Totgeschossener_Bub

Laith Abu Naim warf Steine gegen Soldaten und wurde darauf aus 2m Distanz in den Kopf geschossen © Mondoweiss

Laith Abu Naim, 16-jährig, mit Kopfschuss getötet

Christian Müller /  Die Unruhen nach Trumps Jerusalem-Entscheid haben schon viele Opfer gefordert. IDF-Soldaten erschiessen auch Kinder.

Man weiss es: Der Entscheid des US-Präsidenten Donald Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels zu anerkennen und die US-Botschaft demnächst von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen, ist weltweit auf Unverständnis gestossen und hat vielerorts Empörung ausgelöst. Musste das wirklich sein? Ist es nicht Öl ins Feuer im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern?
Aber auch das weiss man: Wenn Väter und Mütter aufbegehren, gegen wen oder was auch immer, die Kinder kriegen das mit. Und vielleicht machen sie dann auch Dummheiten, zum Beispiel Steine-Werfen gegen Soldaten einer Besatzungsmacht.

So war es auch wieder vor ein paar Tagen im Dorf Mughayer, ein paar Kilometer nordöstlich von Ramallah im von Israel besetzten Westjordanland. Die israelischen Soldaten waren in ihren Militär-Fahrzeugen unterwegs, als ein paar Buben Steine gegen sie warfen, so berichtet Mondoweiss, eine von Israel-Politik-kritischen Juden betriebene Internetplattform in den USA. Einer der Soldaten schoss gemäss den Augenzeugen vor Ort dem 16-jährigen Laith Abu Naim aus nur etwa 2m Distanz in den Kopf. Der Knabe hatte keine Chance zu überleben. Und was zusätzlich zu denken gibt: Der 16-jähige Laith Abu Naim ist, gemäss Mondoweiss, bereits das vierte Kind seit Anfang 2018, das von israelischen Soldaten erschossen worden ist.

Die Kritik gegen Netanyahus Politik wächst, auch in den USA

Kein Wunder: In Anbetracht von Meldungen wie diese vom Tod des 16-jährigen Knaben aus Mughayer haben auch in den USA Israel-Politik-kritische Organisationen, etwa die Jewish Voice for Peace, mehr und mehr Zulauf. Und vor wenigen Tagen stoppte ein Bundesrichter auch ein Gesetz im US-Bundesstaat Kansas, gemäss dem es all jenen, die mit dem Staat Kansas in einem Vertragsverhältnis stehen, verboten sein sollte, mit der Organisation BDS zusammenzuarbeiten. BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) ist eine Organisation, die zum Boykott gegen Israel aufruft, solange die völkerrechtswidrige Besatzung Palästinas durch Israel anhält. Esther Koontz, die gegen das Anti-BDS-Gesetz geklagt hatte, ist Mitglied der christlichen Freikirche der Mennoniten, die sich in ihrem Glauben vor allem auf die biblische Bergpredigt berufen und zum Beispiel auch den Militärdienst verweigern. (Der Gerichtsentscheid kann unten eingesehen und als PDF hinuntergeladen werden.)

Aber noch ein anderer Punkt

Warum schiessen Polizisten und Soldaten, wenn überhaupt, nicht zuerst auf die Beine?

