Kommentar

kontertext: Mit vereinten Kräften gegen links

Linda Stibler © Claude Giger

Linda Stibler /  Die irritierende Gleichschaltung im Schweizer Blätterwald und bei Radio SRF nach geschlagener Wahlschlacht im Herbst 2019.

Nach den eidgenössischen Wahlen entlud sich eine geradezu groteske Einigkeit der meisten Medien in der Schweiz: Hemmungslos droschen alle auf die Sozialdemokratische Partei ein. Was war passiert? Zum ersten Mal seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, gab es eine grössere Verschiebung der Sitzverteilung im Nationalrat; ein deutlicher Ruck der Grünen, kein dramatischer Erdrutsch, aber immerhin bemerkenswert. Alle etablierten Parteien hatten Sitzverluste zu verzeichnen. Die SVP verlor zwölf Sitze, SP, FDP und BDP je vier Sitze, die CVP zwei. Zu den Gewinnern zählten einzig die Grünen mit siebzehn Sitzen und die Grünliberalen mit neun Sitzen. Insgesamt eine leichte Verschiebung zu Links-Grün, denn die Grünen sind eindeutig dem linken Lager zuzurechnen.
Viel Grund also zu arithmetischen Spielen, zu Hoffnungen und Ängsten – je nach politischem Standort, was zu einer gewissen Aufregung in der medialen Berichterstattung führte. Erstaunlicherweise waren sich aber die meisten medialen Kommentatoren einig: Die Sozialdemokratische Partei sei die überragende Verliererin. Als «desaströses Ergebnis», ja als eigentliches «Wahldebakel», bezeichnet zum Beispiel der Tages-Anzeiger das Wahlresultat; die SP sei auf einem «historischen Tiefpunkt» angelangt. Kaum erwähnt wurde der Sitzverlust der FDP, obwohl auch sie vier Sitze verloren hat und ebenfalls das schlechteste Wahlresultat ihrer Geschichte erzielte.
Die NZZ sprach lediglich von «massiven Verlusten» der FDP und sparte sich vertiefte Analysen. Die CVP nannte sie gar die heimliche Gewinnerin der Wahlen, obwohl auch diese verloren hatte. Und äusserst pfleglich wurde die SVP behandelt, obwohl noch nie eine Partei bei Wahlen mehr Sitze verloren hat. Sofort war man mit den tröstenden Worten zuhanden, dass die SVP noch immer die stärkste Partei sei. Mit Bedauern wurden auch die Wahlverluste der BDP zur Kenntnis genommen. Nun darf man sich nicht darüber wundern, dass sich die Kommentatoren in den bürgerlichen Zeitungen in der ohnehin angespannten medialen Lage zum Gefallen jener Kreise äusserten, von denen sie existenziell abhängig sind.
Den Bogen überspannten jedoch die Journalisten auf Radio SRF, die vordergründig keine solchen Abhängigkeiten kennen sollten. Mehrmals und über Wochen war in den Informationssendungen von der «historischen Niederlage der SP» die Rede. Man erfand immer neue Anknüpfungspunkte, während man sich mit den andern Parteien, die Sitze verloren hatten, kaum befasste oder sie höchstens in einem kurzen Beitrag verhandelte. In einem «Tagesgespräch» beschuldigte Barbara Peter den SP-Präsidenten, er habe seine Partei in die falsche Richtung geführt und fragte ihn mehrmals, ob er nicht zerknirscht sei und seine Konsequenzen ziehen müsste (das obwohl auch journalistischen Insidern längst bekannt war, dass Levrat nach den Wahlen zurücktreten würde). Kurz vor dem zweiten Wahlgang zum Ständerat folgte ein Beitrag über die Wahlverluste der SP im Jahr 2007(!), vermischte mit verwirrenden Kommentaren zu den jüngsten Wahlresultaten, die vor Häme strotzten. Im zweiten Teil des überlangen Beitrags erteilte die Politologin Cloé Jans der Partei Ratschläge für die Zukunft.

Nun kann man sich fragen, wie Journalisten zu derart emotionalen Ausbrüchen kommen. War da Enttäuschung oder die Angst, in die falsche politische Ecke gestellt zu werden, der Grund? Fehlt die Zeit zum Nachdenken, sodass man sich auch bei SRF lieber in den billigen populistischen Mainstream einreiht? Oder war es nicht eher das Ziel von Einflüsterern aus dem Filz zwischen Medien und Politik? Denn mit der geballten Ladung der Kritik erhoffte man sich, die SP (und mit ihr die Linke insgesamt) in der zweiten Runde der Ständeratswahlen zu schwächen. Und vielleicht konnte man die SP zum Versprechen bewegen, ihren Widerstand beim Lohnschutz im Abkommen mit der EU aufzugeben?
Nun sollen Journalisten zu ihrer Meinung stehen dürfen und nicht eine falsche Objektivität vorgaukeln müssen. Aber das ist nun gerade im öffentlich-rechtlichen Radio nicht ihre primäre Aufgabe. Warum also diese Aufregung am Ende des Wahlherbstes, nachdem Radio SRF die Eidgenössischen Wahlen souverän und respektvoll begleitet hat?
Wer befürchtet oder sich anderseits erhofft, diese Wahlen könnten in der schweizerischen Politik eine substanzielle Veränderung bringen, wird sich wohl bald getäuscht sehen. Doch die heftigen Reaktionen haben die Angst davor deutlich spürbar gemacht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Die Journalistin und Autorin Linda Stibler war über 40 Jahre in verschiedenen Medien tätig, unter anderem in der damaligen National-Zeitung, in der Basler AZ und bei Radio DRS (heute SRF).

    Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann (Redaktion, Koordination), Silvia Henke, Mathias Knauer, Guy Krneta, Robert Ruoff, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Rudolf Walther, Matthias Zehnder.

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9 Meinungen

  • am 4.12.2019 um 11:58 Uhr
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    Danke, Linda Stibler: Klartext tut immer gut, insbesondere nach derart einseitigen Reaktionen in unseren ‹Qualitätsmedien› (SRF TV eingeschlossen).

  • am 4.12.2019 um 12:08 Uhr
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    Danke Frau Stibler, entlich werden einmal Tatsachen und Meinungen unterschieden. Die statischen Tatsachen sollten die Grundlage einer sauberen Analyse sein, um ein Gesamtbild darzulegen. Das weiss jede/r Journalist/in bzw. Medienhaus, doch man kann sich nur wundern mit welchem Scheuklappen gewisse Berichterstatter/innen die öffentliche Meinung versuchen zu manipulieren.

  • am 4.12.2019 um 23:53 Uhr
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    Im Bewusstsein, dass ich mich vielleicht wiederhole, möchte ich in diesem Zusammenhang wieder einmal auf die Internetseite von Swiss Propaganda Research hinweisen:

    https://swprs.org/

  • am 5.12.2019 um 03:44 Uhr
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    Ich stimme zwei Punkten zu: Die Gleichschaltung der Medien (insbesondere bei aussenpolitischen und ausländischen Themen) und die Problematik dass fast nur über Meinungen und Erwartungen geredet wird, während die Tatsachen kaum mehr berichtet werden (v.a. bei SRF Kanälen).
    Was ich nicht sehe ist eine «anti-linke» Haltung in den Medien. Wie Sie korrekt schreiben sind die Grünen sehr links. Ich meine Levrat sagte selber im zitierten Tagesgespräch, dass es inhaltlich kaum Unterschiede zwischen Grünen und SP gäbe. Und die Grünen wurden keinesfalls stiefmütterlich behandelt bei SRF. Ich glaube die Journalisten ärgerten sich einfach, dass die SP sich über den Linksrutsch freute anstatt sich egoistisch über den eigenen Machtverlust zu zerfleischen. Das ist natürlich eine dumme Reaktion von Journalisten, denen es sehr oft an Reflexion fehlt und die in sehr festgefahrenen Denkmustern verharren. Aber eine systematische anti-linke Haltung kann ich nicht erkennen. Die SVP hat es in den Medien auch nicht leicht.

  • am 5.12.2019 um 06:31 Uhr
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    Die Häme gegen die SP trage ich mit und erkläre sie so:
    Da haben sich bestens ausgebildete und top verdienende Mitbürger sich in der Arbeiterpartei SP eingenistet und sich zur Arroganz hinreissen lassen, dass es besser ist, wenn sie für uns Arbeiter Politik machen; anstatt dass wir selber wie früher in den Parlamenten Einsitz nehmen.
    Nun nach ein paar Dekaden zeigt sich, dass unsere Arbeiterleben-Wirklichkeiten doch nicht so stupide und einfältig sind, für dass sich ein Akademiker diese so mir nichts, dir nichts, in fünf Minuten vorstellen kann; um unsere Probleme zu kennen, zu benennen und zu lösen.
    Die SP-Akademiker haben anstatt den Arbeitern und Schwachen zu helfen, genau diejenigen noch von den letzten Listen verdrängt, die sie sich die Arbeiter dazu noch selber erarbeitet haben und noch die letzten Listen waren, auf denen wir Platz hatten. Anstatt dem Proletariat Heimat zu sein, wurde aus der SP quasi ein linker Flügel der FDP gemacht. Mit der Folge, dass die Arbeiter scharenweise zur SVP übergelaufen sind; und somit die SP-Akademiker die treibende Kraft hinter dem Aufstieg der SVP zur stärksten Fraktion in Bundesbern waren.
    Wenn nun dieser linke Flügel der FDP, auch SP genannt, trotz bester Ausgangslage bei den Wahlen 4 Sitze einbüsste, muss doch verstanden werden, dass echte Linke auf ihren Stockzähnen grinsen und sich den einen oder anderen bösen Kommentar nicht verkneifen können. Vorallem da Links ja unter dem Strich nicht eingebüsst hat.

  • am 5.12.2019 um 06:34 Uhr
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    An Cloé Jans; Ratschläge sind auch, Schläge!
    Was der Mainstream Journalismus betrifft, ist es wie mit den Fliegen, die findet man auch alle auf dem selben Kot.
    Deshalb habe ich, „Gott sei Dank“ Infosperber abonniert.
    Recherchierte Themen, hinterfragt, aufklärend und ehrlich informierend. Danke weiter so.

