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Roger Köppel will in den Ständerat – obwohl sein Leistungsausweis im Nationalrat dürftig ist © srf

Wie sich Roger Köppel seine Nationalrats-Absenzen schönredet

Tobias Tscherrig /  SVP-Nationalrat Roger Köppel ist Absenzenkönig im Parlament. Statt sich zu hinterfragen, liefert er merkwürdige Rechtfertigungen.

Bei den eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober will SVP-Nationalrat Roger Köppel einen der beiden Zürcher Ständeratssitze erobern. Dazu ist er auf die Gunst der Wählerinnen und Wähler angewiesen, Negativschlagzeilen sind eher hinderlich – speziell, wenn sie einige Wochen vor den Wahlen auf den Titelseiten von Print- und Online-Medien erscheinen.

«SVP-Köppel schwänzte 1006 Abstimmungen!», titelte der «Blick» am 6. Oktober 2019. Grundlage des Artikels ist eine Auswertung sämtlicher Abstimmungen im Nationalrat der letzten vier Jahre, die «politik.ch» im Auftrag des «SonntagsBlick» erstellt hatte. Die wichtigsten Resultate kurz zusammengefasst: SVP-Nationalrat Roger Köppel ist Absenzenkönig, er verpasste 1006 von insgesamt 4341 Abstimmungen. Danach folgen Martin Bäumle (GLP), Hans Grunder (BDP) und Gerhard Pfister (CVP).

Zusammengerechnet fehlen am häufigsten Parlamentarierinnen und Parlamentarier der BDP-Fraktion, dicht gefolgt von den GLP- und FDP-Fraktionen. Politikerinnen und Politiker der Grünen und der SP sind am häufigsten anwesend. Spitzenreiterin in Sachen Anwesenheit ist SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler, die in vier Jahren nur drei Abstimmungen verpasst hat.

Fünf Vorstösse in vier Jahren
Dass Köppel die Abwesenheitsliste im Nationalrat anführt, kommt nicht überraschend. Bereits nach zwei Jahren im Amt hatte er 539 von 2244 Abstimmungen verpasst. Allesamt unentschuldigt. Wie die «NZZ am Sonntag» berichtete, war er nicht einmal anwesend, als «die letzte Runde im Ringen um die Zuwanderungsinitiative der SVP anstand». Bis zur Halbzeit der Legislatur hatte er im Übrigen keinen einzigen Vorstoss eingereicht.

Nun neigt sich die 50. Legislatur dem Ende entgegen, Köppels Absenzen sind auf 1006 gestiegen, seine Vorstösse auf fünf: eine Motion, zwei Interpellationen und zwei Fragen während den Fragestunden. In vier Jahren. Mit anderen Worten: Köppels Leistungsausweis im Nationalrat ist mehr als dürftig. Damit stimmt das Fazit der «NZZ am Sonntag», die bereits vor zwei Jahren schrieb: «Nun, da er zwei Jahre im Bundeshaus mitgewirkt hat, lässt sich festhalten: Es stimmt. So richtig Lust am Amt scheint Köppel nicht entwickelt zu haben.»

Lust auf Ständerat – trotz Frust im Nationalrat
Vielleicht fehlte bei Köppel die Lust, weil er anscheinend gar nicht in den Nationalrat wollte. Es sei die verheerende Politik der Linken, die ihm den Entscheid aufgedrängt habe, sagte er im Wahlkampf 2015.

Aber nun scheint Roger Köppel Lust auf den Ständerat zu haben. Ihm gehe es um Themen, nicht um Pöstchen, schreibt er auf seiner Internetseite. Wenn Köppel im Zürcher Ständeratswahlkampf seinen politischen Kontrahenten Ruedi Noser (FDP) und Daniel Jositsch (SP) nun Pöstchenjägerei vorwirft und Transparenz fordert, hat er zumindest teilweise Recht. Aber er hat auch leicht reden: Welche Interessensgruppen geben ihre Mandate einem Politiker, dessen Leistungsausweis im Parlament vor allem von Absenzen bestimmt wird?

