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Einer der beiden Angreifer, der in Deutschland Journalisten verletzte, lebt heute in der Schweiz. © MM

Schweiz: Wahlheimat von angeklagter deutscher Neonazi-Prominenz

Tobias Tscherrig /  Ein in Deutschland angeklagter prominenter Neonazi zieht in die Schweiz: Rechtsradikale Netzwerke funktionieren auch hierzulande.

29. April 2018, Fretterode, Bundesland Thüringen: Zwei Journalisten aus Göttingen fotografieren und filmen das Anwesen des Thüringer NPD-Funktionärs Thorsten Heise. Sie vermuten, dass sich bei Heise Neonazis versammeln um eine Demonstration vorzubereiten. Sie wollen dokumentieren, wer an dem Treffen teilnimmt.

Die Vermutung der Journalisten kommt nicht von ungefähr: Heise ist nicht nur NPD-Funktionär, er gilt als einer der umtriebigsten militanten Neonazis in Europa und als Kristallisationsfigur und Spiritus Rector des internationalen Netzwerks «Combat 18» (C18) – des bewaffneten Arms des in Deutschland verbotenen Neonazinetzwerks «Blood & Honour» (B&H).

Damit ist Thorsten Heise zentrale Figur der wichtigsten Struktur der gewalttätigen Neonazi-Szene in Europa. Heises Name fiel auch im Zusammenhang mit der Terrorgruppe «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU): Er steht auf einer Liste mit nachgewiesenen Kontakten zu Tätern oder Beschuldigten im NSU-Prozess. Heise ist mehrfach vorbestraft und sass bereits im Gefängnis.

Brutaler Angriff auf Journalisten
Plötzlich werden die Journalisten von zwei jungen Männern bemerkt. Diese verfolgen sie zuerst zu Fuss, dann mit einem Fahrzeug. Es kommt zu einer Verfolgungsjagd, schliesslich landet der Wagen der Journalisten in einem Graben. Die mit Baseballschläger, Messer, einem 40 bis 50 Zentimeter langen Schraubenschlüssel und Reizgas bewaffneten Männer gehen sofort zum Angriff über: Sie zerstören das Fahrzeug, brechen dem einen Journalisten mit dem Schraubenschlüssel das Stirnbein und verletzen den anderen mit einem Messer am Oberschenkel. Ausserdem rauben sie die Fotokamera.

Ein Jahr nach dem Überfall sind die beiden mutmasslichen Täter identifiziert. Es handelt sich um zwei bekannte Rechtsextreme: G.B.*, Vorstandsmitglied der NPD Niedersachsen, der als Ziehsohn von Thorsten Heise gilt. Und um N. H.*, den leiblichen Sohn des umtriebigen und mächtigen Neonazi-Netzwerkers.

Einer der Angreifer lebt im Oberwallis
Die zuständige Staatsanwaltschaft hat die beiden jungen Männer wegen schweren Raubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Es gilt die Unschuldsvermutung. Gemäss einem Artikel der «WOZ» wird der Fall von den Thüringer Justizbehörden nicht prioritär behandelt. Wann der Prozess stattfinden werde, sei unklar. Die Gerichtskammern seien stark ausgelastet.

Klar ist hingegen, wo sich der Sohn von Thorsten Heise zurzeit aufhält. Gemäss Recherchen von antifaschistischen Gruppen und der «WOZ» lebt er im Oberwallis. Er arbeitet in Visp für die «Ewald Gattlen AG», einem KMU-Unternehmen aus dem Bereich der Gebäudetechnik. Ein Foto, das den jungen Heise im Gattlen-Dress zeigt und «infosperber» vorliegt, beweist das.

Gegenüber «infosperber» nimmt Jan Gattlen von der «Ewald Gattlen AG» Stellung: «Bei unserer Firma handelt es sich um ein lokales KMU. Wir distanzieren uns von jeglichen politischen Aktivitäten und wünschen nicht, dass unser Firmenname in Zusammenhang mit einer radikalen Szene in Verbindung gebracht wird.» Das Unternehmen habe keine Kenntnis, «dass sich Angestellte von uns in einem radikalen Umfeld bewegen». Man kontrolliere die Freizeitaktivitäten der Angestellten nicht und nehme darauf auch keinen Einfluss.

Spuren führen zu Oberwalliser «B&H»-Mitglied
Es ist auf Anhieb nicht klar, warum der Sohn von Heise ausgerechnet bei einem Oberwalliser Familienbetrieb angeheuert hat. Eine entsprechende Frage von «infosperber» hat das Unternehmen nicht beantwortet. Der Angeklagte scheint jedenfalls keine Angst vor den deutschen Strafverfolgungsbehörden zu haben: Vor wenigen Tagen erschien er am «Eichsfeldtag», einem NPD-Fest, das sein Vater organisiert. Mit dabei: Einige seiner neuen Kollegen aus dem Wallis.

