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Mit ihren Sanktionen schwächen die USA im Iran die Gemässigten und stärken die Hardliner © cc

Iran geht die Geduld aus – Europäern wird eine Frist gesetzt

Andreas Zumach /  Präsident Ruhani setzt Vertragsstaaten Frist bis Anfang Juli zur Überwindung der US-Sanktionen, um das Nuklearabkommen zu retten.

Exakt ein Jahr nach dem Anfang Mai 2018 verkündeten Totalausstieg der USA aus dem Abkommen zur Begrenzung des iranischen Nuklearprogramms auf rein zivile Zwecke sowie unter dem Druck der seither von Washington verhängten massiven Wirtschaftssanktionen gegen Iran und seine Handelspartner in aller Welt hat Präsident Hassan Ruhani den übrigen fünf Vertragsstaaten – Russland,China, Frankreich, Grossbritanien und Deutschland – am Mittwoch eine 60-tägige Frist „zur Rettung des Abkommens“ gestellt.
Schon ab sofort will Teheran zwei Vereinbarungen aus dem Abkommen nicht mehr erfüllen und nach ergebnislosem Ablauf der gesetzten Frist eine weitere Verpflichtung nicht mehr einhalten, verkündete Ruhani in einer Rede an die Nation. Entsprechende Erklärungen seien brieflich an die Botschafter Grossbritanniens, Frankreichs, der EU, Deutschlands und Chinas übergeben worden, berichtete das iranische Staatsfernsehen. Ein weiterer Brief gehe an die russische Regierung.

Konkret verlangt Ruhani von den fünf Unterzeichnerstaaten, innerhalb der nächsten zwei Monate die Auswirkungen der US-Sanktionen gegen iranische Banken und gegen die Ölindustrie des Landes „zu überwinden“. Um der Forderung Nachdruck zu verschaffen, will Teheran seine Verpflichtung, überschüssige Mengen niedrig angereichertes Uran sowie „schweres Wasser“ aus der Reaktoranlage Arak nicht auf seinem Territorium zu lagern vorläufig nicht mehr einhalten, erklärte der Präsident.
Werde die Forderung bis Anfang Juli nicht erfüllt, werde Iran dann auch die Anreicherung von Uran über die im Abkommen erlaubte Grenze von 3,67 Prozent wiederaufnehmen. Auf 3,67 Prozent angereichertes Uran ist erforderlich für den Betrieb von Atomkraftwerken. Laut Abkommen darf Iran maximal 300 Kilogramm niedrig angereichertes Uran auf seinem Territorium lagern. Darüberhinausgehende Bestände musste Teheran laut einer Zusatzvereinbarung zu dem Nuklearabkommen bislang an Russland abgeben und erhielt im Tausch dafür Urankonzentrat – sogenanntes Yellowcake Uranium – von Moskau. Ebenfalls auf Basis einer Zusatzvereinbarung verkaufte Iran das schwere Wasser aus der Reaktoranlage Arak bislang an Oman.
USA verhindern Umsetzung des Abkommens

Die USA haben beide Zusatzvereinbarungen letzte Woche gekündigt und Russland sowie Oman für den Fall einer weiteren Umsetzung dieser Zusatzvereinbarungen mit Sanktionen gedroht. Mit diesen Massnahmen will die Trump-Administration erreichen, dass Teheran die Reaktoranlage in Arak stilllegt und auch die Menge von niedrig angereichertem Uran immer unter der 300-Kilo-Grenze hält. Vor Abschluss des Nuklearabkommens verfügte Iran über rund 10’000 Kilogramm höher, auf rund 20 Prozent angereicherten Urans. Das hatte zu dem Verdacht geführt, Teheran plane die weitere Anreicherung dieses Urans auf das für Atomwaffen benötigte Niveau von 90 Prozent.

