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Tabak-Werbung 1916 mit Text: «Fürwahr kein braver Mann, der den Tabak nicht vertragen kann» © cc

Protestbrief an Gesundheitsminister Bundesrat Alain Berset

Rainer M. Kaelin /  In Genf tagte eine WHO-Antitabak-Konferenz. Die Schweiz war abwesend. Sie werkelt an einem Tabakgesetz, das die Industrie schützt.

Red. Der Arzt Rainer M. Kaelin war Vizepräsident der Lungenliga Schweiz und ist Vizepräsident von Oxyromandie, einem Verein, der sich für den Schutz der Nichtraucher und für Werbeverbote für Tabakprodukte einsetzt, wie sie die WHO-Rahmenkonvention vorsieht.

Strikte Regulierung der Zigaretten-Alternativen
Ausgerechnet wenn es um das Bekämpfen des Rauchens geht, stellt sich der Schweizer Bundesrat vor die Tabakindustrie und widersetzt sich damit internationalen Bemühungen, um insbesondere den Einstieg Jugendlicher ins Rauchen zu erschweren.
Es geht um gelockerte Werbeeinschränkungen für Alternativen der Zigarette wie Tabakerhitzer oder E-Zigaretten. Anders als der Entwurf eines neuen Schweizer Tabakgesetzes fordert die WHO eine strikte Regulierung dieser Zigaretten-Alternativen. Hauptgrund: Sie dienen Jugendlichen als Einstieg in die Nikotinsucht und damit zum Konsum herkömmlicher «echter» Zigaretten.

Offener Brief an den Bundespräsidenten
In Genf beherbergte die Schweiz die ganze letzte Woche eine Anti-Tabak-Konferenz der Weltgesundheitsorganisation (WHO), welche die UNO-Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle weiter konkretisieren will. Die Schweiz hatte zwar im Jahr 2004 der Konvention zugestimmt, diese jedoch als eines der ganz wenigen Länder nie ratifiziert. Deshalb ist die Schweiz an der Konferenz in Genf nicht vertreten.
Die beiden NGO-Organisationen Action on Smoking and Health (USA) und OxySuisse rufen jetzt mit vielen andern Unterzeichnenden in einem offenen Brief an Bundespräsident Alain Berset die Schweiz auf, das hängige neue Tabakgesetz so zu verabschieden, dass die Schweiz die UNO-Rahmenkonvention zur Tabakkontrolle endlich ratifizieren kann.
Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf würde der Bundesrat das Recht auf Gesundheit der eigenen Bevölkerung den Interessen der Industrie opfern.

Neues Gesetz ohne Wirkung

Der neuste Entwurf des Schweizer Tabakproduktegesetzes werde nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit die Raucherquoten um ganze 0,5 Prozent senken – im Jahre 2060! Dies bedeutet, dass auch die derzeitigen 9’500 jährlichen Tabaktodesfälle und die 300’000 Tabakkranken für die nächsten Jahrzehnte vom Bundesrat wissentlich in Kauf genommen werden, obwohl die Massnahmen bekannt sind, die dies verhindern könnten.
Bewusst nehmen die politischen Behörden damit auch auf sich, die grundlegenden Menschenrechte auf Gesundheit der Bewohner dieses und anderer Länder zu verletzen, indem sie sich ihre Politik von wirtschaftlichen Kreisen diktieren lassen, die von der Tabakindustrie ferngesteuert sind.
Vor dem Nationalrat hatte SP-Gesundheitsminister Alain Berset erklärt, der erste Entwurf des Tabakgesetzes, suche «ein Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Gesundheit und den wirtschaftlichen Interessen der Tabakindustrie». Dieses Ziel widerspricht einer Deklaration der UNO-Generalversammlung, welcher die Schweiz am 16. September 2011 zugestimmt hatte. Sie hält fest, dass es einen «fundamentalen Interessenkonflikt [gibt] zwischen Tabakindustrie und öffentlicher Gesundheit».

Auch der jüngste Entwurf des neuen Tabakgesetzes veranschaulicht diese Unvereinbarkeit. Er schützt die Interessen dieser Industrie zum Schaden des Schweizervolkes.
Pascal Diethelm, Präsident von OxySuisse, weist immer wieder darauf hin, dass die offizielle Raucherquote von 25 Prozent der über 15-Jährigen die Wirklichkeit verschleiere. Aufgrund der Tabak-Statistik müsse man davon ausgehen, dass noch ein Drittel der Erwachsenen rauche. Diethelm kritisiert, dass die Schweiz die von der FCTC vorgezeichneten Massnahmen nicht umgesetzt hat und auch nicht umzusetzen gewillt ist:

  • Die Zigarettenpreise seien, gemessen am mittleren Einkommen, zu tief;
  • Der Schutz vor Passivrauch gleiche in der Schweiz einem Sieb;
  • Die Einschränkungen der Tabakwerbung würden auch im neuen Gesetzesvorschlag – bis bisher – zu viele Lücken enthalten und keinen Schutz der Jugend garantieren;
  • Die Warnhinweise auf den Packungen würden bereits seit Jahren viel weniger weit gehen als jene in der EU und Australiens. Dort sei seit Einführung der neutralen Zigarettenpackung im Jahr 2013 die Raucherquote der Jungen um 0,5 Prozent gesunken. Bei uns würde die Raucherquote unter den 15-25-Jährigen seit 2011 tendenziell steigen.

