflussen konnte. Das in ihrer Verfassung postulierte Referendum hat er nie einzuführen versucht. Demokratie hat ihn nie interessiert.
Vaclav Klaus ist der Mann, der den sogenannten «Oppositionsvertrag» erfunden hat, eine Abmachung zwischen Regierungspartei und Opposition, aufgrund derer die wichtigsten Positionen im Land unter der Hand «verteilt» werden konnten und Misstrauensabstimmungen ausgeschlossen wurden – unter Ausschaltung der Demokratie.
Vaclav Klaus ist der Mann, der sich im Parlament der Stimmen der Kommunisten bedienen musste – und es auch tat, um Präsident werden zu können. Nur dank einigen (nach Ansicht zahlreicher Beobachter gekauften) Kommunisten-Stimmen erlangte er nach wochenlangen Wahlversuchen im Parlament schliesslich eine knappe Mehrheit.
Vaclav Klaus ist der Mann, der vor vier Wochen als Präsident der Tschechischen Republik eine Amnestie für Häftlinge, Verurteilte und Angeklagte erlassen hat, aufgrund deren äusserst ausgeklügelter Formulierung auch die grössten Finanz-Gauner Tschechiens, die sich mit Millionen und Milliarden aus dem Volksvermögen illegal bereichert haben, definitiv straffrei bleiben. Das Volk kocht, hat aber nichts zu sagen. (Infosperber berichtete.)
Vaclav Klaus ist der Mann, der sagt, das «Soziale» sei eine «euphemistische Bezeichnung für Kommunismus» (siehe NZZ vom 19.9.2012).
Vaclav Klaus ist der Mann, der den Klimawandel für ein Hirngespinst hält und Grüne mit Vorliebe als Ökoterroristen bezeichnet.

Dieser Vaclav Klaus hat am 22. Januar 2013 in der Schweiz eine Rede gehalten und der NZZ ein Interview gegeben. Eingeladen worden ist er vom neoliberalen Think Tank AvenirSuisse und vom Zürcher Efficiency Club.

Arroganz in Reinkultur

In Zürich nun benutzte Vaclav Klaus die Gelegenheit, und nicht zum ersten Mal, die EU schlecht zu machen und mehr Demokratie zu fordern. «Oft wird gesagt, in der EU gebe es ein Demokratiedefizit. Meiner Meinung nach ist dies eine krasse Untertreibung», sagte er im Interview mit der NZZ wörtlich. Und auf die Frage, ob die Tschechische Republik nicht auch stark von der EU profitiert habe, sagte Klaus: «Meine Antwort lautet ganz klar und resolut nein. Wir haben damals relativ früh unsere politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Transformation durchgezogen – und zwar trotz, nicht dank der EU.»

Kein Wort, dass in Tschechien immer wieder Gelder der EU zweckentfremdet wurden. So wie etwa in Ostrava, wo Geld, das für Integrationsprojekte der Roma gezahlt wurde, für den Bau von öffentlichen Tiefgaragen eingesetzt wurde. Oft wurden Firmen gegründet mit dem ausschliesslichen Zweck, in der EU Geld abzuholen. (Auch von der Schweizer Kohäsions-Milliarde zweigt Tschechien auf diese Weise Geld ab. Infosperber berichtete.)
Kein Wort, dass noch immer 600 Millionen Franken auf (zwischenzeitlich gesperrten) Schweizer Bankkonten lagern, die aus den Privatisierungs-Betrügereien stammen und um die sich der Staat Tschechien, obwohl von der Schweiz dazu mehrfach aufgefordert, jahrelang nicht kümmern wollte, weil dann die dahinterstehenden Finanz-Skandale ebenfalls hätten untersucht werden müssen. (Infosperber berichtete.)

Vaclav Klaus, der Mann, in dessen Zeit als Premier und Präsident die Korruption in Tschechien nicht etwa abgenommen, sondern vor allem in den höchsten Regierungsstellen massiv zugenommen hat, dieser Mann wird von der – wissenden – AvenirSuisse und vom – vermutlich unwissenden – Efficiency Club nach Zürich geladen, um hier vor geladenem Publikum seine Weisheiten zu Europa aufzutischen. «Wir müssen das Volk in die politische Debatte bringen, nicht die EU-Politiker irgendwo in den Korridoren der Brüsseler Paläste. Das Volk muss entscheiden.»

So funktioniert es in den obersten Etagen

Überraschend ist der Bühnenauftritt von Vaclav Klaus in Zürich allerdings nicht. Es ist erst ein paar Monate her, da der Direktor von AvenirSuisse, Gerhard Schwarz, von Vaclav Klaus auf die Prager Burg eingeladen war: als Referent an der Generalversammlung der «Mont Pelerin Society», der Anhänger des österreichischen Wirtschafts-Philosophen Friedrich August Hayek. Dort durfte der ehemalige Chef des NZZ –Wirtschaftsteils seine Weisheiten erzählen, darunter den bemerkenswerten Satz: «In einer freiheitlicheren Ordnung als den real existierenden westlichen Gesellschaften ginge es den sozial Schwachen besser, der Umwelt besser und den Frauen besser als heute.» (Infosperber berichtete.)

Opinion Leader gleicher Weltanschauungen spielen sich gerne die Bälle zu. So ist es auch hier geschehen. Schade ist, dass die Medien, und leider auch die sogenannten «Quality Papers» wie die NZZ, sich für die Verbreitung solcher Sottisen bereitwillig zur Verfügung stellen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor lebte und arbeitete mehrere Jahre in Prag und beobachtet die Politik Tschechiens auch von innen.

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Eine Meinung zu

  • am 28.01.2013 um 14:25 Uhr
    Permalink

    Ich möchte Christian Müller vielmals danken für seinen aufschlussreichen Artikel. – Es ist schon so: Wenn jemand abschätzige Sprüche über die EU lesen will, ist er bei der NZZ an der richtigen Adresse.

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