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Ölverschmutze Erde: Donald Moncayo führt Touristen an vergiftete Orte im Regenwald © Alejandro Ramírez Anderson

Ecuador: Wo sich der Tod fauchend in die Körper frisst

Romano Paganini /  Auf der Toxic-Tour im Regenwald von Ecuador wird der ökonomische und ökologische Irrsinn der Erdölindustrie sichtbar.

Donald Moncayo kratzt mit der Schaufel den sandigen Untergrund auf, geht in die Knie und klaubt eine Handvoll Boden auf. Dann öffnet er seine Handfläche, seziert vorsichtig die dunkle Masse und pflückt ein Insekt nach dem anderen heraus: Käfer, Nachtfalter, Wespen, Ameisen. «Zu Tausenden sterben hier Nacht für Nacht alle möglichen Insektenarten», sagt Moncayo und schüttet sie zurück ins Massengrab. Ein Massengrab, auf dem ganze Generationen von kremierten Kleintieren liegen. Selbst verkohlte Schlangen sind hier schon gefunden worden. Zehn Meter über ihren leblosen Körpern faucht eine Flamme gen Himmel, die je nach Druck im Bohrloch sogar vom All aus zu sehen ist. Die Flamme macht die Nacht zum Tag und den Tag zur Hölle. Und das seit 1974.
Der Schweiss tropft einem schon nach wenigen Sekunden von der Stirn. Allzu lange lässt sich hier nicht stehen. Es riecht nach verbranntem Gas und plötzlich auch nach Gefahr. Denn am Horizont, dort wo der Grossteil der Anlage der staatlichen Erdölfirma Petroamazonas steht, der Station Aguarico 3, sind zwei Männer aufgetaucht. Moncayo sagt zwar, dass alles in Ordnung sei. Das Gespräch führen wir vorsichtshalber dennoch im Wald weiter. Auch wegen der Hitze.

