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Selten geworden: junger Flussuferläufer © Marcel Ruppen birdfoto.ch

Wie Vögel unter Freizeit-Stress leiden

Beatrix Mühlethaler /  Ein wachsendes Freizeitangebot zieht die Menschen in die Natur – und verdrängt viele Vögel. Folge 3 zum Brutvogelatlas.

Flussuferläufer und Flussregenpfeifer sind in unserem Land zu äusserst seltenen Brutvögeln geworden. Sie brüten auf ungestörten Kiesinseln, die es in den verbauten Flüssen nur noch vereinzelt gibt. Schwall- und Sunkbetrieb der Kraftwerke zerstören zudem viele ihrer raren Bruten. Die beiden Vogelarten profitieren davon, wenn Flussstrecken revitalisiert werden.

Allerdings sind solche Flussabschnitte auch für die Bevölkerung sehr attraktiv. Und auf Kiesinseln landen gerne die Freizeitkapitäne mit ihren Gummibooten. Den Kiesbrütern ist deshalb nur zu helfen, wenn erstens das Schwall-/Sunkproblem gelöst wird, und zweitens die Freizeitmenschen Absperrungen und Bruthinweise beachten und sich in weniger heiklen Gebieten vergnügen.

Rummel bedroht Alpenvögel

Der Freizeitbetrieb stört auch Rote-Liste-Arten in den Bergen, insbesondere das Auer- und das Birkhuhn. Das beginnt mit Infrastrukturbauten in der Nähe ihres Lebensraums und setzt sich fort mit Wandern abseits von Wegen, Skifahren abseits von Pisten, Ski- und Schneeschuh-Touren. Während das Birkhuhn im Alpenraum noch weit verbreitet ist und nur als potenziell gefährdet gilt, ist das Auerwild bereits aus vielen Bergregionen verschwunden und hat angesichts von nur noch wenigen hundert Männchen eine ungewisse Zukunft.


Die Birkhahn-Balz im Frühling ist ein eindrückliches Schauspiel, das durch Schutz ungestörter Berggegenden erhalten werden kann. © M.Ruppen

Zum Schutz von Birk- und Auerhuhn braucht es Ruhezonen und -zeiten, Wege und Pistengebote sowie Menschen, die das verstehen und sich darauf einstellen. Forscher, Behörden und Freizeitorganisationen bemühen sich seit einigen Jahren, den Hühnervögeln auf diese Weise den nötigen Schonraum zu verschaffen. Gleichzeitig werden aber immer noch Projekte für neue Skigebiete in bisher unberührten Gegenden aufgegleist. So soll zum Beispiel im Skigebiet von Samnaun durch den Bau neuer Bahnen eine bisher ungestörte Geländekammer für den Skibetrieb erschlossen werden. Diese ist heute noch ein Rückzugsgebiet im grossen Skizirkus, unter anderem für das Schneehuhn.

In Zukunft könnte noch ein anderer Faktor den Lebensraum für Alpenvögel einengen: die Klimaerwärmung. Einige Vögel in den Alpen, die schon heute ihr Brutgebiet nach oben verlegen, weil es ihnen zu heiss wird oder weil die Waldgrenze steigt, stossen irgendwann an eine obere Grenze, wo es nicht mehr höher geht. Das könnte unter anderem das Schneehuhn, die Ringdrossel und den Schneefink betreffen.


Der Klimawandel treibt die Ringdrossel in höhere Lagen, wo sie durch Verwaldung ebenfalls Terrain verliert. © M.Ruppen

Nirgends mehr ungestört

Felsen sind weitere Konfliktzonen zwischen Mensch und Vogel. Kletterer, Basejumper oder Deltasegler können sensible Arten wie Wanderfalke, Uhu und Steinadler beim Brutgeschäft stören. Freizeitclubs können zusammen mit Naturkennern Konzepte entwickeln, wo solche Aktivitäten, räumlich oder zeitlich gelenkt, ohne übermässige Störungen möglich sind. An den Freizeitclubs liegt es dann, ihre Mitglieder zu informieren und zu sensibilisieren.

Vielfach fehlt es Menschen, die sich in der Natur bewegen, an Wissen und Aufmerksamkeit: Auf Seen kann ein einziger Paddler hunderte von Wasservögeln aufjagen. Stand-Up-Paddler, die zu nahe an Ufer- und Schutzzonen geraten, stören Wasservögel mit ihren Jungen. Wenn diese auseinander getrieben werden, sind Beutegreifer schnell zur Stelle. Geocoaching, Drohnenfotografie und die immer häufigeren Events in freier Natur sind weitere Störfaktoren. Sie können einen Brutabbruch bei gestörten Vögeln bewirken.

Haubentaucher: gut betreuter Jungvogel. © M.Ruppen

Meist entgeht es den ungeübten Augen vergnügter Freizeitmenschen, dass ihr Hobby auf Kosten gefiederter Freunde geht. So kommt uns die Natur abhanden, weil sie als Kulisse für jede erdenkliche Form von Freizeitvergnügen dient. Besucherlenkung ist zum letzten Notnagel geworden, um Naturwerte vor den vielen Menschen zu schützen, die es in die Natur zieht.