Im Übrigen ist die Transparenz-Thematik für Köppel bloss ein Wahlkampfthema, das belegt sein Abstimmungsverhalten in der Vergangenheit. Zwei Beispiele: Als der Nationalrat im Juni 2017 die Motion «Transparenz über die Parteienfinanzierung» ablehnte, war Köppel nicht anwesend. Mitte September 2016 stimmte er bei der Motion «Interessenbindungen vor und nicht erst nach den Wahlen offenlegen» mit einem «Nein».

«Fehle nur, wenn sich das Parlament mit sich selbst beschäftigt»
Und nun das. Inmitten seines umfassenden Ständerat-Wahlkampfes muss sich Köppel mit seinen «Altlasten» als Nationalrat herumschlagen: 4 Jahre, 1006 Absenzen, fünf Vorstösse. Aber Köppel wäre nicht Köppel, würde er in seinen Absenzen ein Problem sehen. Gegenüber «Blick» sagt er unter anderem, dass er fehle, «wenn sich das Parlament nur mit sich selbst beschäftigte.» Damit macht Köppel seine Schwachstelle zur vermeintlichen Stärke und präsentiert sich als Politiker, der sich aus Prinzip der unnötigen Bürokratie verweigert.

Dass langwierige Diskussionen und Sackgassen zu unserem politischen System gehören, ist zwar unschön und manchmal mühsam – aber unvermeidbar. Ein Politiker der SVP, die nach eigener Aussage an vorderster Front für die direkte Demokratie kämpft, sollte das eigentlich wissen.

Doch Köppel ist auf dem Holzweg, wenn er meint, dass sich das Parlament in 1006 Abstimmungen nur mit sich selber beschäftigt hat. So fehlte der SVP-Nationalrat nicht nur im Ringen um die Zuwanderungsinitiative, sondern zum Beispiel auch bei diversen Abstimmungen über die Armee und die Ruag, selbst bei Abstimmungen betreffend der Umsetzung des Rahmenabkommens war er nicht anwesend. Abstimmungen zu Rüstungsbeschaffungen, über den Schutz der Schweizer Landesinteressen gegenüber der EU, über eine mögliche Verwendung der Kohäsionsmilliarde für die AHV-Sanierung und viele weitere mehr, fanden ohne Köppel statt. Die Liste ist lang.

Doppelfunktion als Belastung
Als weiteren Grund für seine häufigen Abwesenheiten gibt Köppel seine Tätigkeit als Chefredaktor und Verleger bei der «Weltwoche» an. Dazu hätte zum Beispiel die SP-Motion «Parlamentarische Arbeit auf Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik prüfen» gepasst, die im Juni 2016 vom Nationalrat angenommen wurde. Köppel glänzte durch Abwesenheit.

Auch der «enorm hohe» Aufwand für seinen Ständeratswahlkampf sei in den letzten Monaten ein Grund für seine häufigen Abwesenheiten gewesen, sagt Köppel gegenüber «Blick». Aber Köppel wurde von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger als Nationalrat gewählt und mit einem politischen Mandat betraut. Die Begründung, dieses nicht ausführen zu können, weil die Werbung in eigener Sache für einen neuen politischen Posten dies nicht zugelassen habe, ist bizarr – und ein Schlag ins Gesicht seiner damaligen Wählerinnen und Wähler.

Zur Erinnerung der Eid, den jedes Mitglied der Bundesversammlung vor seinem Amtsantritt ablegt: «Ich schwöre vor Gott dem Allmächtigen, die Verfassung und die Gesetze zu beachten und die Pflichten meines Amtes gewissenhaft zu erfüllen.» Und im Bundesgesetz über die Bundesversammlung steht: «Die Ratsmitglieder sind verpflichtet, an den Sitzungen der Räte und Kommissionen teilzunehmen.»

