AufhngerildJobRotation

Job-Rotation brächte neue Perspektiven und könnte den Horizont im Journalismus erweitern © cc

Zwang zum Wirtschaftswachstum erzwingt Ausbeutung der Natur

Hanspeter Guggenbühl /  Redaktionen von Zeitungen sollten Job-Rotation einführen. Dann würden negative Wirtschafts-Schlagzeilen plötzlich positiv.

Nehmen wir an, die Tamedia-Redaktion, die den überregionalen Inhalt von grossen Zeitungen im Raum Zürich, Bern und Basel bestimmt, würde Job-Rotation (Arbeitsplatzwechsel) einführen, um den Horizont ihrer Redaktionsmitglieder zu erweitern. Nehmen wir weiter an, der Journalist im Wissenschafts-Ressort, der sich den Themen Natur und Klima widmet, sässe damit jeweils am Montag in der Wirtschaftsredaktion.

In diesem Fall hätten die Leserinnen und Leser der Tamedia-Zeitungen am Dienstag, 13. August, folgende Meldung unter folgendem Titel lesen können:

«Gute Aussichten für den Klimaschutz»

«Der Wirtschaftsausblick des Münchner IFO-Institutes auf die Entwicklung der globalen Natur und des Weltklimas ist so optimistisch wie schon lange nicht mehr. Die Verschärfung des Handelskonflikts bremst die Plünderung der natürlichen Energieressourcen und senkt damit den globalen Ausstoss von Treibhausgasen.»

Nein, die obige Nachricht gab es nicht. Denn die Leitung des Tamedia-Konzerns ist punkto Arbeits- und Themenflexibilität noch nicht so weit. Umwelt- und Wirtschaftsredaktionen schreiben dort – wie in den meisten andern Redaktionen – weiterhin säuberlich getrennt aneinander vorbei.

In Wirklichkeit erschien am Dienstag, 13 August im «Tages-Anzeiger», «Landboten», in der «Basler Zeitung» und weiteren Tamedia-Blättern folgende Meldung:

«Schlechte Aussichten für die Weltwirtschaft«

«Der Wirtschaftsausblick des Münchner IFO-Instituts ist so pessimistisch wie seit Anfang 2017 nicht mehr. Auch die Erwartungen für die kommenden sechs Monate wurden heruntergeschraubt. ‹Die Verschärfung des Handelskonflikts belastet die Weltkonjunktur›, sagte IFO-Präsident Clemens Fuest.»

Das Beispiel aus der Tamedia-Küche ist in diesen Tagen kein Einzelfall. Am Donnerstag, 15. August kommentierte NZZ-Wirtschaftsredaktor Michael Rasch seine Begriffsschöpfung «Stagnierendes Wirtschaftswachstum in Deutschland» mit dem Titel «Die hässliche Fratze des Handelskriegs». Würde sich hingegen die Umweltexpertin der NZZ mit der stagnierenden Wirtschaft befassen (was an der Zürcher Falkenstrasse ebenso unvorstellbar ist wie an der Werdstrasse), dann hätte sie die «hässliche Fratze» zum freundlichen Gesicht umdeuten können. Denn eine stagnierende oder schrumpfende Wirtschaft ist umweltfreundlicher als eine wachsende, weil sie die die Ausbeutung der Natur vermindert.

Zusammenhang von Wirtschaft und Umwelt

Die Korrelation zwischen Wirtschafts- und Umweltentwicklung ist evident: Wenn die Wirtschaft wächst, nimmt tendenziell der Verbrauch von nicht erneuerbaren natürlichen Ressourcen wie Erdöl, Kohle und weiteren Rohstoffen zu. Und damit steigen auch die Emissionen von Treibhausgasen wie CO2 oder Methan, die das Klima aufheizen. Diesen Zusammenhang findet man nicht in Quartalszahlen, auf welche sich Wirtschaftsjournalisten gerne stützen, sondern in längerfristigen globalen Statistiken.

Unsere folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Weltwirtschaft (blaue Kurve), gemessen am teuerungsbereinigten Weltsozialprodukt (in US-Dollar, Stand 2010) seit dem Jahr 2000. Diese Entwicklung vergleichen wir mit der Entwicklung des weltweiten Primär-Energiekonsums (rote Kurve), wie ihn die BP-Weltenergiestatistik und die IEA ausweisen. Der Primär-Energiekonsum ist der beste Indikator für den Verbrauch von natürlichen Ressourcen, denn er hängt eng mit dem übrigen Rohstoff- und Materialverbrauch und damit auch mit den Mengen an Abfall und Treibhausgasen zusammen. Beide Datenreihen haben wir indexiert (Jahr 2000 = 100).

Die Resultate dieses Vergleichs: Seit der Jahrtausendwende ist die Weltwirtschaft um 65 Prozent gewachsen, der Primärenergiekonsum um 48 Prozent. Ab dem Jahr 2000 gab es also immerhin eine bescheidene relative Entkoppelung. Das heisst: Der Primärenergiekonsum wuchs in den letzten acht Jahren weniger stark als die Weltwirtschaft, weil die Energieeffizienz der wachsenden Wirtschaft zugenommen hat.

