Kommentar

Frustrierter Rückzug mit schlechter Begründung

Andreas Zumach © zvg

Andreas Zumach /  Del Ponte gibt als Syrien-Sonderermittlerin auf und wirft der UNO-Kommission vor, untätig zu sein. Doch dieser Vorwurf ist falsch.

Als Carla Del Ponte im September 2012 in die dreiköpfige Untersuchungskommission des UNO-Menschenrechtsrates zu Syrien berufen wurde, war sie noch voller Tatendrang und Enthusiasmus. Jetzt hat sie ihren Rücktritt erklärt. «Ich bin frustriert und gebe auf», sagte die 70-jährige Tessinerin am Sonntagabend gegenüber Journalisten am Rande des Filmfestivals von Locarno. Sie werde im September ein letztes Mal an einer Sitzung der Kommission teilnehmen.
Del Ponte begründete ihren Rückzug mit der nach ihrer Ansicht völligen Taten- und Erfolglosigkeit der UNO-Untersuchungskommission zu Syrien. «Seit fünf Jahren rennen wir gegen Mauern und haben überhaupt keinen Erfolg», klagte Del Ponte. Sie wolle «nicht weiter eine Alibi-Ermittlerin ohne politische Unterstützung» sein. Solange der UN-Sicherheitsrat kein Sondertribunal für die Kriegsverbrechen in Syrien einrichte, seien die von der Untersuchungskommission erstellten Berichte sinnlos.
Zur Erläuterung ihrer heute tiefen Enttäuschung über die Arbeit der Kommission erklärte sie: «Zu Beginn des innersyrischen Konflikts im März 2011 habe ich noch geglaubt, dass die Opposition die Guten darstellt.» Nach sechs Jahren sei sie jedoch zu dem Schluss gekommen, «dass in Syrien alle Seiten böse sind. Die Regierung Assad, die schreckliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt und Chemiewaffen einsetzt. Und die Opposition, die nur noch aus Extremisten und Terroristen besteht.»
Zehn umfangreiche Berichte
In einem Punkt ist Del Pontes Frust zwar durchaus nachvollziehbar: Bereits seit Mitte 2014 fordert die Untersuchungskommission in ihren halbjährlich vorgelegten Berichten über die schweren Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen in Syrien den UNO-Sicherheitsrat in New York auf, den Internationalen Strafgerichtshof mit der Untersuchung dieser Verbrechen zu beauftragen. Doch ein entsprechender Beschluss des Sicherheitsrates war bislang nicht möglich, weil die fünf Vetomächte USA, Frankreich und Grossbritannien einerseits sowie Russland und China in der Syrienfrage tief gespalten sind.
Doch wegen dieser politischen Blockade der Untersuchungskommission Taten- und Erfolglosigkeit vorzuwerfen, ist schlicht falsch. Die Kommission hat ihren vom UNO-Menschenrechtsrat vorgegebenen Auftrag in den letzten sechs Jahren sehr aktiv umgesetzt und angesichts der widrigen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit sogar sehr erfolgreich. Die Regierung Assad verweigert der Kommission bis heute jegliche Kooperation und den Zugang zu Syrien, trotzdem hat die Kommission inzwischen zehn umfangreiche Berichte vorgelegt mit zum Teil sehr detaillierten und auch beweiskräftigen Informationen zu Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen.
Basis dieser Berichte sind inzwischen weit über tausend Interviews mit überlebenden Opfern und Zeugen, die heute als Flüchtlinge ausserhalb Syriens leben, aber auch per Skype geführte Telefonate mit noch in Syrien befindlichen Personen. Diese Berichte werden eine wichtige Quelle sein, wenn die Verbrechen eines Tages strafrechtlich untersucht werden – sei es durch einen internationalen Gerichtshof oder durch eine wieder funktionierende, unabhängige Justiz in einem demokratischen Nachkriegssyrien. Das sollte Del Ponte aus ihrer Zeit als Chefanklägerin der beiden UNO-Sondertribunale zu Ex-Jugoslawien und Ruanda eigentlich wissen.
Nicht nur Schwarz und Weiss
Politisch einäugig ist Del Ponte, wenn sie in ihrer berechtigten Klage über das bisherige Versagen des Sicherheitsrates im Syrienkonflikt nur die Unterstützung der Regierung Assad durch Russland kritisiert, aber kein Wort verliert über die USA und andere westliche sowie nahöstliche Staaten wie Saudiarabien und deren Unterstützung für islamistische Rebellenmilizen oder gar für die Terrororganisationen «Islamischer Staat» und Al Kaida.
Im Syrienkonflikt ist nicht alles Schwarz und Weiss. Es gibt nicht nur eine böse Regierung und auf der anderen Seite eine gute Opposition. Sechs Jahre hat Del Ponte nach eigenem Bekunden in ihrer Rücktrittsbegründung für diese Erkenntnis gebraucht. Diese Aussage zeugt allerdings von einer Naivität und Unkenntnis, die höchst erstaunlich ist für eine Juristin, die als Chefanklägerin zweier UNO-Tribunale und zuvor als Schweizer Generalstaatsanwältin jahrelang höchstrangige Positionen in der Strafverfolgung innehatte. Die UNO findet für die Nachfolge Del Pontes in der Syrien-Untersuchungskommission hoffentlich sehr schnell eine qualifizierte Person mit mehr Durchhaltevermögen und weniger politischer Einäugigkeit und Naivität.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine.

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Eine Meinung zu

  • am 7.08.2017 um 23:49 Uhr
    Permalink

    Frau del Ponte klagt die Blockadehaltung Russlands an. Wie auch immer die Regierung Syriens zu beurteilen ist: Es war nicht Russland, das einen Regime-Wechsel in Syrien eingeleitet und mit allen verheerenden Konsequenzen voran getrieben hat.

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