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Millionen von Hühnern, gemästet mit Importfutter, machen viel Mist © pixabay

Blosse Symptomtherapie gegen Düngerüberschuss wirkt nicht

Beatrix Mühlethaler /  Zu viele Nutztiere überdüngen das Land. Das lässt sich nur ändern, wenn Tierbestand und Fleischkonsum deutlich gesenkt werden.

Im Artikel «Überfluss an Dünger führte zu dramatischem Insektensterben» berichtete Infosperber über die Auswirkungen von zuviel Stickstoff auf die Biodiversität. Dieser zweite Teil zeigt, was getan wird und was nötig wäre, um die Düngerflut wirksam zu reduzieren.

In Schweizer Landwirtschaftsbetrieben leben rund 1,5 Millionen Kühe, Rinder und Kälber sowie annähernd 1,5 Millionen Schweine. Dazu kommen fast 14 Millionen Stück Federvieh, Tendenz steigend. Das in der Schweiz verzehrte Fleisch stammt überwiegend von diesen Tieren: Die Selbstversorgung liegt höher als 95 Prozent bei Schwein und Kalb, etwas tiefer bei Rindfleisch und um 65 Prozent beim Geflügel.

Wir essen also wenig ausländisches Fleisch. Unsere Nutztiere aber sind abhängig von importiertem Futter. Denn mit dem hierzulande verfügbaren Boden könnte man niemals so viele Nutztiere ernähren. Für normale Wiederkäuer allein reichte das Gras und Heu zwar weitgehend aus. Doch das Kraft- und Eiweissfutter für die Hochleistungskühe, Schweine und Hühner kommt zu über 60 Prozent aus dem Ausland.

Aus Futtermittelimporten resultiert Düngerflut

Die Importe sind stark angestiegen, um mit dem Kraftfutter die Milchleistung der Kühe zu steigern, die steigende Hühnerzahl zu nähren und verbotene Nährstoffe aus Tiermehl oder Schweinesuppe (Lebensmittelabfälle) zu kompensieren. Vor allem Mais, Weizen und Soja stammen von Böden jenseits der Grenze. Insgesamt sind es rund eine Million Tonnen.

Die importierten Nährstoffe werden, von den Tieren umgesetzt, zu überschüssigem Kot. Diesen muss der knappe landwirtschaftliche Boden in der Schweiz verdauen. Doch das vermag er nicht. Die Folge sind massiv überdüngte Böden und Gewässer, belastetes Grundwasser und ein Aderlass an der Vielfalt der natürlichen Lebensräume sowie an Pflanzen- und Tierarten. Der Insektenschwund ist ebenfalls eine der Folgen.

Bereits vor fünfzig Jahren erhielt die bodenunabhängige Produktion einen starken Schub: Die Agrarpolitik empfahl den Bauern mit wenig Land eine «innere Aufstockung», um wirtschaftlich über die Runde zu kommen. Sie investierten in grosse Ställe für riesige Schweine- und Hühnerbestände und kauften das Futter von aussen zu. Schwerpunktgebiete für diese Entwicklung waren das Luzerner Land und der Thurgau. Bald fielen dort überschüssige Mengen Dünger aus den Tierfabriken an.

Blosse Symptomtherapie gegen Überdüngung

Das Gewässerschutzgesetz beschränkte zwar die Düngermenge, die auf einer bestimmten Fläche erlaubt war; dies aber auf sehr hohem Niveau. Bauern mit zu grossen Tierzahlen und Güllemengen konnten ihren Überschuss zudem einem anderen Bauern mit weniger Tieren überlassen. Ob diese Abnahmeverträge korrekt gehandhabt wurden, war schwer zu kontrollieren. Die Gewässerschutzverantwortlichen des Kantons Luzern beispielsweise standen zuerst auf verlorenem Posten, als sie den Phosphorzufluss in den Sempacher- und Baldeggersee begrenzen wollten. Denn trotz überlasteter Nährstoffbilanz waren weitere Stallbauten mit noch mehr Tieren rechtens. Um Massnahmen wie Düngerverbotszonen am See mussten die Beamten hart ringen.

In den Ackerbaugebieten des Mittellands manifestierte sich der Düngerüberschuss in Form von Nitrat im Grundwasser. Die Agrarforschung eruierte bessere landwirtschaftliche Praktiken, um die Nitratauswaschung aus den Feldern zu verringern. Berater bemühten sich darum, diese Erkenntnisse in der Praxis zu etablieren. Im Grundsatz ging es darum, Felder nach der Ernte nicht nackt zu belassen, damit Zwischenkulturen noch vorhandene Nährstoffe aufnahmen.

Reduktionsziele gesetzt – und stets wieder verpasst

Der Kampf gegen den Überfluss schlug sich zunehmend auch in der Gesetzgebung nieder: Zu Gunsten der Gewässer wurde die erlaubte Menge Dünger pro Hektare Anfang der 1990er Jahre reduziert. 1999 fasste ein ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) Fuss: Direktzahlungen würden fortan nur noch Betriebe erhalten, die eine ausgeglichene Nährstoffbilanz aufweisen. Allerdings blieb es bis heute dabei: Ein Hof muss die Anzahl seiner Nutztiere nur dann reduzieren, wenn er seinen Dünger nicht an einen anderen Bauern abgeben kann.

