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38 Millionen Einwohner der USA sind auf staatliche Lebensmittelgutscheine angewiesen. © CC

USA: Hunderttausende verlieren Anspruch auf «Essensmarken»

D. Gschweng /  Die Trump-Regierung kürzt die Lebensmittelhilfe. Sie schadet damit nicht nur den Ärmsten, sondern auch der eigenen Wirtschaft.

Im April werden die Kriterien der US-Nahrungsmittelhilfe, dem «Supplemental Nutrition Assistance Program» (SNAP), verschärft. Hunderttausende werden damit in den nächsten Monaten eine wichtige Überlebenshilfe verlieren und keine «Essensmarken» mehr bekommen.

Weitere vom US-Landwirtschaftsministerium (USDA) vorgesehene Kürzungen könnten zwei bis vier Millionen Menschen von der Lebensmittelhilfe abschneiden. Treffen wird dieser Kahlschlag vor allem Arme, die von keinem anderen Sozialprogramm unterstützt werden, sowie Minderheiten, aber auch die Wirtschaft in ländlichen Gegenden sowie urbane Zentren.

Im Detail eine kleine Änderung

Nie sei der Zeitpunkt, um Sozialgelder zu kürzen, günstiger gewesen als jetzt, argumentiert die Trump-Administration. Die Wirtschaft habe sich von der letzten Krise erholt, der Arbeitsmarkt auch. «Millionen Menschen brauchen keine Lebensmittelmarken mehr», erklärte Präsident Trump am Weltwirtschaftsforum in Davos. «Sie haben Arbeit. Es geht ihnen wirklich gut», zitierte ihn die «New York Times».

Im Detail geht es um eine kleine Änderung: Gesunde («able-bodied») Erwachsene ohne Kinder, die in einem Zeitraum von drei Jahren nicht wenigstens drei Monate 80 Stunden pro Monat gearbeitet haben, bekommen nur drei Monate lang SNAP-Gutscheine. Diese Einschränkung wurde bereits 1996 unter Präsident Clinton eingeführt. US-Staaten können die Bezugsdauer jedoch verlängern. Ab April 2020 wird es diese Möglichkeit nicht mehr geben.

Die Kürzungen treffen vor allem das ländliche Amerika

Schätzungsweise 600’000 bis 700’000 Menschen werden die verschärften Anforderungen nicht erfüllen können. Sei es, weil sie nicht regelmässig arbeiten können, sei es, weil sie nicht genügend Arbeit finden. Dafür werden die Kürzungen der US-Wirtschaft nachhaltig schaden, befürchten mehr als die Hälfte der US-Bundesstaaten. Und zwar genau dort, wo diejenigen wohnen, die Hilfe am nötigsten haben. Und auch ein guter Teil derjenigen, die Trump gewählt haben.

Von den 150 Bezirken mit der höchsten Anzahl an SNAP-Empfängern liegen 136 auf dem Land. Die Neuregelung trifft vor allem ländliche Gegenden wie Alaska oder Mississippi. Kleine Lebensmittelgeschäfte sind dort auf die Umsätze angewiesen, die sie durch SNAP-Gutscheine machen. Der Einzelhändler Sam Attam aus Detroit etwa berichtet, dass SNAP-Gelder bis zu 80 Prozent seines Umsatzes ausmachen. In einem Geschäft in Alaska sorgen sie laut «Eater» für 40 Prozent des Gewinns.

Auf dem Land könnten die Kürzungen alle betreffen

Wer abgelegen wohnt, kauft auch eher lokal ein. Fallen diese sozialen Zuwendungen weg, schrumpfen kleinere Geschäfte noch mehr oder müssen ganz schliessen. Für die Bevölkerung in strukturschwachen Gebieten verschlechtert sich die Lage.

Spüren würden die Kürzungen in Folge nicht nur die Angestellten, sondern auch Einwohner, denen es besser geht. Die Bauern, die die Lebensmittel angebaut und geerntet haben, der Lieferfahrer, der sie angekarrt hat, und beispielsweise auch die Energielieferanten. Die Gefahr, dass wirtschaftlich schwache Gebiete der USA noch mehr ausbluten, ist gross.

Das weiss sogar das USDA selbst. Jeder Dollar, den die USA ausgeben, erhöht das BIP um 0,8 bis 1,5 Dollar. Geht das Geld an die unteren Einkommensschichten, ist der Multiplikator höher, schreibt das Ministerium in einer Einschätzung. Arme geben soziale Zuwendungen in der Regel umgehend aus und fördern damit vor allem die lokale Wirtschaft. Mit jedem Dollar, den die US-Regierung für SNAP ausgibt, wandern mindestens 70 Cent in andere Wirtschaftsbereiche, durch SNAP entstehen hunderttausende Arbeitsplätze.

Voraussichtlich drei bis vier Millionen von weiteren Kürzungen betroffen

Insgesamt beziehen 38 Millionen Menschen in den USA SNAP-Lebensmittelgutscheine. Zwei weitere Änderungen, die noch nicht verabschiedet sind, würden weitere drei bis vier Millionen von der Nahrungsmittelhilfe abschneiden. Gestrichen werden sollen die Möglichkeit, Familien pauschal als bedürftig einzustufen und Menschen, die von anderen Sozialprogrammen erfasst sind, automatisch auch für SNAP zu registrieren. Dazu kommt eine Änderung der Berechnungsgrundlagen.

70 Bürgermeister von Städten wie Los Angeles und Detroit wandten sich schon im August letzten Jahres in einem offenen Brief an die US-Regierung und baten diese, von den vorgesehenen Änderungen abzusehen. «Jede zusätzlichen fünf Dollar, die in SNAP investiert werden, generieren neun Dollar an wirtschaftlicher Aktivität», schrieben sie, «Wir fordern Sie dringend auf, dieses Vorhaben aufzugeben». Vierzehn US-Staaten, New York City und der Distrikt Columbia haben im Januar gegen die im Dezember 2019 verabschiedete Regelung geklagt.

Wohlfahrtsorganisationen können die Lücke nicht schliessen

Wohlfahrtsorganisationen, «Food Banks» und Suppenküchen, die Lebensmittel ohne oder unter weniger strengen Bedingungen abgeben, bereiten sich derweil auf einen Ansturm vor. Den Wegfall der staatlichen Fürsorge können sie nicht auffangen. Anstelle von neun Mahlzeiten, die SNAP noch zur Verfügung stellt, können sie etwa eine Mahlzeit ausgeben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

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