InselspitalBern_Website

Nicht ganz alle sind im Inselspital willkommen © Website Inselspital

Inselspital Bern – als ginge es um Leben und Tod

Monique Ryser /  Der Kampf gegen die Diskriminierungsklage der Oberärztin Natalie Urwyler gegen das Inselspital Bern wird immer grotesker.

Es ist ein Kampf David gegen Goliath: Die Anästhesieärztin Natalie Urwyler gegen das grosse Inselspital Bern. Es geht um einen eskalierten Arbeitskonflikt, um Fragen der Frauenförderung, den Umgang mit Problemen in einer komplexen Organisationsstruktur, Diskriminierung und offene Briefe. Bereits zweimal hat das Inselspital vor Gericht verloren, doch ein Ende des Konflikts ist nicht abzusehen. Berappt werden die Streitereien und die Gerichtsverfahren zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Steuergeldern und Krankenkassenprämien. Der Fall Urwyler vs. Inselspital füllt ganze Reihen von Ordnern.

Die Kündigung

Im Juni 2014 erhält Oberärztin Natalie Urwyler die Kündigung wegen eines «nachhaltig gestörten Vertrauensverhältnisses». Urwyler war im November des Vorjahres Mutter geworden, und der gesetzlich vorgeschriebene Mutterschaftsurlaub lief im März 2014 ab. Wegen Komplikationen während ihrer Schwangerschaft war die Anästhesistin bereits seit April 2013 krankgeschrieben und hatte sich seit August 2013 darum bemüht, den Wiedereinstieg nach dem Mutterschaftsurlaub zu regeln. Sie hatte darum gebeten, nach dem Mutterschaftsurlaub 29 Ferientage am Stück und einen unbezahlten Urlaub nehmen zu können, um im August 2016 zu 80 Prozent wieder in der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Schmerztherapie (KAS) weiterzuarbeiten. Im Januar 2014 teilte ihr das Inselspital mit, ihr Chef, Professor Frank Stüber, könne auf ihre Forderungen nicht eintreten und erwarte sie mit einem Arbeitspensum von 100 Prozent am 13. März 2014 wieder zum Dienst.

Die Diskriminierungsklage

Daraufhin reichte Urwyler beim Rektorat der Universität Bern eine aufsichtsrechtliche Beschwerde gegen Klinikchef Stüber ein, «wegen Diskriminierung des weiblichen Geschlechts». Sie begründete die Klage damit, Professor Stüber habe entschieden, sie dürfe bei Wiedereintritt keine Lehre und Forschung mehr betreiben. «Er hat alle meine Forschungsprojekte zurückgestellt und meine bestehende Einteilung im Studentenunterricht an der Uni Bern annulliert», erklärt Natalie Urwyler. Dies, nachdem Stüber ihr bereits vor der Niederkunft 2013 die Arbeit in Lehre und Forschung – die laut Arztzeugnis möglich gewesen wäre («Forschung und Lehre in reduziertem Pensum möglich») – verboten respektive sie ab Juli 2013 von allen Uni-Verpflichtungen entbunden hatte. Da Urwyler kurz vor der Habilitation stand, musste sie zwingend unterrichten, schrieb eine Forschungsarbeit und erhielt dafür einen Grant (Zustupf) von 80’000 Franken. Als dann im Juni 2014 die Kündigung eintraf, focht Urwyler diese vor Gericht an, da das Gleichstellungsgesetz ein Kündigungsverbot postuliert, «wenn sie ohne begründeten Anlass auf eine innerbetriebliche Beschwerde über eine Diskriminierung …» folgt.

Das Lobbying

Noch bevor der erste Zeitungsartikel über die Klage erschien, war ein Lobbyist einer der grössten Konsulenten-Agenturen am Werk: Nein, Frau Urwyler eigne sich nicht, um eine Geschichte über Frauendiskriminierung zu schreiben. Schwierig sei sie und nicht einfach im Umgang, liess er – ungefragt – recherchierende Journalisten wissen. Erstaunlich, dass sich die oberste Spitze der Insel-Gruppe – die mit über 10’000 Mitarbeitenden eine der grössten Arbeitgeberinnen des Kantons Berns ist – so in die Enge gedrängt fühlte. Offensichtlich war man sich der Brisanz der Kündigung sehr wohl bewusst. Dass bei der Lobbyarbeit darauf hingewirkt wurde, die Oberärztin als schlechtes Beispiel für Frauenanliegen und als schwierig darzustellen, wirft allerdings ein eher unrühmliches Licht auf die Chefetage des Inselspitals. Und: Welche Frau, die sich zur Wehr setzt, gilt nicht als schwierig – es scheint, als sei allen bewusst gewesen, dass sich hier ein archetypisches Drama abzeichnet.