Lago Agrio, im Regenwald von Ecuador: Das Gas aus den Bohrtürmen wird seit den 1970er-Jahren abgefackelt. Wenn es in der Region regnet, fällt Russ vom Himmel. (Bild: Alejandro Ramírez Anderson)
Wir befinden uns etwa eine Autostunde südöstlich von Lago Agrio, also in jenem Teil des Regenwaldes, wo die Mehrheit des ecuadorianischen Erdöls abgebaut wird. Die Industrie hat sich ab den 1960er-Jahren in das dünn besiedelte Gebiet gefressen: zuerst mit Bulldozern, danach mit riesigen Lastwagen, die mit Metallrohren und Tanks beladen waren. Als die ersten Flammen aus den Bohrtürmen loderten, war Umweltschutz noch kein Thema, geschweige denn Klimawandel. Das hochgiftige Formationswasser, das zusammen mit dem Erdöl an die Oberfläche spritzt, wurde in die Sumpfgebiete und Flüsse gelassen; das Gas, bei dessen Verbrennung Kohlendioxid, Schwermetalle, Russ, Schwefel, Stickoxide und Methan in die Atmosphäre gelangen, verbrannt. Wenn es in der Region regnet, fällt Russ vom Himmel.
Auch Lieferanten der Schweiz fackeln ab
Wahrgenommen wird dieses Problem von der Industrie erst seit ein paar Jahren. Und Grund sind nicht etwa die unmittelbaren Schäden für Flora, Fauna und Mensch, sondern die internationale Diskussion rund um den CO2-Ausstoss und dessen Einfluss auf den Klimawandel. Wissenschaftler haben inzwischen ausgerechnet, dass mindestens ein Prozent des weltweiten CO2-Ausstoss-Ausstosses aus der Verbrennung des so genannten Erdölbegleitgases stammen. Exakte Angaben sind auf Grund fehlender Erhebungen und unzuverlässiger Daten bezüglich Zusammensetzung des Erdgases nicht möglich.
Zuoberst auf der Länderliste der Erdölbegleitgas-Verbrennung stehen Russland, Nigeria*, der Iran, der Irak und die USA, gefolgt von Algerien*, Kasachstan*, Angola und Saudi-Arabien. Ecuador ist mit wesentlich geringeren Belastungswerten zwar weiter unten auf der Liste aufgeführt. Das Massengrab bei der Station Aguarico 3 wird dennoch täglich grösser. Pikant: Technologisch wäre die Nutzung des Gases längst möglich. In Kanada beispielsweise wird es seit bald hundert, in Norwegen und Saudi-Arabien (zumindest teilweise) seit knapp fünfzig Jahren verwendet. Begleitgas kann zum Beispiel zur Erzeugung von Strom, petrochemischen Produkten oder für die Herstellung von Flüssiggas genutzt werden.
Wir lassen die fauchenden Türme hinter uns und gehen tiefer in den Wald. Moncayo musste den schmalen Pfad vor ein paar Wochen erneut freischlagen. Firmenmitarbeiter oder lokale Helfershelfer, erzählt der 45-Jährige, hätten den alten Zugang zu Aguarico 3 zugeschüttet. Das komme immer wieder vor. «Doch für mich ist wichtig», sagt er, «dass die Menschen aus nächster Nähe sehen, was hier passiert.» Dass er sich dabei in Gefahr begibt, sieht er als Teil seiner Aufgabe.
Zum Flussbett ohne Wasser geht es steil hinunter. Moncayo legt die Machete zur Seite und rammt die Schaufel in die harte Kruste. Das Stück Erde, das er aus der Wand schält ist innen schwarz und riecht nach Teer. «Ausgelaufenes Erdöl», sagt er und hält es in die Kamera. Als die Industrie in der Region Fuss fasste, sei zur Evaluierung der Öl-Menge der Hahn des Erdölrohrs während einer Stunde geöffnet worden und die schwarze Masse einfach ausgelaufen. «Danach wurde hochgerechnet, wie viel Öl sich in 24 Stunden abbauen lässt und was das in Anzahl Barrel bedeutet.»
Moncayo blickt ins Leere. Seit bald zwanzig Jahren führt er Menschen aus der ganzen Welt an die vergifteten Orte. Auch an jene, von denen die Industrie behauptet, sie gereinigt zu haben. Dann kommt die Schaufel zum Einsatz, die das Gegenteil belegt. Moncayo kennt die Gegend und ihre Geschichte wie kaum ein anderer. Familienmitglieder, Nachbarn, Freunde und Bekannte, viele von ihnen aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter in irgendeinem Sektor der Erdöl-Industrie, versorgen ihn mit Informationen und Berichten. Ausserdem ist er international gut vernetzt, reist regelmässig zu Veranstaltungen, begibt sich auf Podien und informiert sich übers Internet. Durch das öffentliche Interesse am Jahrhundertprozess gegen den Erdöl-Multi Texaco/Chevron, eine der ersten Firmen, die hier operiert hatten, reisten auch prominente Persönlichkeiten wie Brad Pitt, Stings Ehefrau Regisseurin Trudie Styler oder die Rapper von «Calle 13» in die Region. Moncayo führte sie auf seiner Toxic-Tour an die selben Orte wie die UmweltpolitikerInnen aus Europa, die VertreterInnen von NGOs aus den USA und Kanada oder die StudentInnen aus Quito. Die Toxic-Tour schaffte ein Fenster zur einer Welt, die kaum einer sehen will.
Ab 2030 soll kein Gas mehr verbrannt werden  
Auf Grund des öffentlichen Drucks sind inzwischen auch internationale Entscheidungsträger auf die Verbrennung von Erdölbegleitgas aufmerksam geworden. So hat die Weltbank 2015 die Globale Partnerschaft zur weltweiten Verringerung des Abfackelns von Erdgas ins Leben gerufen. Daran beteiligt sind 25 Regierungen, 31 Erdölfirmen und 15 Entwicklungsorganisationen. Bis 2030, so das Ziel der Initiative, soll kein Gas mehr verbrannt werden. Auch Ecuador macht mit. Allerdings sind von den rund 380 veralteten Bohrtürmen im Land bisher nur wenige umgebaut worden. Was die fauchenden Türme für Umwelt und Ökonomie bedeuten, hat das Deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) recherchiert. Die 36-seitige Studie liest sich wie eine Bedienungsanleitung für ineffizientes Wirtschaften:
Jährlich wird weltweit über 140 Milliarden Kubikmeter Erdölbegleitgas abgefackelt. Das entspricht dem CO2-Ausstoss von 77 Millionen Autos. Oder dem jährlichen Erdgas-Verbrauch von Deutschland und Frankreich zusammen (Jahr 2011).
Ausserdem entgehen den Erdöl-Förderländern durchs Abfackeln jährlich geschätzte 10 Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen. 2008 wurde im selben Wert Gas abgefackelt, wie die Schweizer Regierung für die Rettung der UBS gebraucht hatte: rund 68 Milliarden Franken.
Als Begründung für diesen ökonomischen und ökologischen Irrsinn wird die fehlende Infrastruktur genannt. Das BMZ wörtlich: «Hohe Investitionskosten zum Aufbau der Infrastruktur behindern die wirtschaftliche Nutzung des Erdölbegleitgases. Sie können sogar die Wirtschaftlichkeit des gesamten Projekts in Frage stellen.» Ähnlich lauten die Argumente der ecuadorianischen Regierung – denen Donald Moncayo vehement widerspricht. «Die Investitionen für die Nutzung von Erdöl-Begleitgas würden innerhalb kurzer Zeit amortisiert», sagt er. Denn einen Markt gäbe es sehr wohl. «Doch hinter der Nicht-Nutzung dieser Energie verbirgt sich ein Geschäft der Zentralregierung in Quito, die es bevorzugt Derivate hinzuzukaufen.» Tatsächlich importierte alleine die staatliche Petroecuador nach eigenen Angaben im Jahr 2016 knapp 50 Millionen Barrel Erdöl-Derivate wie Diesel, Benzin oder Flüssiggas. Dieses wird dann für den Betrieb von Anlagen wie Aguarico 3 genutzt. Deren Nachbarn kochen übrigens nicht etwa mit Gas, sondern mit Brennholz aus dem Wald …
Mutter stirbt nach Kleiderwaschen
Zum Schluss der Toxic-Tour gehts zur Tante von Donald Moncayo, einer 78-jährigen Frau, die seit Jahrzehnten als Zeugin der Erdölverschmutzung auftritt. Mariana Jimenez lebt nur etwa hundert Meter von einem der fauchenden Bohrtürme entfernt, je nach Wind riecht’s bei ihr Zuhause wie an einem Busbahnhof. Donald Moncayo setzt sich auf einen der Plastikstühle auf der Terrasse und erinnert sich an seine Kindheit: «Um uns im Fluss baden zu können, mussten wir die Öl-Schicht mit einem Stück Seife freilegen. Nur so konnten wir uns mehr oder weniger sicher darin baden. Logisch, die kleinen Erdölpartikel blieben trotzdem im Wasser.» Als er Lago Agrio das erste Mal verliess, sah er, dass es auch anders geht. «Für mich war es bis dahin normal zu sehen, dass die Flüsse mit Erdöl und Chemikalien vergiftet werden.»