«Wir sind nicht aus dem Atomdeal ausgestiegen, sondern machen von unserem legitimen Recht Gebrauch, einem Vertragsbruch der USA zu entgegnen», begründete Ruhani die Fristsetzung an die anderen fünf Vertragsstaaten. Diese Fristsetzung diene „der Rettung des Abkommens, nicht seiner Zerstörung“, betonte der Präsident. Nach dem Ausstieg der USA hätten „die anderen fünf Vertragspartner versucht, den Deal mit Medikamenten am Leben zu halten, aber wir glauben, dass eine chirurgische Operation nötig ist.» Ruhani erklärte, wenn die fünf Länder dem Iran helfen würden, seine Ölindustrie und das Bankwesen zu nutzen, werde der Iran „zu seinen Verpflichtungen nach dem Atomabkommen zurückkehren.»

Schlagzeile auf der Frontseite der NZZ vom 9.5.2019:

«Iran geht auf Kollisionskurs»

Die Trump-Administration hatte ihren Ausstieg aus dem Abkommen vor einem Jahr zunächst damit begründet, das Abkommen sei völlig unzureichend und nicht geeignet, die Entwicklung von Atomwaffen im Iran zu verhindern. Im Übrigen verstosse Teheran gegen das Abkommen. Diesen Behauptungen widersprechen nicht nur die anderen fünf Vertragsstaaten bis heute entschieden. Auch die für die Überwachung des Abkommens zuständige Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) hat in ihren Überprüfungsberichten, die sie seit Inkrafttreten des Abkommens Anfang 2016 alle drei Monate vorlegt, immer die lückenlose Einhaltung des Abkommens durch Teheran bescheinigt. Im Gegenzug zur von der IAEO verifizierten Einhaltung des Abkommens durch Teheran sollten sämtliche Sanktionen, die seit 2006 von den USA, der EU und dann auch vom UNO-Sicherheitsrat gegen Iran verhängt wurden, aufgehoben werden. Doch die USA setzten nach ihrem Austritt aus dem Abkommen vor einem Jahr nicht nur ihre früheren Sanktionen wieder in Kraft, sondern verhängten zusätzliche, immer schärfere Sanktionen.

Ausländische Unternehmen und Staaten am Gängelband der USA
Nicht nur direkte Sanktionen gegen den Finanzsektor, die Ölindustrie und andere Bereiche der iranischen Volkswirtschaft, sondern auch sogenannte „sekundäre Sanktionen“ gegen Unternehmen aus Drittländern, die Wirtschafts-und Handelsbeziehungen mit Iran unterhalten oder beabsichtigen. In der vorläufig letzten Eskalation dieser von Washington so bezeichneten „Strafmassnahmen“ kündigte die Trump-Administration Ende April Sanktionen gegen ausnahmslos alle Staaten an, die weiterhin iranisches Öl kaufen.
Praktisch alle Ankündigungen und Pläne der EU-Staaten, die Sanktionen der USA zu umgehen und den von der Trump-Administration angestrebten vollständigen Ausschluss Irans aus den internationalen Finanzbeziehungen und dem Weltölmarkt zu verhindern, sind ins Leere gelaufen. Denn aus Angst, ihr Geschäft auf dem US-Markt zu verlieren, haben sich fast sämtliche europäische Unternehmen und Banken aus dem Irangeschäft zurückgezogen.
Wegen der eskalierenden Wirtschaftskrise im Iran gerät Präsident Ruhani immer stärker unter Druck sowohl von jenen, die sich vom dem Nuklearabkommen einen Aufschwung des Landes erhofft hatten, wie von den Hardlinern, die immer schon gegen das Abkommen waren.

«US-Soldaten gegen Bedrohungen schützen»

Ruhanis Ankündigung erfolgt zu einem Zeitpunkt verschärfter Spannungen zwischen Washington und Teheran. Anfang der Woche hatten US-Aussenminister Mike Pompeo und der nationale Sicherheitsberater John Bolton die eigentlich routinemässige Verlegung eines Flugzeugträgers und einer Bomberstaffel der US-Luftwaffen in den Nahen Osten mit einer angeblich gewachsenen Bedrohung amerikanischer Ziele und Interessen in der Region durch Iran begründet und offen mit militärischen Schlägen gegen Iran gedroht. Ein überraschender Besuch Pompeos in Irans Nachbarland Irak diente nach Aussagen des US-Aussenministers dazu, die Regierung in Bagdad beim Schutz der im Irak stationierten 5’000 US-Soldaten «gegen Bedrohungen» zu unterstützen. in Washington werden iranische Vergeltungsmassnahmen gegen die US-Sanktionen befürchtet –etwa durch eine Sperrung der Strasse von Hormus im Persischen Golf, durch die 40 Prozent aller weltweiten Öltransporte erfolgen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Die Sanktionspolitik der USA

US-Wirtschaftsboykotte gegen Iran, Venezuela oder Russland müssen auch die Europäer weitgehend befolgen.