Etwas weniger stark als der Primärenergiekonsum wuchs seit dem Jahr 2000 der – in der Grafik nicht erfasste – CO2-Ausstoss, nämlich um rund 30 Prozent. Grund: Die Verlagerung innerhalb des Energiekonsums. So hat der Anteil des Erdgases mit weniger Kohlenstoffgehalt und der erneuerbaren Energieträger leicht zugenommen im Vergleich zu den dominierenden Energieträgern Kohle und Erdöl.

Nur Rezession senkte Ressourcenverbrauch

Absolut gesehen aber nimmt – entgegen den energie- und klimapolitischen Zielen – der globale Energiekonsum und CO2-Ausstoss weiterhin zu. Die Ausnahme bestätigt diese Regel: Nur im Rezessionsjahr 2009, als die Weltwirtschaft kurzfristig schrumpfte, hat auch der Primärenergiekonsum und der CO2-Ausstoss gegenüber dem Vorjahr abgenommen.

Dieser Knick in der obigen Grafik bestätigt damit auch die umgekehrte Korrelation: Schrumpft die Wirtschaft, dann vermindert sich die Ausbeutung von nicht nachwachsenden natürlichen Ressourcen. Oder zugespitzt: Geht es der Wirtschaft schlecht, geht es der Natur besser und die Klimaerwärmung wird gebremst.

Unterliegen wir einem Naturausbeutungszwang?

Die Folgerung aus dieser langjährigen Entwicklung liegt damit nahe: Soll die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen sinken und der Klimawandel gestoppt werden, darf die Wirtschaft nicht mehr wachsen. Diese Erkenntnis kollidiert aber mit den Theorien der Ökonomen Hans Christoph und Mathias Binswanger, die Infosperber in früheren Berichten hier und hier vorstellte. Demnach unterliege unsere kapitalistische Wirtschaft einem Wachstumszwang.

Sollte diese Theorie zutreffen, und sollte es uns nicht gelingen, die Wirtschaft von diesem Wachstumszwang zu befreien, dann sind die Aussichten zur Erhaltung der Natur und zur Begrenzung des Klimawandels düster. Denn in diesem Fall gibt es neben dem Wachstumszwang der Wirtschaft auch einen Zwang zur Naturausbeutung.

Ökoeffizienz brachte keine absolute Entkoppelung

Dieser naheliegenden Folgerung widersprechen allerdings die Umwelttechnokraten. Unter wechselnden Begriffen wie «qualitatives Wachstum», «nachhaltiges Wachstum», «Faktor 4» oder «grüne Wirtschaft» vertraten und vertreten sie die Meinung, der Verbrauch von natürlichen Ressourcen lasse sich nicht nur relativ sondern auch absolut vom Wachstum der Wirtschaft entkoppeln.

Doch dieses Versprechen auf ein ökologisch verträgliches Wachstum hören wir schon seit 1972, als der Club of Rome den ersten Report über die «Grenzen des Wachstums» veröffentlichte, und es wurde (wie oben gezeigt) bis heute nicht erfüllt. Zweifel an diesem Versprechen sind deshalb angebracht.

Für die Menschheit bleibt somit die alte Frage aktuell, welche die Autoren des 1978 veröffentlichten NAWU-Reports schon vor 40 Jahren wie folgt formulierten: «Wie und mit welchen politisch-rechtlichen Steuerungsstrukturen ist es möglich, aus der Phase eines exponentiellen Wachstums in geordneter Weise, ohne ökonomische Krisen, in ein ökonomisch-ökologisches Gleichgewicht zu gelangen?» Die Wirtschaftswissenschaft konnte – oder wollte – diese Frage bis heute nicht beantworten. Es ist darum an der Umweltpolitik, Auswege aus der ökonomischen Wachstumsfalle zu finden.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Hanspeter Guggenbühl ist zusammen mit Urs P. Gasche Verfasser des Buches «Schluss mit dem Wachstumswahn» Somedia/Rüegger, 2010

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20111221um18_39_50

Führt Wachstum zu Glück oder Crash?

Geht uns die Arbeit aus, wenn wir nicht ständig mehr konsumieren? Oder sind die Renten in Gefahr?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

6 Meinungen

  • am 19.08.2019 um 13:45 Uhr
    Permalink

    Es ist immerhin tröstlich zu sehen, dass kritische Meinungen, die das Wirtschaftswachstum in Frage stellen, immerhin gelesen werden und im Falle der Leserreaktionen zum Leserbeitrag https://www.republik.ch/dialog?t=article&id=8e89c4cb-68fe-4d57-94f8-6d4cdf9f82ae&focus=fb4daab8-82f6-478f-8c4b-fa23a1d607dc
    zum Republik-Artikel ’Das Ende der Zinsillusion’ vor einigen Tagen höchste Beliebtheitswerte erreichen können, auch wenn diese in absoluten Zahlen gering sind.