Es gibt aber Spuren, die Anhaltspunkte geben, warum der mutmassliche Täter aus Fretterode in Visp gelandet ist. Sie führen zum Oberwalliser «B&H» -Mitglied Silvan Gex-Collet, der für dieselbe Firma arbeitet, in der nun auch der Sohn von Thorsten Heise angestellt ist.

Gex-Collet ist Kennern der Schweizer Neonaziszene seit Jahren bekannt. Der Oberwalliser ist ein alter Bekannter von Thorsten Heise: Ein Foto von 2014 zeigt die beiden beim Handschlag. Heise reiste damals für ein Seminar ins Oberwallis. Gex-Collet erwiderte den Besuch spätestens im letzten Jahr. Damals reiste er an das von Thorsten Heise organisierte «Schild&Schwert»-Festival nach Ostritz. Ein Festival, das auch zur internationalen Vernetzung der militanten neonazistischen Szene dient.

Ein weiteres Festival-Bild zeigt Gex-Collet mit Marko Gottschalk, Sänger der Band «Oidoxie». Gottschalk und seine Band sind weitere zentrale Figuren im Netzwerk um Heise. Mit Songs wie «Terrormachine Combat 18» machten sie sich mit zum Sprachrohr des deutschen «C18»-Ablegers. Seit Jahren zieht die Band – die 2006 eine CD über Thorsten Heises Label produziert hatte – ein äusserst gewalttätiges Umfeld an.

Networking à la Neonazi
Silvan Gex-Collet spielte früher selber in einer rechtsextremen Band. In der Vergangenheit reiste er mehrmals ins Ausland, um sich mit anderen Neonazis zu treffen. Allerdings ist er auch in der Schweiz tätig: Im September 2005 organisierte er in Gamsen (VS) zusammen mit anderen Personen aus dem Oberwalliser «B&H»-Umfeld ein Gedenkkonzert für den Neonazi-Sänger Ian Stuart. Am Anlass nahmen rund 400 Neonazis aus der Schweiz, Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich teil. Gex-Collet wurde wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm verurteilt. Im Urteil wird er als «der eigentliche Chef und verantwortlich für die Organisation des gesamten Anlasses» bezeichnet.

Als am 15. Oktober 2016 in Unterwasser (SG) das grösste Neonazi-Konzert in Europa mit insgesamt 5000 Besuchern aus dem In- und Ausland stattfand, taucht Gex-Collets Namen erneut auf: In der Nichtanhandnahmeverfügung betreffend einer Anzeige wegen Rassendiskriminierung beschreibt ein damals anwesender Polizist, wie sich Silvan Gex-Collet als Bühnenverantwortlicher des Anlasses zu erkennen gegeben habe. Er habe mit ihm die Hallenorganisation und die Fluchtwege besprochen.

Im Jahr 2015 gründete Gex-Collet in Brig-Glis (VS) die «GexTex GmbH». Ein Unternehmen, dem unter anderem das Tattoo-Studio «Nordic Thunder» angehört. Hier arbeitet zum Beispiel der estnische Neonazi Mart Plees, der im Jahr 2007 den ersten Laden in Schweden eröffnete, der die bei Neonazis beliebte Kleidermarke «Thor Steinar» verkaufte.

Neonazistische Netzwerke funktionieren
Obwohl der vorliegende Text bei weitem kein vollständiges Bild über die Umtriebe und Vernetzungen von neonazistischen Netzwerken und den darin eingebetteten Akteuren darstellt und speziell ihre Geschäftstätigkeiten ausklammert, zeigt er doch, das diese Netzwerke auch in der Schweiz existieren und funktionieren – und das seit Jahren. Eine Berichterstattung über die Thematik bleibt aber schwierig, nicht zuletzt, weil sich der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) nicht zu einzelnen Gruppierungen oder Organisationen äussert.

Immerhin schreibt der NDB im neusten Lagebericht «Sicherheit Schweiz», dass die Schweizer rechtsextreme Szene im Aufwind ist, der Umgang mit Schusswaffen geübt wird und Kampfsportarten trainiert werden.

Nach Jahren der Verharmlosung findet er damit zumindest etwas deutlichere Worte. Denn neonazistische und international agierende Netzwerke existieren in der Schweiz seit Langem. Vielleicht hilft die Anwesenheit des Sohnes von einem der aktuell mächtigsten Führungsfiguren der europäischen militanten Neonazi-Szene, der Thematik in der Schweiz endlich den Stellenwert einzuräumen, den sie – leider – verdient.

