Kommentar

Italiens Bankenkrise ist ein Pulverfass

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsErnst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen ©

Ernst Wolff /  Die Bankenrettung mit Verlusten für Aktionäre, Obligationäre und Sparer funktioniert nicht. Es wird noch mehr Geld gedruckt.

upg. Niemand kann einigermassen voraussagen, wie die Finanzpolitik der Notenbanken und die Bankenpolitik der Regierungen endet. Eine derartige Geldschwemme und Negativzinsen sind in den Lehrbüchern der Wirtschaft nicht vorgesehen. Entsprechend wird vor drohenden Riesenpleiten oder einer Hyperinflation gewarnt, oder ein langsamer, beherrschbarer und politisch durchsetzbarer Exit in Richtung Wirtschaftswachstum für möglich gehalten. Autor Ernst Wolff gehört zu den Warnern.
Angst vor dem beschlossenen «Bail-in»
Die Schlagzeilen letzter Woche gehörten dem Brexit. Dramatische Vorgänge hinter den Kulissen der EU blieben wenig beachtet. Es gab weder Communiqués noch Pressekonferenzen.

Statt Banken künftig mit Steuergeldern zu retten («Bail-out»), hatte die EU ein «Bail-in»-System beschlossen, bei dem zuerst die Aktionäre, die Obligationenbesitzer und auch Kundenguthaben von über 100’000 Euro die Verluste decken sollen. Aktuell stehen etliche Grossbanken Italiens vor so grossen Problemen, dass ein «Bail-in» zur Anwendung hätte kommen müssen. Doch die Regierung Renzi weigerte sich und die EU-Behörden haben mindestens vorläufig kapituliert. Ein bedenkliches Signal aus Brüssel so kurz nach der Brexit-Abstimmung in Grossbritannien.
Italienische Banken in tiefer Krise
Um die Hintergründe und die Tragweite der Geschehnisse zu verstehen, hier zunächst ein Blick auf die Situation einiger italienischen Banken. Diese befinden sich seit Längerem in einer tiefen Krise. Sie führen nach offiziellen Angaben faule Kredite in Höhe von enormen 360 Milliarden Euro in ihren Bilanzen (ausstehende Kredite, deren Rückzahlung unwahrscheinlich ist).
Erst im Dezember griff die Regierung in Rom ein und rettete vier regionale Banken vor der Insolvenz. Sie griff dazu auf das in der EU eingeführte «Bail-in» zurück und erleichterte rund 150’000 Aktionäre und Anleihenbesitzer um die runde Summe von 750 Millionen Euro.
Diese Enteignungs-Massnahme quittierte die italienische Bevölkerung mit so heftigen Protesten, dass sich die Regierung in Rom gezwungen sah, nach anderen Wegen zu suchen, um weitere Bankenpleiten abzuwenden. Im April dieses Jahres drängte sie mit Unterstützung der Zentralbank mehrere Finanzinstitute, einen Rettungsfonds mit dem Namen «Atlante» aufzulegen. Trotz des von staatlicher Seite ausgeübten Drucks kamen statt der geforderten 5 bis 6 Milliarden Euro nur 4,8 Milliarden zusammen. Wegen der Skepsis der Investoren scheiterte der Fonds bereits an seiner ersten Aufgabe, einer Kapitalerhöhung der «Banca Popolare di Vicenza».
Da die italienischen Banken seit Jahresbeginn im Schnitt bereits 40 Prozent ihres Aktienkurses verloren hatten und diese Verluste im Zuge des Brexit-Votums noch zunahmen, wandte sich Premier Matteo Renzi nach dem Brexit-Votum der Briten erneut mit einem dringenden Hilferuf an die EU. Mit Hinweis auf die Gefahr einer Panik unter Investoren und einen Banken-Run verlangte er 40 Milliarden Euro, um die Finanzinstitute seines Landes mit einer direkten Kapitalspritze oder durch gedeckte Regierungsgarantien zu stützen.
Berlin sagt nein – die EU sagt ja
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble reagierten umgehend mit einer scharfen Ablehnung und forderten Renzi auf, erneut die geltende «Bail-in»-Regelung anzuwenden. Ihr kategorisches Nein überraschte nicht, denn Deutschland muss andernfalls als grösste Volkswirtschaft der EU für einen grossen Teil der 40 Milliarden geradestehen.

Dann aber geschah Unerwartetes: Kaum hatten Merkel und Schäuble abgewinkt, verkündete die EU-Kommission nach Rücksprache mit der Europäischen Zentralbank EZB, man habe Rom bis zum Jahresende geltende Staatsgarantien von bis zu 150 Milliarden Euro – also fast das Vierfache der Summe, die Renzi als Direktmassnahme gefordert hatte – zugesagt. Wie hoch die unmittelbar zur Verfügung gestellte Summe ist, wurde geheimgehalten. Die Verkündung der Unterstützungsmassnahme sorgte für eine – zumindest vorübergehende – Erholung der Aktienkurse der italienischen Banken.
Während die europäische Politik die Ereignisse fast kommentarlos überging, führten die meisten Medien sie auf ein taktisches Manöver der Regierung Renzi zurück: Diese habe die Tumulte um den Brexit und die Angst um das Auseinanderbrechen der EU benutzt, um sich das zur Rettung der eigenen Banken notwendige Geld zu besorgen.