Die Klage

Das Inselspital wehrte sich gegen die Klage von Natalie Urwyler mit der Begründung, dass die aufsichtsrechtliche Beschwerde nicht beim Inselspital, sondern bei der Universität Bern eingereicht worden war. Das Inselspital sei somit nicht an den Kündigungsschutz nach Gleichstellungsgesetz gebunden. Und: Im Gerichtsverfahren wurden verschiedene Arbeitskonflikte als Kündigungsgrund angegeben. Sowohl das Regionalgericht Bern-Mittelland als auch das Obergericht im Appellationsverfahren liessen das Inselspital in allen Punkten abblitzen: Die seitens des Spitals erwähnten Vorfälle seien nie in den jeweiligen Mitarbeiterbeurteilungen festgehalten, von Zeugen nicht bestätigt worden oder lägen zu weit zurück und hätten – wenn schon – viel früher zu einer Kündigung führen müssen. Und: Da der Chef von Natalie Urwyler, Professor Frank Stüber, von der Universität Bern angestellt sei, habe sie ihre Beschwerde dort anbringen müssen. Das Obergericht erachtete es als wenig glaubhaft, dass das Inselspital – als Arbeitgeberin von Natalie Urwyler – darüber nicht informiert gewesen sei. Das Urteil des Gerichts: Die Kündigung sei nicht rechtens und Natalie Urwyler sei weiter zu beschäftigen.

Eigenartige Organisation

Für Aussenstehende ist der Fall nicht ganz einfach zu verstehen: Während der Chef der KAS, wie andere Klinikchefs oder Chefärztinnen und Chefärzte mit Lehrauftrag, von der Universität Bern angestellt sind, stehen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dieser Kliniken auf der Gehaltsliste des Inselspitals. Auf Nachfrage beim Inselspital, ob die Führung des Spitals ein Weisungsrecht gegenüber eines von der Uni angestellten Klinikdirektors habe, kommt die Antwort: «Die Direktion hat kein Weisungsrecht hinsichtlich der Personalrekrutierung.» Auf die Frage an die Universität Bern, wie Anstellungsverhältnisse zwischen Uni und Insel geregelt seien, bekommt man folgende Antwort: «… Als Klinikdirektorinnen/direktoren und Chefärztinnen/Chefärzte der Universitätskliniken unterstehen sie den Vorgaben des Inselspitals.» Kein Weisungsrecht in Personalfragen, aber Unterstellung unter die Vorgaben des Inselspitals? Klar ist nur eines: Das Inselspital will gemäss eines (kostenpflichtigen) Berichts der Berner Zeitung Natalie Urwyler nicht weiter beschäftigen. Man rate ihr, ihre momentane Stelle beim Kantonsspital Wallis nicht zu kündigen, da man ihr nach einer Schutzfrist gemäss Gleichstellungsgesetz «das per Gericht wiederhergestellte Arbeitsverhältnis gleich wieder kündigen und Urwyler zum zweiten Mal von der Arbeitspflicht freistellen» würde.

