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Stecker wechseln? Konstruierter Markt für identisches Produkt © hpg

«Lieber Energie sparen als neuen Stromlieferanten wählen»

Tanja Egli/Dario Gruber /  «Viel Bürokratie, wenig Nutzen, unbekannte Nachteile», sagt Energiejournalist Guggenbühl im Interview zur Strommarkt-Öffnung.

Red. Heute endet die Vernehmlassung zur Revision des Stromversorgungs-Gesetzes (StromVG). Dabei geht es primär darum, den Haushalten und Firmen, die weniger als 100’000 Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr verbrauchen und damit im Gebietsmonopol gefangen sind, ebenfalls die Wahl des Stromlieferanten zu ermöglichen. Denn diesen Zugang zum Strommarkt haben Grossverbraucher und Verteilwerke bereits seit 2009. Um zu verhindern, dass die vollständige Marktöffnung die Stromversorgung weniger sicher macht, neue Wettbewerbsverzerrungen oder andere unerwünschte Folgen nach sich zieht, enthält die 13seitige Gesetzesvorlage viele weitere Regulierungen, die für Laien kaum verständlich sind. Bei Parteien und Verbänden ist die Revision oder sind Teile davon umstritten. Darum ist offen, ob die Vorlage die Hürden von Parlament und Volk überwinden wird, oder ob schon der Bundesrat die Vorlage schubladisiert.

Infosperber verzichtet darauf, über die komplizierte Vorlage und die vielen Stellungnahmen im Detail zu rapportieren. Stattdessen übernehmen wir ein Interview mit dem auf Energiethemen spezialisierten Journalisten und Infosperber-Redaktor Hanspeter Guggenbühl. Es erschien zu Beginn der Vernehmlassung im Radio und in der Zeitung «Südostschweiz» (SO). Das Gespräch führten die SO-Redaktionsmitglied Tanja Egli und Dario Gruber.

Südostschweiz: Herr Guggenbühl, was bringt die Öffnung des Strommarktes für alle Schweizer Stromkonsumenten?

Hanspeter Guggenbühl: Die Öffnung bringt viel Zusatzaufwand für Haushalte, viel zusätzliche Bürokratie. Und das alles mit wenig Nutzen und noch unbekannten Nachteilen für Stromverteiler und Betreiber von Wasserkraftwerken.

Wieso das denn?

Wenn wir beim Strom vom Markt reden, geht es immer nur um einen Drittel der Stromrechnung. Das ist der Preis für den im Kraftwerk erzeugten Strom. Zwei Drittel der Kosten der Stromversorgung aber entfallen auf die Stromverteilung, also die Netzkosten, auf den Aufwand fürs Zählerablesen und auf allerlei Abgaben und Gebühren. Schauen Sie, wenn ein Haushalt pro Jahr 1000 Franken für den Strom bezahlen muss, so entfallen nur 300 bis 400 Franken auf das Produkt Strom allein. Wenn man diesen Strom neu bei einem billigeren Lieferanten bezieht, kann man vielleicht 50 Franken sparen. Die beträchtliche Zeit, die man für den Vergleich aller Angebote und den Wechsel braucht, investiert man aber besser ins Energiesparen.

Aber warum sollen die Kleinen nicht das gleiche Recht auf Marktzugang haben wie die Grossen?

Das ist eine gute Frage: Die grossen Endverbraucher, also Industrie- und grosse Gewerbebetriebe, die Tausende von Franken pro Jahr für den Strom bezahlen, können ihre Lieferanten tatsächlich schon längst wählen. Aber auch die regionalen und lokalen Verteilwerke können den Strom bereits auf dem Markt kaufen und tun es auch. Indirekt haben damit auch Kleinkonsumenten heute Marktzugang. Wenn diese jetzt auch noch direkt Zugang zum Markt erhalten, können sie allenfalls den Wettbewerb unter den Verteilwerken noch etwas verschärfen. Damit werden sich die Verteilwerke künftig stärker konkurrenzieren und müssen sparen. Sie können zum Beispiel ökologische Leistungen abbauen, die sie heute freiwillig erbringen. Auch hier kann der Schaden grösser sein als der Nutzen.

Wenn das Ganze so wenig bringt und so viele Nachteile hat, wie Sie behaupten, warum will dann der Bundesrat den Markt überhaupt öffnen?

Diese Frage müssten Sie natürlich der Energieministerin stellen, nicht mir. Ich sehe primär drei Gründe: zuerst den ideologischen. Markt gilt per se als gut, als effizient, Monopole hingegen als schlecht. Drum will man den Markt auch für Dinge öffnen, die sich dazu gar nicht eignen. Zum Beispiel für den Bahnverkehr und Strom.

Und warum sollten sich Bahn und Strom dafür nicht eignen?

