Sperberauge

Schaffe, schaffe, wachse, wachse

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Weil es mehr Alte gibt, wächst die Wirtschaft langsamer, bedauert das Seco. Sein Rezept: Mehr arbeiten.

«Die Bevölkerung der Schweiz wird zunehmend älter. Dies wird sich dämpfend auf die Entwicklung des Wohlstands der Schweiz auswirken.» Das schreibt das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in seiner gestern Freitag verbreiteten Medienmitteilung unter dem Titel «Bevölkerungsalterung dämpft langfristiges Wirtschaftswachstum». Es stützt sich dabei nicht nur auf eine Studie, nein: Gleich vier Studien hat das Seco in Auftrag gegeben, die den gleichen Befund ergeben; mit dieser grosszügigen Auftragsvergabe leistete das Seco selber einen Beitrag zur Arbeitsbeschaffung.

Infosperber hat in diesen vier Studien etwas gesperbert und kann die Redundanz bestätigen: «Der demografische Wandel wird das Wirtschaftswachstum in der Schweiz in den nächsten Jahrzehnten deutlich dämpfen», steht in Studie 1. Studie 2 präzisiert: «Gemäss den Berechnungen schwächt sich das BIP-Wachstum pro Kopf im Durchschnitt der Jahre 2021 bis 2065 aufgrund der demografischen Entwicklung um knapp 0.3 Prozentpunkte pro Jahr ab.» Studie 3 fasst zusammen: «Allgemein zeigt sich in unseren über den Zeitraum 2018-2060 laufenden Projektionen, dass die prognostizierten Veränderungen in der Altersstruktur der Schweizer Bevölkerung zu signifikanten Einbussen beim zukünftigen Wirtschaftswachstum führen dürften.»

Studie 4 … Nun, wir wollen unsere Leserschaft nicht weiter strapazieren. Wer’s genauer wissen will, kann die langfädigen Titel der drei Studien und die insgesamt 300 Seiten Text unter diesem LINK nachlesen.

Ebenso einhellig wie die Analysen sind die Rezepte zur Therapie, welche die Autorinnen und Autoren der vier Studien verordnen. Das Seco fasst sie in der Medienmitteilung mit folgenden Worten zusammen: «Anreize zur Erwerbsbeteiligung können die wachstumshemmenden Auswirkungen der demografischen Entwicklung mildern. Am meisten bewirken dürfte eine Erhöhung der Erwerbsquoten der über 55-jährigen. Geeignet wären aber auch Massnahmen, welche die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern und zu höheren Erwerbsquoten bei den Frauen führen.»

Für Leute, denen die vornehme Sprache des Staatssekretariats für Wirtschaft nicht so geläufig ist, wollen wir das ausdeutschen: Die «demographische Entwicklung» umschreibt die Tatsache, dass der Anteil der über 65jährigen in der Schweiz grösser wird und die Menschen sich ihres Lebens etwas länger erfreuen können. Die «Erhöhung der Erwerbsquoten» verlangt nun, dass diese Menschen den Lohn ihres längeren Lebens nicht einfach geniessen, sondern im Schweisse ihres Angesichtes verdienen. Dazu sollen Frauen häufiger und sowohl Frauen wie Männer länger arbeiten; das alles im höheren Interesse eines ungehemmten Wachstums der Wirtschaft und des Konsums.

«Gönd doch lieber goge schaffe», verlangten einst empörte KonsumentInnen, als ihnen 1980 demonstrierende Jugendliche die Einkaufsstrassen in der Zürcher Innenstadt versperrten. «Poschte, poschte», spotteten darauf die bewegten 1980er.

Die Geschichte wiederholt sich: Die damaligen Demonstranten und Demonstrantinnen waren die nach 1950 geborenen Babyboomer, die jetzt kurz vor dem Eintritt ins Rentenalter stehen und mit ihrem baldigen Ruhestand den Konsum und die Wirtschaft erneut hemmen. Ihnen ruft das Seco heute besorgt zu: Gönd go schaffe, mir müend wachse.