*Namen bekannt


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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Rechtsextreme in Europa

Arbeitslosigkeit, Immigration und zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich sind Nährboden für Extremismus.

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9 Meinungen

  • am 29.05.2019 um 12:00 Uhr
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    Ob all dem Wehklagen darf nicht vergessen werden, dass es die Personenfreizügigkeit ist, die seinen Zuzug erlaubt. Also sind es sozialdemokratische, linke Positionen, die nun von den Ultrarechten ausgenützt werden.

  • am 29.05.2019 um 21:59 Uhr
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    @ U. Lauper: Es darf auch nicht vergessen werden, dass es die AHV/IV ist, die ihm dereinst eine Rente ausrichten wird. Also sind es sozialdemokratische, linke Positionen, die nun von den Ultrarechten ausgenützt werden.

  • am 30.05.2019 um 11:55 Uhr
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    @F.-P. Dinter: Bin ganz und gar Ihrer Meinung, vorausgesetzt er hält sich lange genug in der Schweiz auf.

  • am 30.05.2019 um 20:30 Uhr
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    Man darf auch nicht vergessen Da hier rechtes gedankengut allgemein akzeptiert wird. Politiker sich rechts äussern und die SVP voll dabei ist. Also das Paradies jedes rechtsextremen Gesellen. Passen ja gut hierher.

  • am 30.05.2019 um 21:16 Uhr
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    @U. Lauper: Ja, Ironie zu verstehen, ist nicht jedem gegeben…….

  • am 1.06.2019 um 10:39 Uhr
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    Ziemlich bescheuert, Herr Lauper, in diesem Fall die Personenfreizügigkeit heranzuziehen. Auch als es diese nicht gab, zogen Rechtsradikale aus Deutschland, sogar zuzeiten der BRD, in Scharen in unser Land. Rechtsradikale wurden bereits in den 1980ern salonfähig gemacht- damals, als ein gewisser Christoph Blocher sich die SVP unter den Nagel riss. Sie wurden, anders als Anarchisten oder mutmasslich Linksextreme – die es übrigens so nie gab – in keinem Fall ausgewiesen. Auch mit der Personenfreizügigkeit wäre es möglich, Nichtschweizer-Neonazis und allenfalls AfD- oder FPÖ-Mitglieder von unserem Land fernzuhalten, wenn sie an ihrem früheren Wohn- oder Arbeitsort kriminell waren oder offensichtlich ausserstande sind, unsere Gesetze – etwa die Antirassismusnorm -einzuhalten. Das Problem ist ja, dass sogar staatsnahe Betriebe braune Agitatoren, etwa die SBB (Bahnpolizisten), einstellen. Dass es mehrere Angehörige der Polizeicorps gibt, die sich mehr oder weniger offen als Neonazis oder Faschisten (Bewunderer von Salvini (IT), Wilders (NL, Le Pen (FR) und weitere) outen, ganz zu schweigen von den Offiziersbeständen der Armee. Solange diese Toleranz gegenüber der extremen Rechten in unserem Land praktiziert wird, solange zieht die Schweiz solche Zeitgenossen wie ein Kuhfladen Schmeissfliegen an.

  • am 2.06.2019 um 09:53 Uhr
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    @ Beutler. Ich bemerke Ihren tiefen Hass gegenüber Andersdenkende.
    Ist das nicht auch schon Rassismus? Ich empfehle Ihnen Rosa Luxemburg:
    "Freiheit ist auch immer die Freiheit der Andersdenkenden»
    Meine Beurteilung über sie: «Moralische Empörung ist die Strategie der Wichtigtuer, sich Würde zu verleihen» (Tom Wolfe)

  • am 3.06.2019 um 16:38 Uhr
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    @Paul Stolzer: Haben Sie auch Argumente um die Aussagen von Peter Beutler als falsch zu widerlegen? Gegen Rechtsradikale Klartext zu reden ist nicht nur korrekt sondern dringend nötig. Letzteren ist dringend Paroli zu bieten.

  • am 23.07.2019 um 16:41 Uhr
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    @Peter Beutler Na ja, immerhin hat der «böse» Blocher viel dazu beigetragen, dass wir der EU nicht beigetreten sind. Und wenn man sieht, wie sich das entwickelt hat, müssten wir ihm dafür die Füsse küssen. Anstatt die Rechten zu bekämpfen, sollte man hinterfragen, was schief läuft, dass es immer mehr davon gibt. Einen kritischen Blick nach Deutschland zu werfen, bringt einen da schon sehr weit…

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