  • am 5.12.2019 um 20:38 Uhr
    Permalink

    @Fischer
    In Ihrer Gedankenwelt haben nun also die SP-Akademiker die Arbeiter von den (Wahl-)Listen verdrängt, was die SP quasi zum linken Flügel der FDP machte … «mit der Folge, dass die Arbeiter scharenweise zur SVP übergelaufen sind».

    Macht Ihnen diese Geschichten wirklich Sinn?

    Nun sitzen also Ihre «übergelaufenen Arbeiter» – via SVP-Liste – in Bern und setzen sich für Ihre Anliegen ein. Tun sie’s? Dadurch, dass sie, gemeinsam mit ihren «Grossherren» solche Dinge wie die flankierenden Massnahmen, die Rechte von Arbeitern, den Konsumentenschutz usw. usf. sabotieren bzw. schleifen?

    Wirklich gut/klug gemacht, Arbeiter!?

    Man muss nicht (SP-)Akademiker sein, um zu erkennen, dass an Ihrer Geschichte so ziemlich alles faul ist, was auch nur faulen kann.

    Ihre «übergelaufenen Arbeiter» waren gedanklich nie in der SP. Sie hatten sich, falls sie sich dort physisch aufhielten, dadurch hervorgetan, Ausländern (bzgl. Arbeit) Rechte vorzuenthalten (z.B. Saisonnier), Frauen «an ihrem Platz» zu halten, Steuern zu senken (im Glauben es ginge dabei um die ihrigen) und dann zu jammern, wenn ihnen an anderer Stelle genau deswegen mehr Abgaben abgefordert wurden.

    Solche Arbeiter, die sich doch nur als «Möchtegern-Grossherren» lächerlich machen, waren – sozusagen – der «SVP-Flügel» in der SP. Sie schlüpften – als es «Mode"/"cool» wurde – ins Nestchen der «Grossherren». Da konnten sie sich – gemeinsam – dem «Grossherren"-Lied hingeben: Gegen die Ausländer. Aber Montag dann wieder hopp!

  • am 7.12.2019 um 07:23 Uhr
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    @ Herr Kühne: Sie machen das wie ein echter Politiker. Fakten ignorieren und dem Gegner die Worte im Munde herumdrehen. Ich habe nie geschrieben, dass ich das Überlaufen der Arbeiter zur SVP für klug halte. Aber das Überlaufen hat definitiv stattgefunden. Und auf die NR-SP Liste 2019 hier im BL hatte es kein einziger Nichtakadimiker geschafft. Die SP wurde den Arbeitern entrissen, von top gebildeten und noch besser Verdienenden Akademiker; welche nun logischerweise Politik für ihresgleichen machen.
    Dass Sie die Übergelaufenen ex-SP-Wähler dazu als «Möchtegern-Grossherren» verunglimpflichen überrascht mich nicht. Es ist die eigentliche Standartreaktion von SP-Akademiker, wenn ich diese mit dem Massaker an den Arbeiter in der SP konfrontiere: Beleidigungen im Zielbereich Bildungsniveau. Aber selbst wenn wir Arbeiter alle strohdumm wären, hätten wir die Berechtigung, in einem wirklich demokratischen Parlament angemessen vertreten zu sein. Aber dieser Gedanke scheint das Vorstellungsvermögen der meisten Mitbürger mit hohem Bildungsniveau bei weitem zu übersteigen.

  • am 8.12.2019 um 14:14 Uhr
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    @Fischer
    Sie schreiben, dass Sie «das Überlaufen der Arbeiter zur SVP für [nicht] klug halten» (aber «definitiv stattgefunden» hat). Es sind somit Sie (!), der die (überlaufenden) Arbeiter bzw. deren Verhalten – weniger verklausuliert ausgedrückt – für dumm erachten.

    Auch wenn es zutreffen mag (bzw. würde), dass die Arbeiter von den «SP-Akademikern» verraten wurden, so entbindet das die Arbeiter doch nicht davon, zu erkennen bzw. zu verstehen, worin denn genau dieser Verrat (bzw. diese «Verarschung") besteht und wo/in welcher Partei es ihm diesbezüglich besser ergeht/erginge.

    Wer nun aber zur SVP «überläuft» und damit diese Partei stärkt, die ihn noch viel ärger über den Tisch zieht, hat – offensichtlich – das Geschehen auf der politischen Bühne nicht im Ansatz erfasst. Die Vermittlung eines Gefühls von – vermeintlich – eigener Überlegenheit über den Ausländer reicht hier aus, um ihn zu «kassieren». Das ist nicht «strohdumm», sondern bedauerlich … und verheerend … für alle!

    Mein Mitgefühl mit dem Arbeiter, der von oben «geknüttelt» wird und im dabei aufkommenden Frust, es als Solidarität empfindet, wenn ihm ein anderer den Schuh anzieht, mit dem er dann heftig nach unten treten darf …

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