In vielen Ländern, zum Beispiel auch in der Schweiz, müssen Polizisten, wenn sie schiessen, zuerst auf die Beine eines Verbrechers schiessen und nur im äussersten Notfall aufs Herz oder auf den Kopf. Nicht so zum Beispiel in den USA. Ich, Autor dieser Zeilen, habe als Journalist in Denver (Colorado) in den USA auf eigenen Wunsch eine Nacht lang mit einer Polizei-Patrouille mitfahren dürfen, notabene nachdem ich zuvor unterschrieben hatte, dass ich im Falle eines Unfalles – welcher Art auch immer – auf jede Klage gegen die Polizei verzichte. Kurz vor Mitternacht erhielten die beiden Polizeibeamten über Funk den Befehl, in eine der dortigen unterirdischen Schiess-Trainingsanlagen zu gehen, um, wie so oft, das obligatorische und regelmässige Schiesstraining mit ihren Pistolen zu absolvieren. Die Scheiben dort, die maschinell, in unterschiedlichen, aber stets kurzen Zeitabständen, irgendwo in der Anlage blitzschnell auftauchten, zeigten aber nicht etwa runde Kreise wie beim sportlichen Schiessen, sondern hatten die Form von Menschen, und zwar nur vom Oberkörper und vom Kopf. Die Polizeibeamten schossen in Sekundenschnelle auf die Herz-Position auf diesen Scheiben. Darauf angesprochen erklärten mir die beiden Polizeibeamten, sie dürften nur schiessen, wenn sie direkt bedroht würden, dann aber nie nur auf die Beine, sondern nur direkt aufs Herz. Wenn schon, dann schon, sozusagen. Und so scheinen es auch die israelischen Soldaten zu tun, selbst wenn der «Feind» ein Kind ist und die «Bedrohung» der schwer bewaffneten Soldaten sich echt in Grenzen hält.

Palästina und seine Besetzung durch Israel bleiben ein Thema

Leider ist es keine Seltenheit, dass Mondoweiss von solchen militärischen Aktionen zu berichten weiss. Und Mondoweiss ist bei weitem nicht allein. Auch die bekannte israelische Zeitung Haaretz zum Beispiel verurteilt die Besetzung der Westbank aufs Schärfste.

Über Mughayer und wie die israelischen Siedler mit dem Zweieinhalbtausend-Seelen-Dorf umgehen, berichtete bei anderer Gelegenheit auch die britische Zeitschrift «The Economist». (Der Artikel des Economist kann auch unten als pdf eingesehen und hinuntergeladen werden.)

Noch erheblich schlimmere Zustände als in der Westbank herrschen im von Israel und Ägypten abgeschotteten Gaza-Streifen. NZZ-Korrespondent Ulrich Schmid war vor ein paar Tagen da und hat darüber anschaulich berichtet: hier anklicken.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Es gibt keine Interessenkollisionen. Zum Autor siehe hier.

Zum Infosperber-Dossier:

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Atommacht Israel und ihre Feinde

Teufelskreis: Aggressive Politik auf allen Seiten festigt die Macht der Hardliner bei den jeweiligen Gegnern.

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4 Meinungen

  • am 3.02.2018 um 11:42 Uhr
    Permalink

    Die israelische NGO B’tselem berichtet, dass der Einsatz von scharfer Munition seitens der Armee eine besorgniserregende Dimension erreicht habe. Unverständlich sei es auch, dass selsbt auch Menschen in Gaza beschossen werden, obwohl jene aufgrund der Sperranlagen eigentlich nirgends hinkönnen und so auch keine Gefahr für die Soldaten darstellen. [https://www.btselem.org/gaza_strip/20180130_protester_casualties_by_gaza_perimeter_fence]

    Es scheint so, dass eine neue Eskalationsstufe gezündet wird. Insofern lässt Israel den Konflikt nicht einschlafen, gerade weil es selbst in einem Brutalisierungsvektor gefangen ist, dessen Konsequenzen die israelische Gesellschaft schon jetzt stark beansprucht. Da schlagen die unverdauten Folgen der Gründung Israels auf alle Seiten durch und es ist kein Ende abzusehen.

  • am 3.02.2018 um 12:29 Uhr
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    …. ….. …. …… (selbst-Zensur)

  • am 3.02.2018 um 22:59 Uhr
    Permalink

    In Davos hätten die US-Sicherheitskräfte zu Trumps Schutz genau so «human» geschossen.

  • am 5.02.2018 um 08:44 Uhr
    Permalink

    Leider ist es in einem kapitalistischen Rechtsstaat die kostengünstigste Lösung, dafür zu sorgen, dass ein Opfer nicht mehr aussagen kann. Die teure Wahrheitssuche wird so massiv abgekürzt. Lästig, aber vernachlässigbar, sind natürlich Zeugen, die mittels Handyvideo gelegentlich nachweisen können, dass Unbewaffnete und sich nicht aggressiv Verhaltende ihr Leben lassen müssen.

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