Bauboom verdrängt Lebensraum

Wie aber geht es den Vögeln dort, wo wir uns die längste Zeit aufhalten, nämlich in der Siedlung? Die Bilanz des Brutvogelatlas ist zwiespältig: Einerseits haben sich die Bestände an Vögeln im Siedlungsraum in den letzten zwanzig Jahren etwa gehalten. Anderseits verdrängt die Ausdehnung von Siedlungen die Vögel des Kulturlands.

Am stärksten trifft es Vögel, die gerne in den Wiesen mit Obstbäumen und ausgedehnten Gärten am Rand von Siedlungen brüteten. Gerade diese oft vielfältigen Randzonen sind dem Bauboom zum Opfer gefallen. Wendehals, Gartenrotschwanz und Grauschnäpper haben hier Terrain verloren. Alle gehören zu den starken Verlierern. Die Autorin hörte als Kind in den 1950er Jahren noch den Wendehals im Obstgarten hinter dem Haus und erlebte, wie der Trauerschnäpper jeden Frühling seine Nisthöhle im grossen Kirschbaum an der Strasse bezog. Vergangene Zeiten. Heute stehen dort neue Häuser mit Zufahrtwegen und Parkplätzen.


Auch Samenfresser leben nicht im Überfluss: Dem Stieglitz helfen Gärten mit heimischem Wuchs, die im Herbst nicht abgeräumt werden. © M.Ruppen

Aktiv werden für Safari vor der Haustüre

Mit der Verdichtung der Siedlungen droht den Vögeln ein weiterer Verlust an Lebensraum, weil grosse alte Gärten verschwinden, die meist relativ naturnah waren. Im Abstandsgrün, das in dicht überbauten Quartieren und rund um Mehrfamilienhäuser noch Platz hat, regt sich nicht mehr viel Leben. Deshalb ist es unerlässlich, Grünräume in Siedlungen zu erhalten und eine Grünvernetzung zu planen, die durch Tiere nutzbar ist. Gefordert sind hier die Gemeindebehörden, Bauinvestoren und Immobilienverwaltungen.

Schliesslich könnte heute auch jeder noch so kleine Privatgarten oder Balkon zu einem Rückzugs- oder Verpflegungsort für Schmetterlinge, Bienen und andere Insekten gemacht werden. Das würde ebenfalls dazu beitragen, dass Vögel und viele andere Tiere mehr zu futtern haben. Nicht zu vergessen die Nisthilfen in Gärten und an Häusern, welche die Wohnungsknappheit von Tieren verkleinern. Wenn Rasen zu Wiesen, Schotterflächen zu kiesigen Ruderalflächen umgewandelt und Kirschlorbeerhecken durch heimische Sträucher ersetzt würden, dann hätten wir ein neues Freizeitvergnügen: Safari vor der Haustür.

Was weshalb wo etwas bewirkt

Der Brutvogelatlas vermittelt unzählige weitere Fakten, Hinweise auf Zusammenhänge und Entwicklungen, die es lohnen, das Mammutwerk zu studieren. Zudem vermittelt es einen grossen Strauss an Vorschlägen, wie die Vögel in unserem Land ein besseres Leben führen könnten. Gefordert sind Politik, Verwaltungen und jeder einzelne Mensch.
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Quelle: Knaus Peter et al., Schweizer Brutvogelatlas 2013-2016, Schweizerische Vogelwarte Sempach


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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2 Meinungen

  • am 4.01.2019 um 20:36 Uhr
    Permalink

    Ich erinnere mich, wie ich in den 80-er Jahren hin und wieder auf der Segeljolle in der Nähe der Storeninsel auf dem windstillen Greifensee mein Mittags-Sandwich verzehrt habe und den Vögeln und ihrer Brut im Schilf von recht nahe zugeschaut habe. Immer um halb Zwei donnerten die Hunter vom Flugplatz Dübendorf über uns hinweg und die Vögel flogen aufgeschreckt herum, obwohl sie eigentlich an die regelmässig erscheinenden grossen Vögel gewöhnt hätten sein können.
    Es gilt nicht nur den stillen Betrachter zurückzubinden, sondern insbesondere auch alle gewaltig von Ferne lärmenden.

  • am 6.01.2019 um 12:08 Uhr
    Permalink

    Die Drohnen, das neue Spielzeug und Freizeitvergnügen…..das hat erst begonnen und wird den Vögeln (und nicht nur diesen) noch viel Stress bereiten, weil der Run auf die besten Bilder nahe am Nest und dergleichen gross sein wird. Mit diesen Geräten kann wieder eine Menge Geld gemacht werden, die Schäden bezahlt wieder einmal mehr die Allgemeinheit, und die Natur….Ich hoffe trotzdem auf eine strenge Regulierung, auf dass die Geräte nur für begründete Einsätze genutzt werden dürfen.

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