Das männliche Kader des Inselspitals

Anästhesieärztin Natalie Urwyler hat nach der Geburt ihrer Tochter 2014 habilitiert. Durch die Kündigung wurde aber auch die Fortsetzung ihrer Forschungsarbeit an der Uni Bern verunmöglicht. Dass ihr kurz nach der Kündigung auch der Zugang zur Unibibliothek gesperrt wurde, ist nur eine der vielen bizarren Nebenerscheinungen dieses Streits. Sie arbeitet nun seit vier Jahren auf der Intensivstation und in der Inneren Medizin im Spital Wallis. Ihre Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen und der Vorwurf der Diskriminierung ans Inselspital sowie an die Uni Bern scheinen auch heute noch nicht unbegründet zu sein. Auf die Frage, wie viele Frauen im Kader des Inselspitals vertreten seien, gibt die Pressestelle folgende Antwort: «Die Insel Gruppe hat einen Frauenanteil von fast 80 Prozent. Über die Hälfte aller Kaderstellen ist mit Frauen besetzt.» Nach einem Blick auf die Mitgliederliste der Direktion der Inselgruppe stellt man aber fest, dass dieser nur Männer angehören. Also lanciert man eine zweite Fragerunde: Wie steht es denn mit dem Frauenanteil im obersten und oberen Kader? «Wir können Ihnen die Zahlen für das ärztliche Kader nennen:  Klinikdirektorinnen und -Direktoren sowie Chefärztinnen und -Ärzte: 10 Prozent Frauen, 90 Prozent Männer (berücksichtigt sind auch die uniangestellten Klinikdirektorinnen und -Direktoren). Alle ärztlichen Funktionen ab Stufe Leitendem Arzt/Ärztin: 20 Prozent Frauen, 80 Prozent Männer.» Bei diesen Zahlen scheint zumindest verständlich, dass eine Ärztin auf die Idee kommt, das weibliche Geschlecht werde diskriminiert. Und es darf auch gefragt werden, wie die Pressestelle dazu kommt, bewusst eine verschleiernde Antwort zu geben und erst auf Nachfrage die eher unbequemen Zahlen herauszurücken.

Die aufsichtsrechtliche Beschwerde

Die von Urwyler eingereichte aufsichtsrechtliche Beschwerde an die Universitätsleitung wegen Diskriminierung wurde Anfang 2015 abgelehnt. Das Ergebnis der Untersuchung ist laut Medienstelle der Uni in einem 15-seitigen Bericht zusammengefasst, der aber nicht öffentlich zugänglich ist. Befragt wurden gemäss Uni «Professor Stüber, weitere Stellen und Personen in Universität und im Inselspital» sowie «wurde Frau Urwyler als anzeigender Person zwei Mal Gelegenheit gegeben, ihre Beanstandungen zu konkretisieren.» Laut Urwyler hat ein Schriftenverkehr stattgefunden, aber kein persönliches Gespräch. Wieso die Uni bei den bestehenden Frauenanteilen im obersten Kader sowohl in ihrer Institution als auch beim Inselspital keinen Handlungsbedarf sieht, bleibt also das Geheimnis der männlichen Universitätsleitung, der heute zumindest eine Frau angehört.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Das Inselspital hat noch bis zum 3. September Zeit, eine allfällige Berufung gegen das Urteil des Obergerichts beim Bundesgericht einzulegen. Noch sei aber kein Entscheid gefallen, so die Pressestelle. Ein Gesprächsangebot von Natalie Urwyler wurde abgelehnt. Sie hatte unter anderem gefordert, mit dem Direktionspräsidenten der Insel Gruppe, Uwe E. Jocham, zu sprechen. Dieser hat das Gespräch verweigert. Das erstaunt: Der Fall ist schon längst Chefsache oder sollte es zumindest sein. Aber Jocham befindet sich in einer komfortablen Position – da er nicht nur Direktionspräsident der gesamten Inselgruppe ist, sondern auch noch Präsident des Verwaltungsrates der Insel-Gruppe, beaufsichtigt er sich gleich selber! Ob diese Doppelfunktion einem durch Prämiengelder und Kantonsbeiträgen finanzierten Milliardenbetrieb angemessen ist, müssten die Geldgeber zumindest hinterfragen – Wahlbehörde des Verwaltungsrates ist nämlich der Regierungsrat des Kantons Bern.

