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In der Schweiz soll der Pro-Kopf-Verbrauch von Energie bis 2035 mehr als halbiert werden © cc

In 17 Jahren 43 Prozent weniger Energie pro Person

Stephan Buhofer /  Diese Vorgabe macht das vom Volk angenommene Energiegesetz. In der öffentlichen Diskussion geht dieses Ziel leicht vergessen.

Red. Infosperber hat auf dieses Ziel, das im Gesetz festgeschrieben ist, schon mehrmals hingewiesen. Z.B. «Die Energiewende steuern statt erleiden» oder «So wendet die Schweiz ihre Energieversorgung». Stephan Buhofer fasst nochmals zusammen, wie die 43 Prozent genau zustande kamen. Buhofer arbeitete unter anderem für die Klima-Rahmenkonvention der Uno.

Das Energiegesetz, welches das Volk im Mai 2017 angenommen hat, schreibt in Artikel 3 das Ziel vor, den durchschnittlichen, gesamtschweizerischen Energieverbrauch pro Person und Jahr gegenüber dem Jahr 2000 im Jahr 2035 um 43 Prozent zu senken. Als Zwischenetappe ist bis 2020 eine Senkung um 16 Prozent vorgesehen.

Art. 3 des neuen Energiegesetzes (grösseres Format hier)

Diese Ziele sind Teil der Energiestrategie 2050, mit welcher die Landesregierung gemäss den Erläuterungen in der bundesrätlichen Botschaft zum Energiegesetz den Energieverbrauch pro Person bis im Jahr 2050 letztendlich um 54 Prozent senken möchte. Damit wird der Plan umgesetzt, die fossilen Energieträger sowie die Kernenergie abzulösen.

Wie kommt man auf diese Zahlen? Gemäss der Botschaft entsprechen sie den energiebedingten Kohlendioxidemissionen von rund 5,5 Tonnen pro Person im Jahr 2000 auf 1 bis 1,5 Tonnen pro Person bis ins Jahr 2050, unter gleichzeitiger Eliminierung der Kernenergie.

Das bedeutet eine Verringerung von etwa 80 Prozent der CO2-Emissionen, analog dem von der EU angestrebten Ziel. Damit soll der Beitrag der Schweiz zum Ziel einer Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf maximal 2 Grad Celsius auf die nationale Ebene transferiert werden.

Verschärfte Gangart ab 2020 nötig
Die Zahlen der exakt 16 und 43 Prozent Reduktion im Gesetz entstammen Modellen, welche anhand möglicher Szenarien der eingesetzten Energieträger und Einsparungen aufzeigen, wie die erwähnte Reduktion der Kohlendioxidemissionen und der Ausstieg aus der Kernenergie bewerkstelligt werden kann.
Das Ziel der 16 Prozent Reduktion bis 2020 basiert auf einem ersten Massnahmenpaket, welches schon im Energiegesetz und den damit zusammenhängenden weiteren Gesetzesänderungen enthalten ist.
Das Ziel von 43 Prozent Reduktion bis 2035 hingegen beruht auf einem Ziel-Szenarium, dessen Massnahmen erst noch realisiert und die entsprechenden politischen Hürden genommen werden müssen. Es bedeutet eine verglichen mit dem ersten Massnahmenpaket verschärfte Gangart.

Ohne den Verbrauch pro Kopf zu reduzieren, geht es nicht
Betroffen ist der gesamte Energieverbrauch, das heisst Elektrizität, Treibstoffe für den Verkehr sowie Brennstoffe für Heizungen, Warmwasser und Prozesswärme. Jede Energieform besitzt ihre eigene CO2-Intensität und muss in Kohlendioxidemissionen umgerechnet werden.
Zur Erreichung des Ziels kann der Verbrauch CO2-intensiver fossiler Energieträger und der Kernenergie reduziert werden, oder man ersetzt sie mit erneuerbaren Trägern wie Wind, Wasser und Sonnenenergie.
Es würde also theoretisch genügen, die entsprechenden Energiequellen einfach mit anderen zu ersetzen. Warum muss dann der Energieverbrauch überhaupt noch vermindert werden? Aufgrund der begrenzten Ausbaumöglichkeiten der erneuerbaren Energien – diese müssen bei endlicher Energiedichte über grosse Flächen mit den entsprechenden Anlagen gewonnen werden –, welche die fossilen Formen und die Kernenergie ersetzen, sind auch eigentliche Einsparungen beim Energieverbrauch notwendig.

