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Massenprotest in Algier gegen eine weitere Amtszeit von Präsident Bouteflika © tagesschau.de

Wie Algeriens Präsident Bouteflika sein Vermächtnis verspielte

Gudrun Harrer /  Nach 1999 brachte der Präsident Algerien Stabilität zurück, wenngleich um einen hohen Preis für die Opfer des Bürgerkriegs.

Im Jahr 2011, als ein arabisches Land nach dem anderen von Umsturz oder Krieg erfasst wurde, erwies sich Algerien als das seltene Beispiel einer stabilen arabischen Republik: Sonst waren es ja vor allem monarchische Regime, die relativ ungefährdet blieben. Dabei gibt es in Algerien eine etablierte Kultur des Demonstrierens: Dass Proteste auch 2011 eher dazu eingesetzt wurden, um konkrete, aber beschränkte Anliegen durchzusetzen und nicht, um das System anzugreifen, wird meist mit dem devastierenden Bürgerkrieg erklärt, den die Algerier und Algerierinnen in den 1990er-Jahren durchlitten. Im kollektiven Gedächtnis ist zudem der Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich (1954-1962) präsent. Stabilität und Abwesenheit von Krieg sind in Algerien hohe Güter.
Nun gehen die Menschen in Massen gegen den Mann auf die Strasse, der beim Übergang vom Bürgerkrieg, der bis zu 150’000 Todesopfer gefordert hatte, eine entscheidende Rolle spielte. Wäre Abdelaziz Bouteflika, der 1999 erstmals algerischer Präsident wurde, vor zehn Jahren gestorben, wäre er in den Nachrufen vor allem als Übergangsfigur gewürdigt worden, die – wenngleich zu einem hohen Preis für viele Menschen, die Gerechtigkeit forderten – eine zumindest oberflächliche Versöhnung zustande brachte und Algerien aus der internationalen Isolation holte.
Der Bürgerkrieg in Algerien war ausgebrochen, nachdem zur Jahreswende 1991/1992 Parlamentswahlen auf Druck der Militärs abgebrochen wurden, um den Sieg der islamistischen FIS (Front Islamique du Salut) zu verhindern. Auf die Repression der Islamisten – die allerdings tatsächlich die Abschaffung der Demokratie auf demokratischem Weg angekündigt hatten – folgte eine weitere islamistische Radikalisierung, wobei auch Rückkehrer aus dem zu Ende gegangenen Krieg in Afghanistan (1989) eine Rolle spielten.
Amnestie für Verbrecher
Als Bouteflika, der eine lange politische Karriere im FLN (Front de Libération National) durchlaufen hatte, 1999 auf Liamine Zéroual folgte, setzte er das «Gesetz zur zivilen Eintracht» durch, das die Möglichkeit für Islamisten brachte, Amnestie zu beanspruchen. Die Theorie war, dass nur Personen straffrei ausgehen sollten, die selbst kein Blut an den Händen hatten – in der Praxis wurde es auch von Verbrechern ausgenützt, zum Entsetzen vieler Opferfamilien. 2005 folgte die «Charta für Frieden und Nationale Versöhnung», die laut Bouteflika den Bürgerkrieg ein für alle Mal zu Ende bringen sollte. Dabei wurden auch die verbliebenen ehemaligen islamistischen Kämpfer, etwa 15’000, reintegriert.
Für die Kritiker Bouteflikas war es ein Versuch des FLN, die eigene Rolle und eigene Verbrechen der 1990er zu begraben. Aber es ist nicht zu leugnen, dass Algerien sich in der Folge stabilisierte. Einige islamistische Gruppen rückten in Richtung Mitte und nahmen danach sogar an Regierungskoalitionen teil.
Sein Kapital begann Bouteflika zu verspielen, als er nach zwei Amtsperioden die Verfassung ändern liess, um noch einmal kandidieren zu können. Als er 2014 – schon nach seinem Schlaganfall – noch einmal zu den Wahlen antrat, schüttelten bereits viele den Kopf. Gewählt wurde er trotzdem. Dass ein 5. Mandat – auch wenn der Präsident nun seinen Rückzug und Neuwahlen innerhalb eines Jahres verspricht – der Stabilität Algeriens dienlich wäre, wie es der korrupte Klüngel um Bouteflika behauptet, ist absurd: Im Gegenteil, in einer Gesellschaft, in der viele grosse Gegensätze nur mühsam übertüncht sind, ist die Transition nach 20 Jahren Bouteflika und einer langen Ära der Dominanz des FLN Herausforderung genug.

Dieser Beitrag erschien zuerst im «Standard»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.

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