Offene Briefe

Dass die ganze Affäre bis jetzt Kosten von rund einer Million Franken verursacht hat, scheint ebenfalls niemanden zu kümmern. Lieber lässt man die Spitalleitung gewähren, die sich hinter so genannt «offenen Briefen» versteckt, die gemäss einer ersten Anfrage über 250 Unterzeichner enthalten sollen, die sich gegen eine Wiedereinstellung von Urwyler aussprächen. Erst wenn man nachfragt, ob man die unterschriebenen Briefe einsehen könne, reduziert sich die Zahl der Unterschriften plötzlich auf insgesamt 42, wobei die Öffentlichkeit keine dieser Unterschriften je gesehen hat. Trotzdem schreibt die Pressestelle dazu: «Die Direktion der Insel Gruppe hat Kenntnis von den Briefen. Die darin geäusserten Bedenken von Seiten eines Teils der Mitarbeitenden der KAS wollen und können wir nicht einfach negieren. Sie fliessen in die Gesamtüberlegungen mit ein.» Klar, dass man auch auf weitere Vorschläge von Natalie Urwyler nicht eingehen wollte: Nämlich, dass ihr bei ihrem Wiedereintritt als einer der wenigen habilitierten Anästhesistinnen zu einem späteren Zeitpunkt der Aufstieg in die rein männliche Klinikleitung ermöglicht werden könnte, und dass die Wahl einer zweiten Frau in die Klinikleitung angestrebt werden sollte. Affaire à suivre.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Monique Ryser war während vieler Jahre Redaktorin und Journalistin in Bern. Heute betreibt sie politisches Coaching.

Zum Infosperber-Dossier:

we_can

Gleiche Rechte für Frauen und Männer

Gleichstellung und Gleichberechtigung: Angleichung der Geschlechter – nicht nur in Politik und Wirtschaft.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

2 Meinungen

  • am 29.08.2018 um 14:54 Uhr
    Permalink

    Es ist nicht das erste Mal, dass am Insel-Spital Bern Willkür herrscht. Für einen willkürlichen Betrieb bekannt ist auch die Herzklinik mit ihrem Star-Chirurgen + Leiter Thierry Carrel.
    – Als Institutsleiter trägt er für den Betrieb die Verantwortung. zB für …
    — Ausbildung seiner Oberärzt*Innen
    — Ausrüstung für die Herz-Operationen
    – Der Sohn eines Berner Freunds musste am Herzen operiert werden. Er starb …
    — Der operierende Oberarzt schloss die Herz-Pumpe verkehrt rum an (Problem mit der Ausbildung).
    — Die Herz-Pumpe war nicht EU-konform, sprich hatte nicht 2 unterschiedlich dicke Anschlüssen, um Verwechslungen auszuschliessen (Problem mit der Ausrüstung).
    – Natürlich kam’s zum Gerichtsfall (Offizialdelikt).
    — Angeklagter war der Oberarzt (ungenügend ausgebildet – Ausrüstung untauglich).
    — Im Gerichtssaal sass als Zuschauer … sein Chef, Thierry Carrel.
    — Das Gericht verurteilte den Oberarzt faktisch zu einem Berufsverbot. Thierry Carrel ist unverändert im Amt …
    — Das Gericht unterliess es auch, seinen Überlegungen die die EU-Produktehaftungsrichtlinie zugrunde zu legen. Dabei galt sie seit Jahren auch in der Schweiz (berühmter ‹acquis communautaire›; Richtlinie gültig ab 2002).

    Das ist auch ‹der Schweizer Rechtsstaat› + ‹die Bereitschaft am Insel-Spital, für seine Entscheide die Verantwortung zu tragen› …

  • am 29.08.2018 um 19:15 Uhr
    Permalink

    Wir Normalbürger leben doch in der Vorstellung, das Inselspital sei eine Einrichtung, in welcher kranke Menschen nach bestem Wissen und Gewissen «repariert» werden. Was mich betrifft, allerdings auch in der Hoffnung, nie in diese hierarchisch straff organisierte Reparaturfabrikfabrik eingeliefert werden zu müssen.
    Die Analyse zeigt uns, dass sich die hochdekorierte Ärzteschaft mit noch ganz anderen Fragen als mit der Heilung von Patienten befasst. Es wird gestritten, «ganze Ordner» gefüllt und Gerichtsentscheide angefochten, wegen einer offenbar nicht genehmen (oder nicht pflegeleichten?) Kollegin. «Auf Tod und Leben…» Eine psychiatrische Untersuchung könnte vielleicht Machtneurosen im Führungskader diagnostizieren. Das Inselspital wäre sicher dazu eingerichtet, diese zu behandeln, sofern die Betroffenen ihre Krankheit anerkennen. Das dürfte schwierig sein, Macht korrumpiere und mache blind, auch bei Doktoren, sagt man mir.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...