Die genaue, mögliche Zusammensetzung des Energiemixes zur Erreichung des Ziels ist den Berechnungen einer Studie der Beratungsfirma Prognos zu entnehmen, welche der Bund in Auftrag gegeben hat.
Der Ersatz der Energieträger soll vor allem erreicht werden

  • durch die Substitution von Heizöl mit Erdgas und erneuerbarer Energie bei der Wärmenachfrage sowie
  • mit der Elektrifizierung des Privatverkehrs.

Bei den Einsparungen ist die Herabsetzung des Energieverbrauchs pro Person von 108 Gigajoule im Jahr 2000 auf 50 Gigajoule im Jahr 2050 notwendig. Das bedeutet eine Verminderung der erwähnten 54 Prozent bis 2050, wobei als Zwischenziel bis 2035 62 Gigajoule bzw. 43 Prozent vorgesehen sind. Daher die Zahl im Gesetz.
Erreicht werden sollen die Einsparungen durch die effizientere Nutzung von Energie und der Wärmedämmung von Gebäuden.
Nicht in den Zielwerten enthalten ist der internationale Flugverkehr.

Das Zusammenspiel von Änderungen in der Zusammensetzung der Energieträger und von Einsparungen im Verbrauch ist komplex. Die Umsetzung der Zielwerte muss durch die Bevölkerung und die Unternehmen getragen werden. Und es wird sich zeigen, ob Effizienzsteigerungen genügen oder ob es auch Einsparungen beim Energiekonsum und Eigeninitiative seitens der Bürger bedarf.
Doch indem der Gesetzgeber seine Energie- und Umweltpolitik einem konkreten, messbaren Zielwert unterstellte, hat er eine klare Vorgabe geschaffen und damit seinen Handlungswillen unterstrichen.
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Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form als Gastbeitrag in der NZZ vom 9.1.2018.

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Infosperber-DOSSIER: «Die Klimapolitik kritisch hinterfragt»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Stephan Buhofer arbeitete als Jurist unter anderem für die Klima-Rahmenkonvention der Uno. Er ist Autor des auf Infosperber vorgestellten Buchs «Der Klimawandel und die internationale Klimapolitik in Zahlen – eine Übersicht» , oekom verlag münchen, 2017, 36.90 CHF.




Das Buch ist eine ausgezeichnete, verständliche Zusammenfassung des heutigen Wissens über die Klimaveränderung. Als Standardreferenz des wissenschaftlichen Konsens dienten die Berichte des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderung (Intergovernmental Panel on Climate Change» IPPC).

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Klimapolitik kritisch hinterfragt

Die Menschen beschleunigen die Erwärmung der Erde. Doch kurzfristige Interessen verhindern griffige Massnahmen.

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2 Meinungen

  • am 26.01.2018 um 12:44 Uhr
    Permalink

    Meiner Meinung nach sind diese Ziele nicht erreichbar, wenn nicht eine Energie-Steuer auf fossile Energieträger eingeführt wird.
    Am 4. März verpasst unsere politische Elite dafür eine wunderbare Gelegenheit:
    Würde der Bundesbeschluss über die neue Finanzordnung 2021 abgelehnt, dann bliebe genug Zeit, eine Energiesteuer einzuführen, welche das Erreichen der CO2-Ziele ermöglichen würde.
    Gleichzeitig könnte die von Prof. Chesney & Team bald gestartete Volksinitiative für eine Mikro-Kapitaltransaktions-Steuer vorangetrieben werden, so dass bis 2021/2022 diese beiden Steuern alle anderen Steuern überflüssig machen.
    Würden diese beiden Steuern in einem ausgewogenen Verhältnis eingeführt (und alle anderen Steuern wie MWSt und Einkommenssteuern abgeschafft), dann würde Arbeit in der CH nicht mehr besteuert und der Werkplatz CH profitiert trotz Energiesteuer.
    In China könnte der Staat eine derartige Jahrhundertreform planen und durchführen, aber in unserem kapitalistischen System wird es leider höchstwahrscheinlich nicht zu schaffen sein – es ist eben nur kapitalfreundlich, aber innovationsfeindlich und sicher nicht nachhaltig.
    Unsere Politiker kaufen lieber neue Flugzeuge und erfüllen ihre Vasallen-Pflichten.

  • am 27.01.2018 um 20:54 Uhr
    Permalink

    Der Vergleich mit China hinkt gewaltig. In Diktaturen können ganze Täler entvölkert und dann überschwemmt werden. Proteste werden blutig niedergeschlagen. Wollen Sie den ganzen Jurakamm ohne Rücksicht auf Verluste mit Windrädern nachhaltig verschandeln um die 43.0% CO2-Reduktion vielleicht erreichen zu können?

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