Verseuchte Böden, verdrecktes Wasser, verpestete Luft: Anlage Aguarico 3 der staatlichen Erdölfirma Petroamazonas. (Bild: mutantia.ch)
Wirklich bewusst wurden sich er und seine Familie allerdings erst an jenem Tag, als seine Mutter zum Kleiderwaschen an den gleichen Fluss ging – also dorthin, wo viele Frauen aus der Nachbarschaft ihre Kleider schrubbten und sich am Wochenende ganze Familien zum Picknick trafen. Die Mutter hatte sich erst kürzlich von einem Abszess an der Hüfte kuriert, die Narbe war praktisch zugewachsen. Doch als man sie ein paar Stunden später röchelnd am Ufer fand, war die alte Verletzung zu einer Kugel so gross wie ein Fussball geschwollen. 24 Stunden später war die 33-Jährige tot und der 13-jährige Donald Vollweise; sein Vater war bereits früher gestorben.
Unterhalb der Terrasse, nur wenige Meter vom fauchenden Turm entfernt, steht die Kakao-Plantage der Familie. Viele der Schoten, imprägniert von Russ und saurem Regen, sind ausgetrocknet oder verfault. Die Bevölkerung ist inzwischen informiert, weiss um die hohe Krebsrate rund um die Erdölbohrtürme, von wegsterbendem Vieh und den Fehlgeburten. Alleine die Mutter von Donald hatte drei Aborte. Zudem starben zwei Babys wenige Monate nach der Geburt. Jene drei Kinder, die bis heute leben – darunter Donald – wuchsen weit weg von einem Erdölbohrloch auf und hatten sauberes Trinkwasser. Donald schmunzelt und sagt: «Hier in der Gegend bewegt sich der Tod mit riesigen Schritten.»
Man würde gerne mitlachen mit dem furchtlosen Umweltschützer, der für die Rechte der Natur kämpft und darauf hofft, dass seine Tochter irgendwann bedenkenlos im Fluss baden kann. Doch der Mann mit der Schaufel in der Hand und dem Zynismus auf den Lippen lebt nicht ungefährlich. Beschimpfungen und Drohungen kommen immer wieder vor. Auch musste er schon Leute von seinem Grundstück jagen, die von der Strasse aus sein Haus fotografierten. Er selber meint dazu trocken: «Wenn ich da sterbe, wo ich geboren wurde, dann ist das gut so.»
«Wir wollen leben!»
Ein paar Wochen nach unserem Besuch in Lago Agrio erscheint Moncayo in einem Video. In seinem Rücken fauchen die Bohrtürme der Station Aguarico 3, um ihn herum ein Dutzend AktivistInnen aus aller Welt: «Wir müssen begreifen», sagt er mit ruhiger Stimme, «dass die Luft keine Grenzen kennt. Heute ist sie hier, Morgen in einer anderen Stadt, einem anderen Land oder einem anderen Kontinenten – zusammen mit dem Gas, das aus diesen Bohrtürmen strömt. Wenn wir also von der Klimaerwärmung sprechen, müssen wir darüber nachdenken, was hier passiert.»
Das Video war der Aufruf zu einer Demonstration gegen das Verbrennen von Begleitgas, an der sich Anfang Oktober in Lago Agrio mehrere hundert Personen beteiligt hatten. Der Slogan: ¡Queremos vivir! – Wir wollen leben!

*Ein Grossteil des in der Schweiz verbrauchten Erdöls stammt aus diesen Ländern.

Dieser Beitrag ist zuerst auf mutantia.ch erschienen.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor lebt in Lateinamerika und betreibt von dort aus unter anderem die Website mutantia.ch.

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