Bis zur Jahrtausendwende gelang es immerhin, ohne tiefgreifende Änderung am Grundsystem den Überfluss an Nährstoffen ein Stück weit zu senken. Seither stagnieren die Frachten aber auf viel zu hohem Niveau. Vor allem beim Stickstoff tut sich weiterhin eine grosse Ziellücke auf. Die eine betrifft die Ammoniak-Emissionen in die Luft, die andere den Gesamtstickstoff-Verbrauch im Verhältnis zum Ertrag, der daraus resultiert. Wenn man die Zahlen über die Entwicklung der Emissionen und des Stickstoff-Verbrauchs in den zahlreichen Berichten des Bundes zum Thema zusammenklaubt, wird offensichtlich: Die Agrarpolitik hat wiederholt Reduktionsziele gesetzt, die Ziele aber immer wieder verpasst und die Zielerreichung in der Folge auf später verschoben.

Die Belastungsgrenzen lassen sich mit schwachen Massnahmen nicht erreichen

Ein Beispiel zeigt, wie zäh es vorwärts ging: 1994 verlangte eine ständerätliche Kommission mit einer Motion unter anderem Lenkungsabgaben auf Dünger. Die schädlichen Ammoniak-Emissionen lagen damals bei 96 000 Tonnen (t). Der Bericht des Bundesrats, der statt Lenkungsabgaben andere Massnahmen vorschlug, folgte 2003, also fast zehn Jahre später. Unter anderem erfuhr man darin vom verpassten Ziel, den Ausstoss bis 2002 auf 74 000 t zu reduzieren (neuer Zielhorizont: 2005). Der Versuch, mit Stilllegungsbeiträgen die Tierzahlen zu reduzieren, sei misslungen, hiess es. Da damit Hofdünger-Überschüsse nicht vermeidbar waren, blieb der Gülletausch zwischen den Bauern erlaubt.

Erst 2012 erschien die Vollzugshilfe zum Düngen, die aus dieser langen Vorgeschichte resultierte. Sie sollte dazu beitragen, die «geltenden landwirtschaftsrechtlichen Vorschriften konsequenter umzusetzen». Die Vollzugshilfe stellte klar, dass die Landwirtschaft den Umgang mit Dünger nach dem neusten Stand der Technik handhaben muss. Das heisst beispielsweise, mit Schleppschlauch güllen, um den Stickstoff wirklich in den Boden zu bringen, statt in die Luft zu verschleudern. Aber die Vorschrift gilt nur, wenn es für den Betrieb «wirtschaftlich tragbar» ist.

Anreize für technische Verbesserungen statt Gebote

Einen Teil der Bauern konnten Bund und Kantone mit Anreizen zum Umstieg auf das emissionsärmere Güllen zu gewinnen – eine Strategie, die für das ganze Reduktionsprogramm von Phosphor, Ammoniak und Nitrat galt: Die Bauern erhielten finanzielle Unterstützung, wenn sie sich an regionalen Reduktions-Programmen beteiligten. Für diejenigen, die das nicht tun, ist jetzt doch ein Zwangsmittel vorgesehen: Das emissionsarme Güllen soll ab 2022 obligatorisch sein. Aber schon wehren sich Bauernvertreter gegen diese Änderung der Luftreinhalteverordnung.

Dass strikteres Vorgehen mehr Erfolg verspricht, zeigt Dänemark, das eine vergleichbare Dichte an Nutzvieh aufweist. Das Land ging den Stickstoffüberschuss früher und entschiedener an. Das Programm begann in den 1980er Jahren ebenfalls mit freiwilligen Massnahmen. Bald aber wurden Optimierungen beim Lagern und Ausbringen der Gülle sowie in den Ställen Pflicht. Dank diesen und weiteren Vorschriften sanken die Stickstoffverluste innerhalb von 25 Jahren um 40 Prozent.

Der Bedarf zur Reduktion in der Schweiz liegt auch heute noch in einer vergleichbaren Grössenordnung. In den Umweltzielen für die Landwirtschaft, die 2008 erarbeitet wurden, steht als maximal tolerierbarer Emissionswert für Ammoniak die Zahl von 25 000 t. Dieser Wert basiert auf einer umfassenden Analyse, wie viel Ammoniak höchstens in die Luft entweichen darf, um keine Ökosysteme zu überlasten. Ausgehend von der heutigen Last von ca. 42 000 t bedeutet das: Der weitere Reduktionsbedarf liegt bei 40 Prozent. Und der Überschuss an Stickstoffdünger im ganzen System Landwirtschaft-Ernährung Schweiz muss immer noch mehr als halbiert werden.