Weil sie an ein natürliches Monopol gebunden sind, nämlich das Bahn- und das Stromnetz. Um hier einen Markt zu organisieren, braucht es viel bürokratischen Aufwand. Das zeigen die Erfahrungen mit der heutigen teilweisen Marktöffnung.

Sie sprachen von drei Gründen.

Wir haben beim Strom den Markt wie erwähnt teilweise geöffnet. Wir haben damit eine Spaltung zwischen grossen Stromverbrauchern, die seit sieben Jahren bereits Zugang zum Markt haben, und den Kleinen, die im Monopol gefangen sind. Das ist ordnungspolitisch unschön und ungerecht. Mit der jetzt geplanten Marktöffnung auch für Privathaushalte will man für alle gleiches Recht schaffen. Aber eben: Für Leute mit einer Stromrechnung von ein paar hundert Franken lohnt sich dieser Aufwand eben kaum, den Lieferanten zu wechseln.

Und der dritte Grund?

Das ist die Europapolitik: In der EU gibt es bereits eine volle Marktöffnung. Damit die Schweiz weiterhin ohne Einschränkung an diesem europäischen Strommarkt teilnehmen kann, braucht sie ein Stromabkommen mit der EU. Als Bedingung fordert die EU die vollständige Marktöffnung in der Schweiz. Doch das allein genügt ihr nicht. Sie fordert generell eine stärkere Integration der Schweiz ins EU-Recht. Solange es dafür kein Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU gibt, kann die Schweiz das begehrte Stromabkommen ohnehin nicht abschliessen. Auch von daher ändert die vollständige Liberalisierung der Stromversorgung wenig.

Wie wirkt sich die weitere Liberalisierung des Strommarktes auf die Bündner Wasserkraft aus?
Ob die Wasserkraft rentiert, hängt nicht vom kleinen Schweizer Stromverbraucher ab, sondern vom europäischen Markt, der ja weitgehend geöffnet ist, und damit vom Niveau der Grosshandelspreise. Wenn diese Preise steigen – und das ist seit zwei Jahren wieder der Fall –, dann rentiert die Bündner Wasserkraft. Denn sie hat einen wesentlichen Vorteil gegenüber anderen Formen der Stromproduktion. Sie liefert gezielt dann Spitzenstrom, wenn er temporär knapp ist. Damit lassen sich am Markt hohe Preise erzielen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Das Interview ist in der «Südostschweiz am Wochenende» vom 20. Oktober 2018 erschienen.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Politik der Stromkonzerne

Elektrizitätsgesellschaften verdienen am Verkaufen von möglichst viel Strom. Es braucht endlich andere Anreize.

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2 Meinungen

  • am 5.02.2019 um 10:05 Uhr
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    Ja Herr Guggenbühl. Sie haben recht. Ich sehe in der vorgeschlagenen ‹vollen› Oeffnung in diesem Fall nur eine 30% Oeffnung! Wir haben hier eine Mogelpackung!
    – Regional sollte auch fair an den Netzkosten beteiligt sein. Wenn die lokale Produktion den lokalen Bedarf nicht übersteigt, dann dürften auch nur die lokalen Netzverteilungskosten belastet werden. Oder es müsste legal der Nachbar beliefert werden können. Auch das Zählerwesen ist unverständlich umständlich und teuer! Die Miete kostet pro Jahr mehr wie den Kauf des Zählers! Ich kenne Beipiele von Solaranlagen mit CHF 1200.– Jahreskosten. Bei Zählerkosten von 800.–! …und die Zähler funktionieren dann 30Jahre!

  • am 7.02.2019 um 20:47 Uhr
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    Nur schon beim verwenden der neoliberalen Wortschöpfung «Wettbewerbsverzerrung» sträuben sich mir die Haare… was wenn ich einfach blos Strom haben möchte ganz genau so wie das bisher immer war? Nur schon die Informationen auf den Rechnungen bringen mehr Fragen als Zufriedenheit wenn man blos Strom haben möchte und das bitte zu genau den Preisen die ich hier seit Jahren zufrieden und glücklich anerkenne. Wie kann ich mich als einfacher Mensch gegen die neoliberalen Vorstellungen einer Gesellschaft wehren? Werden mir da nicht ganz gezielt alle Rechte und damit Sicherheit und Verbindlichkeit genommen so das ich den neoliberalen Marktliberalisieruieren könnenngen nicht aus dem Weg gehen kann? Ich habe somit keine Wahl zwischen dem was mir für ein Leben wichtig ist, den künftig diktiert der Markt, ein Spiel das man als einzelner nie gewinnen kann. Wettbewerb ist für steuerbefreite Investoren und Anleger die ganze Konzerne im Griff haben und diversifizieren können. Für einen einzelnen Mensch der dem neoliberalen Weg der Dinge einfach ausgesetzt wird existieren keine Freiheiten

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