In Wirklichkeit aber offenbaren die Vorgänge viel mehr. Zum einen zeigen die bereitgestellten 150 Milliarden Euro, welche Summe offenbar nötig ist, um Investoren zumindest bis zum Jahresende zu beruhigen. Zum anderen hat Premier Renzi die 40 Milliarden Euro als Direkthilfe nicht etwa verlangt, um das System zu stabilisieren, sondern um einen Run auf die Banken zu verhindern – ein Anzeichen dafür, dass nach dem Brexit akuter Handlungsbedarf bestand.
Der Vorgang als Ganzes wirft einmal mehr ein deutliches Licht auf die wahren Machtverhältnisse in Europa: Wenn es um die Erhaltung des Finanzsystems geht, haben einzig und allein die Europäische Zentralbank und die EU-Kommission das Sagen. Das heisst: Das Schicksal des Kontinents liegt nicht in der Hand gewählter Politiker, sondern in der Hand nicht gewählter, sondern von politischen Gremien in Absprache mit der Finanzindustrie ernannter Technokraten.
Die wichtigste Erkenntnis aber betrifft das «Bail-in»: Der Ablauf der Ereignisse in Italien zeigt, dass diese inzwischen in ganz Europa rechtlich verankerte Regelung im Ernstfall einen riesigen Haken hat: Sie ist in grossem Stil nicht durchsetzbar. Auch hierzu eine kurze Erklärung.
Bail-in funktioniert nur am Reissbrett
Als 1998 der Hedgefonds «Long Term Capital Management» (LTCM) das globale Finanzsystem zum Einsturz zu bringen drohte, sprangen die Banken der Wallstreet ein und bewahrten ihn in einer gemeinsamen Rettungsaktion vor der Zahlungsunfähigkeit. Als mehrere Grossbanken 2008 zusammenzubrechen drohten, sprangen die Regierungen ein und retteten die Banken mit Steuergeldern im Rahmen des sogenannten «Bail-out». Da damals schon abzusehen war, dass eine weitere Krise noch höhere Summen verschlingen und die Staatshaushalte überfordern würde, suchten sämtliche Staaten der Welt nach einem Ausweg.
Die Lösung wurde bald gefunden und hiess: «Bail-in»
Banken, die von nun an in Schieflage gerieten, sollten nicht mehr durch das Geld der Steuerzahler, sondern durch die Beteiligung von Obligationenbesitzer, Aktionären und Kunden mit Einlagen von über 100’000 Euro gerettet werden. Das Prinzip wurde gesetzlich verankert und gilt seit 2016 flächendeckend in der gesamten EU. Angewandt wurde es zum ersten Mal in Zypern, später in Italien, Portugal und Österreich.
Was sich allerdings bereits beim ersten Einsatz in Zypern andeutete, bestätigte sich bei der weiteren Anwendung in den anderen drei Ländern: Das «Bail-in» traf auf heftigsten Widerstand seitens der Bevölkerung. Während Grossinvestoren ihre Gelder nämlich fast immer rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, war es fast ausschliesslich der Mittelstand, der zur Kasse gebeten wurde.
In Italien ist die Situation noch speziell, weil dort viele Kleinanleger Aktien und Obligationen von Banken besitzen. Umso grösser war der Aufschrei der Bevölkerung, als im letzten Dezember die vier Regionalbanken mit einem «Bail-in» saniert wurden. Es ging damals um eine Summe von 750 Millionen Euro. Letzte Woche aber ging es um 40 Milliarden Euro, welche die italienische Regierung forderte. Man kann sich vorstellen, welche Folgen ein «Bail-in»-Manöver in dieser Grössenordnung im Gefolge des Brexit gehabt hätte: Es wäre zu möglicherweise nicht mehr beherrschbaren Protesten gegen die Regierung gekommen und hätte der Anti-EU-Bewegung solchen Rückenwind gegeben, dass ein Verbleib Italiens in der EU kaum mehr möglich gewesen wäre.
Kein Wunder also, dass nicht nur die Regierung Renzi, sondern auch die EU sich davor gescheut haben, zu diesem Mittel zu greifen.
Die Alternativen der EU: Gelddrucken bis zur Hyperinflation oder Anwendung von Gewalt
Rückwirkend betrachtet ist das beschlossene Prinzip des «Bail-in» ein von Juristen und Wirtschaftlern am Reissbrett entworfener Versuch, ein längst marodes Finanzsystem künstlich am Leben zu erhalten. Doch die geistigen Urheber des «Bail-in» haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht, das heisst ohne das Volk. Dessen möglicher Widerstand wurde nicht mit einkalkuliert, hat sich aber in Zypern und Italien deutlich bemerkbar gemacht.
Die EU-Kommission hat nun darauf reagiert, indem sie die «Bail-in»-Regelung im entscheidenden Moment ausser Kraft gesetzt hat. Sie setzt also auch weiterhin auf «Bail-outs», also auf die Rettung von Banken mit dem Geld der Steuerzahler. Da die vorhandenen Summen aber wegen der Löcher in den Staatshaushalten aufgrund der vorangegangenen Bankenrettungen nicht ausreichen, bleibt ihr derzeit nur eine Möglichkeit: das Drucken von Geld. Dies passierte schon bisher mit grossen Risiken bis zum Exzess und wird in Zukunft in vermehrtem Masse weitergehen. Früher oder später führt diese Politik unweigerlich in eine Hyperinflation.
Die Vorgänge um die italienischen Banken sind für die Existenz der EU bedrohlich: Die einzige Möglichkeit, eine Hyperinflation zu vermeiden, bestünde darin, doch wieder auf das «Bail-in» zurückzugreifen. Diese direkte und unverhohlene Enteignung grosser Teile der Mittelschicht im Interesse der Finanzindustrie liesse sich nur gegen den Widerstand der Bevölkerung durchsetzen.
Der wahrscheinliche Einsatz von Gewalt könnte eine Volksbewegung gegen die EU auslösen, was ein Auseinanderbrechen wahrscheinlich machen würde. Anders ausgedrückt: Die EU wird nach meiner Einschätzung gewollt oder ungewollt eine Politik fortsetzen, die in einer Hyperinflation mit dramatischen Folgen endet.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Ernst Wolff ist freier Journalist und Autor des Buches «Weltmacht IWF – Chronik eines Raubzugs», erschienen im Tectum-Verlag, Marburg, 26.90 CHF, sowie des Buches «Kapitalfehler – Wie unser Wohlstand vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen», Eichborn-Verlag 2016, 29.90 CHF.