Seilziehen um neue umweltgerechtere Agrarpolitik

In der Schweiz steht jetzt die nächste Stufe im langwierigen Kampf gegen den Düngerüberfluss an, im Rahmen der Agrarpolitik für die Jahre 2022-2026 (AP 22). Die vorgeschlagenen Massnahmen in der Botschaft des Bundesrats zur AP 22 bewegen sich auf einem Mittelweg zwischen «weiter wie bisher» und dem Anziehen der Schrauben. So sollen die Überschüsse an Stickstoff und Phosphor bis 2020 um je 20 Prozent sinken. Je nach Standpunkt sind diese formulierten Reduktionsziele zu streng oder zu schwach.

Neu ist, dass der Absenkpfad gesetzlich verankert werden soll. Eines der Mittel dazu: Die erlaubte Düngermenge pro Hektar würde wiederum etwas gesenkt. Ausserdem will man beim Berechnungssystem der ausgeglichenen Düngerbilanz endlich über die Bücher. Denn es war schon lange verwunderlich, dass diese Bilanz bei der Mehrheit der Betriebe stimmen soll, wenn der Dünger-Überschuss dabei nicht sinkt. Im Übrigen werden eine ganze Reihe technischer Massnahmen aufgeführt, teils bekannte, teils neue.

Falls die Ziele nicht erreicht werden, soll der Bundesrat ermächtigt sein, weitere Mittel zu verordnen. Jetzt steht das parlamentarische Seilziehen an. Der Bauernverband hat zum ganzen Paket AP 22 soeben ein lautes Nein platziert. Er scheute sich dabei nicht, die Corona-Krise ins Feld zu führen: Es sei falsch, gerade jetzt eine Senkung des Selbstversorgungsgrads in Kauf zu nehmen. Allerdings verschweigt der Bauernverband dabei, wie sehr die Schweiz bei dem von ihm angestrebten Selbstversorgungsgrad von ausländischen Futtermitteln abhängig bleibt.

Versorgungssicherheit: Mehr Pflanzen, weniger Fleisch

Es gäbe einen anderen, viel effizienteren Weg zu einer wirklich hohen Selbstversorgung: Umschwenken auf eine mehr pflanzenbasierte Ernährung. Damit könnte sich die Schweizer Bevölkerung weitgehend vom eigenen Land ernähren, ohne dieses ökologisch übermässig auszubeuten. Damit wären nicht nur die Bauern gefordert, unserer Natur die Regeneration zu ermöglichen, sondern wir alle.

Diese Vorstellung ist keine Utopie: Eine fundierte Arbeit, wie die Schweiz sich ökologisch fast selbst versorgen könnte, hat die eidgenössische Forschungsanstalt Agroscope schon 2017 mit der Untersuchung «Umwelt- und ressourcenschonende Ernährung» vorgelegt. Demnach könnten wir mit einer vorwiegend pflanzlichen Kost auf dem knappen Schweizer Kulturland sowohl die Biodiversität fördern als auch die Selbstversorgung steigern. Milch (aber nicht Käse) bleibt dabei neben Kartoffeln und Getreide nach wie vor ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Der Fleischkonsum reduziert sich auf 30 Prozent (von 144 auf 45 Gramm pro Tag), wobei Schwein und Geflügel den grössten Einschnitt trifft.

Die Kühe können sich hauptsächlich von Gras ernähren, die Flächen für Futtermittel sind reduziert. Futtermittelimporte gehören fast vollständig der Vergangenheit an. Eine solche Wende wäre gut für die Gesundheit von Mensch und Umwelt, für Wildpflanzen, Insekten und andere Wildtiere und auch für die Böden im Ausland, wo heute unsere Futtermittel herkommen.

Wer sich ausführlicher über ökologische Ernährung gemäss Agroscope-Modell informieren will, findet die Informationen dazu im Infosperber-Artikel «Beim Essen weniger Umwelt verzehren»:

Weitere Artikel zu diesem Thema auf INFOSPERBER:

«Überfluss an Dünger führte zu dramatischem Insektensterben»

«Beim Essen weniger Umwelt verzehren»


DOSSIER: Schutz der Natur und der Landschaft


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Kuh

Landwirtschaft

Massentierhaltung? Bio? Gentechnisch? Zu teuer? Verarbeitende Industrie? Verbände? Lobbys?

Wald

Schutz der Natur und der Landschaft

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Eine Meinung zu

  • am 4.04.2020 um 15:05 Uhr
    Permalink

    Da muss widersprechen. Ich beziehe mich hier auf die Rinder. Einverstanden, weniger Fleisch essen und WENIGER WEGWERFEN. die Bodenkalkulation stimmt nicht. Unsere traditionelle Landwirtschaft: Kühe fressen dort, wo nicht mehr angebaut werden kann, haltenSkipisten frei usw. Geben etwas weniger Milch, als die gemästeten, aber über weit mehr Jahre. Milchvergleich im Labor: die Qualität ist bei gesundernährten weit besser (gesünder). Da tritt auch die Überdüngung nicht ein, im Gegenteil, trägt zur Humusbildung bei. Die Details dazu finden Sie u.a. bei http://www.heumilch.at (internat. Labor/ at ist wichtig)
    Bei Hühnern und Schweinen ebenfalls weniger Wegwerfen,
    weniger essen, aber nicht unsere Fehler den Tieren anlasten, die leiden unter unserer Gier.

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