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Nachtrag: «Müssen wir denn immer weiter wachsen?», fragte nach der Medienorientierung die Journalistin Barbara Peter im «Tagesgespräch» der SRF-Mittagsendung «Rendez-vous» den Leiter Wirtschaftspolitik des Seco, Eric Scheidegger. Worauf der Befragte relativierte: Anzustreben sei nicht jede Art von Wachstum. Ihm gehe es um «nachhaltiges Wachstum», «qualitatives Wachstum», das auf «Innovationen» basiere. Neu sind diese Floskeln nicht, aber sie ändern nichts am Zwang zum wirtschaftlichen Wachstum. Innovativ hingegen wären Ideen, die helfen, diesen Wachstumszwang zu überwinden.

Nachtrag 2: Erwartungsgemäss griff heute Samstag auch mein Leibblatt, die NZZ, die gestern vom Seco bezahlten und publizierten Demografie-Studien auf. Unter dem Titel «Alterung drückt auf die Wirtschaftsleistung» fasste Redaktor Hansueli Schöchli im Wirtschaftsteil deren Resultate nüchtern zusammen. Etwas martialischer drosch auf der Kommentarseite Redaktorin Nicole Rütti den präsentierten Weizen und sein Stroh: «Über das Alter spricht man nicht», behauptete sie im Titel und begründete im Text: «Berechtigte Einwände, die auf die demografische Zeitbombe sowie auf die Notwendigkeit einer erhöhten Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitskräfte verweisen, werden jedoch von Politkern und Gewerkschaftern beiseitegeschoben.»

«Zeitbombe»? Bei diesem Wort denkt der Lesende an einstürzende Bauten und zerfetzte Leiber. Doch gemach: Die «demografische Zeitbombe», mit der Rütti bereits im Obertitel ihres Kommentars droht, «könnte» in den nächsten drei Jahrzehnten «das Wirtschaftswachstum in der Schweiz unter bestimmten Annahmen demografiebedingt sogar halbieren.» Der von der Bombe bedrohte Leser atmet auf: Wenn die Wirtschaft im reichsten Land der Welt immer noch weiter wächst, wenn auch nur noch halb so stark, ist die Bombe ja fast schon entschärft.

Nachtrag 3: In der ersten Version dieses Textes, Nachtrag 1, nannten ich den Gesprächspartner im» Rendez-vous» Boris Zürcher. Es war aber Eric Scheidegger, Leiter Wirtschaftspolitik des Seco. Ich entschuldige mich für diesen inzwischen korrigierten Fehler. hpg.

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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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3 Meinungen

  • am 16.11.2019 um 08:52 Uhr
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    Merkt das SECO wirklich nicht, das man diese Titel völlig falsch verstehen kann. Wir müssen die Alten los werde den sie stören nur

  • am 16.11.2019 um 15:31 Uhr
    Permalink

    Wirtschaftswachstum: Ergebnis, nicht Ziel der menschlichen Arbeit

    Die Messung des Wirtschaftswachstums über das reale BIP/Kopf ist sicher besser als jenes über das absolute reale BIP. Für den Wohlstand der Bevölkerung entscheidend ist aber, wie hoch das Einkommen und die Lebensqualität der Ärmsten und des Mittelstandes sind.

    Mehr Freizeit ist heute für viele Leute mehr wert als mehr Einkommen. Das erklärt auch die relativ vielen freiwilligen Frühpensionierungen. Null-Wachstum des BIP/Kopf ist sicher kein eigenständiges Ziel, aber möglicherweise das Ergebnis einer menschlich und umweltmässig vernünftigen Lebensweise, bei der auf „Immer-mehr-Konsum“ verzichtet wird. Mit Romantik hat das gar nichts zu tun, sondern mit Vernunft und Lebensweisheit.

    Selbstverständlich nehmen die Verteilungs- und Sozialversicherungsschwierigkeiten mit sinkendem Wirtschaftswachstum zu. Da Änderungen der Lebensmuster aber über mehrere Jahrzehnte und nicht schlagartig verlaufen, sind die nötigen wirtschaftlichen und politischen Anpassungen verkraftbar.

  • am 18.11.2019 um 20:26 Uhr
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    Das SECO kann seine Unterordnung nicht verheimlichen. Es dient der Wirtschaft wobei es diese vor allem als Unternehmerschaft sieht. Die Arbeitnehmerschaft kommt nur in den Statistiken aber nicht in der Strategie vor. Das SECO soll aufzeigen wie ältere Arbeitnehmende zu Stellen kommen. Vielleicht könnte man Sozialabgaben nach dem Durchschnittsalter in einer Unternehmung abstufen.

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