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9 Meinungen

  • am 6.07.2016 um 12:45 Uhr
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    Hier sind einige Abschnitte durcheinander geraten.

  • am 6.07.2016 um 18:05 Uhr
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    Das meiste Gold auf Erden lagert in Italien.Vom Vatikan braucht man gar nichts zu sagen. Die höchsten privaten Sparguthaben sind in Italien. Sollte nun Muddi und der Grossschnurre Diktator und Scharzgeldlenker Gokart Renner den Italos die Spagetti wegnehmen wird kurzer Hand jeder Deutsche Lander erschlagen. Dann wird’s keine Eier und Kuchen mehr geben in der EU. Finito la roba.

  • am 8.07.2016 um 14:30 Uhr
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    "Die Lösung wurde bald gefunden und hiess: «Bail-in»

    Banken, die von nun an in Schieflage gerieten, sollten nicht mehr durch das Geld der Steuerzahler, sondern durch die Beteiligung von Obligationenbesitzer, Aktionären und Kunden mit Einlagen von über 100’000 Euro gerettet werden. Das Prinzip wurde gesetzlich verankert und gilt seit 2016 flächendeckend in der gesamten EU. Angewandt wurde es zum ersten Mal in Zypern, später in Italien, Portugal und Österreich."
    Warum sollte bail in nicht auch in Italien angewendet werden?
    Die «Sparer» unter 100 000 Euro müssen doch nicht leisten? Oder sehe ich das falsch?

  • am 8.07.2016 um 15:02 Uhr
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    @Thurner. Wie im Text erwähnt, besitzen in Italien sehr viele Kleinsparer Aktien und Obligationen der Banken. Das ist eine Besonderheit in Italien. Deshalb müsste sich die Regierung bei einem «bail in» auf eine gewaltige Opposition gefasst machen.

  • am 8.07.2016 um 18:56 Uhr
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    Verständnisfrage: fallen Aktien und Obligationen nicht unter die 100 000 Euro Grenze, werden also wirklich Kleinsparer/Aktienbesitzer mit Spareinlagen /Aktien Guthaben unter 100 000 Euro zur Kasse gebeten?
    Spar/Aktien Guthaben über 100 000 Euro sind doch keine Kleinsparer.

  • am 9.07.2016 um 09:45 Uhr
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    Danke für die Antwort Rolf Leuenberger. Dann sind es also streng genommen nicht die Kleinsparer mit Guthaben bis 100 000 Euro, die die Zeche bezahlen, sondern Käufer von Obligationen und Aktien (nur der betroffenen Banken?).
    Bei den niedrigen bzw. fast nicht vorhanden Guthabenzinsen im Euro Raum auf Aktien oder Obligationen auszuweichen kann sich also rächen.

  • am 9.07.2016 um 16:15 Uhr
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    Ich hätte noch eine Frage: Wie soll ein Bail in technisch überhaupt funktionieren?
    Bei eine EK Quote von 5-15 % und Kreditausfällen von über 15 % können sämtliche Einlagen die Ausfälle nicht mehr decken, oder ?

  • am 9.07.2016 um 16:44 Uhr
    Permalink

    @Thurner, Wie schon weiter oben erwähnt, besitzen in Italien sehr viele Kleinsparer Aktien und Obligationen der Banken, anstatt das Geld auf einem Sparkonto zu haben.
    @Rihs. Nach EU-Beschluss sollte zuerst ein «Bail-in» stattfinden und wenn dieses nicht reicht ein «Bail-out».

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