Schweiz trägt zu Misere in Afrika bei
Mit dem Export von so stark nikotinhaltigen Zigaretten wie sie in Europa sonst verboten sind, tragen die in der Schweiz beheimateten Tabakkonzerne zur zunehmenden Nikotinabhängigkeit in Afrika bei. Dort werden in der Schweiz hergestellte, besonders nikotinreiche Marlboro-Zigaretten zu günstigen Preisen verkauft. Im letzten Jahrzehnt ist die Raucherquote in Afrika stark gestiegen.
Die Genfer SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann Rielle meint, dass das Parlament die Dringlichkeit eines wirksamen Tabakproduktesetzes ignoriert. Wahrscheinlich werde ein Referendum nötig, um ein Umdenken zu bewirken.
Wichtige Unterschriften fehlen
Mehr als 100 Organisationen aus der ganzen Welt haben den Brief an Bundepräsident Berset unterschrieben. Man vermisst aber einige wichtige mit Sitz in der Schweiz. Trotz Einladung haben sich die Verbindung der Schweizer Ärzte FMH, die Schweizerische Lungenliga, Public Health Schweiz oder der Fachverband Sucht dem Aufruf an den Bundespräsidenten und Gesundheitsminister nicht angeschlossen.

Mitgetragen wird der Aufruf von
– der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention AT;
– der Krebsliga;
– mehreren kantonalen Lungenligen;
– dem Fachverband der Kinderärzte;
– den Fachärzten der Prävention und der öffentlichen Gesundheit;
– der Stiftung «Sucht Schweiz» ;
– und vielen anderen.
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Infosperber-DOSSIER: «E-Zigaretten: Vor- und Nachteile»
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Rainer M.Kaelin, FMH Innere Medizin und Pneumologie, vormals Vizepräsident der LungenlligaSchweiz und der Lungenliga Waadt, Vizepräsident von OxyRomandie/OxySchweiz.

Zum Infosperber-Dossier:

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4 Meinungen

  • am 8.10.2018 um 14:51 Uhr
    Permalink

    Protest, Protest, Protest! Antitabak-Konferenz ohne Schweiz, Krebserregende Medikamente aus China mit Segen des BAG, Waffenausfuhr in kriegführende Länder, etc. etc. Was ist das doch für ein Volk, dessen Wille unsere Regierung vertritt? Volk auswechseln oder Regierung auswechseln? Kein Problem für Herr Berset, die Pharma- und die Tabakindustrie benötigen einsichtige Verwaltungsräte.

  • am 8.10.2018 um 21:30 Uhr
    Permalink

    “the fundamental conflict of interest between the tobacco industry and public health.”

    -> könnte man auch so übersetzen:

    Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf würde der Bundesrat das Recht auf Gesundheit der eigenen Bevölkerung den Interessen der Industrie opfern, und somit in Bezug auf die Tabakprävention seine menschenverachtende und nun seit Jahrzehnten praktizierte Politik trotz besserem Wissen und Gewissen weiterverfolgen.*

    *inspieriert von S. Seibert

    [Er]: «Jene jetzt festzurren, die uns das Gute verwehren!"

    [Sie]: «Nur festzurren (!); im Moment. Die brauchen wir noch!"
    [Frei nach Greg Graffin]

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 9.10.2018 um 08:32 Uhr
    Permalink

    Im Vergleich zu anderem, was schädlich ist, kann man nicht ohne weiteres behaupten, das Rauchen würde nicht genügend bekämpft und nicht genügend verboten. Selber hörte ich an meinem 18. Geburtstag mit Rauchen auf, weil es in dem Internat, das ich damals besuchte, ab jenem Alter erlaubt war, also «musste» ich nicht mehr rauchen. Am stärksten störte mich indes das Rauchverbot, wie ich sah, dass Leute, die ich am Vorabend gern zu einem Gespräch in der Beiz getroffen hätte, dem für die politische Meinungsbildung nicht unbedeutenden demokratischen Stammtisch, dass eben diese Rauchverbote dazu beigetragen haben, auch dem genannten Stammtisch den Garaus zu machen.

  • Portrait_Rainer_M_Kaelin
    am 11.10.2018 um 17:44 Uhr
    Permalink

    Richtigstellung : 1. die WHO -Rahmenkonvention zielt nicht darauf das Rauchen als solches zu verbieten, sondern Werbung, Promotion und Sponsoring zu verbieten und Tabakprodukte speziell für Junge weniger leicht zugänglich zu machen. 2. Die Mär, dass das Rauchverbot in den Restaurants die Konviavialitàt und damit den Stammtisch erledigt, ist schon im letzten Jahrhundert widerlegt worden. Die Menschen kommen in öffentlichen Lokalen zusammen, um zu diskutieren (und nicht um zu rauchen, wenn geraucht wird, hält dies die Nichtraucher vom Zusammensein fern): ImJahre nach der Einführung des Rauchverbotes im öffentlichen Raum haben die Restaurateure der Stadt New York mehr Steuern bezahlt als im Jahr zuvor, und sie haben Personal angestellt. Was das Jammer geschrei um die Gewerbseinbussen der Branche Lügen strafte und (nebenebei bemerkt) belegte, dass die Restaurateure , dies auch in der Schweiz, sich von der T. industrie hatten instrumentalisieren lassen. Diese Desinformation wurde aber auch bei uns intensiv weiterverwendet, auch von der Parlamentarierin Karin Keller Suter in der der Diskussion um eine bessere Passivrauchregelung in der Schweiz. Eine Unwahrheit wird durch Wiederholung nicht wahrer, aber sie setzt sich in der allgemeinen Wahrnehmung fest, ein alter Trick jeder Werbung. Dr Rainer Kaelin, Etoy.

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