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4 Meinungen

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 9.05.2019 um 13:52 Uhr
    Permalink

    Und die Europäer können nichts anderes tun, als Iran mit weiteren Sanktionen zu drohen.

    Diese Drohungen sollten an die Adresse der US gerichtet werden. Selbst Mme Mogherini wird zur Nachplapperin Pompeo’s ? Gibt es in Europa einen Sinn für Gerechtigkeit oder wenigstens für konkrete Vertragserfüllung ?

    Was hat Europa getan, um die Vertragsbedingungen zu erfüllen ?

    In der Schweiz wäre wohl Postfinance nicht in der Schusslinie Washingtons. Warum kann diese Institution Handel mit Iran nicht finanzieren ?

    Vor ein paar Tagen habe ich gehört, dass eine Apothekerin in Montevideo legales Cannabis nicht verkaufen darf, weil ihre (US-basierten) Kreditkartengeschäfte auf Befehle von Washington gekappt würden.

    Wie weit ist die Welt zum Spielball des Herrn Trump und Co. verkommen ?

    Wann wird die Welt aufwachen und sich von dieser «Kolonisation» befreien ? Da war selbst Gessler ein angenehmerer Zeitgenosse.

  • am 12.05.2019 um 20:15 Uhr
    Permalink

    Zur Beschreibung des Verhaltens der USA kann man sehr gut den Titel des Beitrages von Erich Gysling heranziehen: Dumme, willkürliche Machtpolitik. Auch der Kommentar von Josef Hunkeler trifft gut zu.

    Andererseits ist wohl der Atomdeal, den der Westen mit dem Iran geschlossen hatte, auch nicht das Gelbe vom Ei. Es glaubt doch kein Mensch, der Iran habe ein Interesse an der friedlichen Nutzung der Atomenergie. Das Land verfügt über Öl und Gas in rauhen Mengen. Und wenn es die Energieversorgung auf eine mondernere Basis stellen möchten, wäre Solarenergie bei den dort herrschenden klimatischen Bedingungen geradezu ideal geeignet und weitaus wirtschaftlicher als AKWs. Der Iran hält an seinem «zivilen» Atomprogramm fest, weil er dieses trotz allem als Schritt hin zu Atomwaffen sieht.

  • am 13.05.2019 um 20:45 Uhr
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    Weshalb braucht Iran Atomwaffen? Weil es den atomwaffenfreien Nahen Osten nicht gibt.
    Was, wenn Russland, China, GB, Frankreich und Deutschland zusammen sich nicht an US-Sanktionen hielten?
    Die USA setzen schon lange auf Regime-Change. Ex-NATO Oberfehlshaber Wesley Clark zitierte Donald Rumsfeld, der sagte: „Wir werden 7 Länder angreifen.“ Iran ist immer noch auf dem Radar.

  • am 14.05.2019 um 11:56 Uhr
    Permalink

    Der nahe Osten ist, gleich wie die übrige Welt, nicht atomwaffenfrei. Würde er sicherer, wenn der Iran nun auch noch Atomwaffen hätte? Ich bezweifle das sehr. Der Iran hatte in der Vergangenheit wiederholt Regierungen, die kaum als friedliebend und besonnen bezeichnet werden können.
    Das Problem ist vielleicht, dass die Aussenpolitik europäischer Staaten gar nicht so grundsätzlich anders ist als jene der USA. Man denke zum Beispiel an die widersprüchlichen Agenden, die in Libyen verfolgt werden, und die eher den eigenen Interessen als dem Frieden im Land dienen.

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