Das liebe Geld
Trotzdem weiss Köppel, warum seine Absenzen für die Schweizer Politik – oder besser gesagt für den Steuerzahler – mehr Segen als Fluch sind: «Ich bin kein Araldite-Politiker, der zum Sitzungsgeldkassieren am Sessel klebt», sagt er gegenüber «Blick». Damit spricht er die 440 Franken Arbeitsentgelt an, die jedes Ratsmitglied pro Rats-, Kommissions-, oder Fraktionssitzung erhält.

Mit seiner Aussage lenkt Köppel von sich ab und unterstellt Volksvertreterinnen und Volksvertretern, die ihre Pflichten wahrnehmen und oft im Parlament präsent sind, ihre Hauptmotivation sei das Sitzungsgeld. Ausserdem erzählt er nicht die ganze Wahrheit, denn auch er wird bezahlt. Pro Jahr erhält er 26’000 Franken für die Vorbereitung der Ratsarbeit. Zusätzlich bezahlt der Bund Ratsmitgliedern eine Jahrespauschale für Personal- und Sachausgaben von 33’000 Franken, dazu kommen Entschädigungen für Essen, Reisen und Übernachtungen sowie Vorsorgeentschädigungen. Und dies unabhängig davon, ob sie überhaupt nach Bern reisen.

Wer ist nun besser? Politikerinnen und Politiker, die – falls es das denn wirklich gibt – zusätzlich auf das Sitzungsgeld aus und deshalb anwesend sind? Oder Politikerinnen und Politiker, die vom Bund bezahlt werden, obwohl sie nicht anwesend sind?


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6 Meinungen

  • am 8.10.2019 um 13:45 Uhr
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    Wenn er nur bei den wichtigen knappen Abstimmungen (EU und Migration) zugegen war, bin ich schon zufrieden. Das Anhören von ellenlangen Wiederholungen im Parlament ist kein Leistungsausweis für einen Parlamentarier.

  • am 8.10.2019 um 22:53 Uhr
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    Lieber Herr Köppel, statt ihre Ausreden anzuhören, lese ich lieber die Geschichten von Trudi Gerster, die sind viel intelligenter als ihre Märchen…

  • am 9.10.2019 um 09:06 Uhr
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    Köppel ist wie Trump. Trump ist durch demokratische Wahlen an die Macht gekommen, verachtet aber die Demokratie zutiefst. Bei Köppel ist es dasselbe, er schwafelt immer gross, Schweiz retten, linken Vormarsch eindämmen, all das dumme Zeug. Köppel braucht die nationale politische Bühne für sein krankes Ego und die darbende Weltwoche! Niemand in der Schweiz verhöhnt seine WählerInnen mehr als Köppel, auch da ist er Spitze!

  • am 10.10.2019 um 17:22 Uhr
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    @Alex Schneider Deine Aussage lässt einen daran Zweifeln ob es überhaupt genügend Menschen gibt die sich für Politik interessieren und nicht einfach jemanden wählen damit man gewählt hat.

    So langsam bin ich der Meinung, dass man zuerst beweisen muss ob man sich genügend Zeit für Politik nimmt um wählen zu können. Vielleicht sogar ob man fähig ist komplexe Zusammenhänge zu verstehen oder überall nur weiss schwarz sieht und einfache Lösungen die aus dem Kopf eines Kindes stammen könnte für sinnvoll erachtet.

  • am 11.10.2019 um 16:06 Uhr
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    Herrn Köppels Verhalten fällt mir spontan nur eine Bezeichnung ein: Scheinnationalrat.

  • am 12.10.2019 um 14:37 Uhr
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    Ich bin natürlich froh, wenn Köppel im NR bei den Abstimmungen fehlt, da er aus meiner Sicht vermutlich fast immer «falsch» stimmt.

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