  • am 19.08.2019 um 14:03 Uhr
    Permalink

    Ich kann nicht mehr daran glauben, dass die machthabende Schicht der Wirtschaftswelt fähig und willens ist, ihre dogmatischen Irrtümer einzusehen und zu korrigieren. Sie handeln wider besseres Wissen, also aus Bösartigkeit oder eben opportunistisch, dogmatisch, also aus Dummheit. Die wesentlichen Fakten sind seit über hundert Jahren klar.
    Vielleicht fügt Herr Guggenbühl dem nächsten Bericht noch die Korrelation von Bevölkerungswachstum und Wachstum der Weltwirtschaft bei. Als der Club of Rome 1972 den ersten Bericht verfasste, waren wir noch weniger als vier Milliarden Menschen. Wirtschaftswissenschaft ist eben keine Wissenschaft, sie ist eine dogmatische Raubbau-Theorie. Weil dieser Raubbau die Macht ihrer Betreiber stetig vergrössert, ist sie so erfolgreich, aber leider tödlich. Diese «Wirtschaftswissenschaft» ist nun beschäftigt mit der Widerlegung der Einsichten von Greta Thunberg.
    "Die kann doch die Welt nicht retten…», hat mir ein gläubiger promovierter «Wirtschaftswissenschafter» dieser Tage geschrieben. Stimmt, kann sie nicht, aber ihre «Thesen» können es, wenn «wir» sie hören und danach handeln. «Wir», der Teil der bald 8 Milliarden, die unser Tun durchschaut haben und willens sind zu handeln. In Demokratien müssen «wir» mindestens 51% sein.

  • am 19.08.2019 um 15:58 Uhr
    Permalink

    Ganz bescheiden möchte ich dem guten Artikel noch hinzufügen, die Zeitungen sollten für alle Ressorts etwas Marxlektüre als obligatorische Weiterbildung einführen. Karl Marx wusste nämlich schon vor 200 Jahren, dass das einzige Wirtschaftsziel, die Profitmaximierung, nicht ohne Ausbeutung von Mensch und Natur möglich ist. Die fff-Jugend hat es auch herausgefunden: «system change not klimate change!"

  • am 19.08.2019 um 22:06 Uhr
    Permalink

    Das Geschwätz vom Wachstum

    Von Markus Zimmermann-Scheifele, CH 6047 Kastanienbaum
    in Anlehnung an das gleichnamige Buch von U. P. Gasche und H. Guggenbühl

    Wenn uns’re Wirtschaft gut floriert,
    Läuft die Gesellschaft wie geschmiert
    Und jeder will vom grossen Kuchen
    Das beste Stück für sich aussuchen.

    Es tönt der Ruf nach Wachstum laut.
    So werden „Links“ und „Rechts“ vertraut.

    Wir setzen Wachstum uns als Ziel
    Und denken aber gar nicht viel
    Darüber nach, was Wachstum bringt,
    Was für Ressourcen es verschlingt.

    In dem begrenzten Lebensraum
    Ist ew’ges Wachstum nur ein Traum.

    So steuern wir gerad’wegs los
    Auf ein gewaltiges Chaos,
    Wenn wir uns nicht sehr bald besinnen
    Und diesem Wachstumszwang entrinnen.

    Es ist das alberne Geschwätz
    Vom ew’gen Wachstum wirklich lätz(1).

    (1) schweizerisch für falsch

  • am 20.08.2019 um 16:19 Uhr
    Permalink

    Nur schon die Tatsache, dass mit «qualitativem Wachstum» letztlich doch immer Wirtschaftswachstum gemeint ist, lässt vermuten, dass in dieses Konzept nicht allzu viel Hirnschmalz investiert wurde.

    Wirtschaftswachstum wird per Definition in Franken und Rappen, oder in Euro, oder in Dollar gemessen, also quantitativ.

    Nehmen wir an, Herr A und Herr B haben beide Ferien gemacht. Die von Herrn A waren ein nervtötendes Desaster, die von Herrn B waren erholsam und erlebnisreich. Beide haben 1000 Franken gekostet.
    In der orthodox-ökonomischen Sichtweise sind die beiden Ferien gleichwertig. Eine tatsächliche qualitative Veränderung (man müsste dann eher von Verbesserung als von Wachstum sprechen) wird von der 08/15-Ökonomie gar nicht wahrgenommen.

  • am 21.08.2019 um 09:58 Uhr
    Permalink

    Es gibt bezüglich Wirtschaft oder Ökonomie ein ziemlich simples, aber äusserst effektives Vorgehen. Wir müssen ganz einfach Wirtschaft neu denken. Wiki und jedes Lehrbuch über Wirtschaft definiert diese meist auf der ersten Seite: „Wirtschaft oder Ökonomie ist die Gesamtheit aller Einrichtungen und Handlungen, die der planvollen Befriedigung der Bedürfnisse dienen.“
    Was dies bedeutet, haben ein paar gescheite Frauen und Männer des Vereins «Wirtschaft ist Care» https://wirtschaft-ist-care.org/ herausgefunden. Die Schweizer Frauensynode wird sich 2020 intensiv damit befassen. Sobald die Definition Wirtschaft ist Care in allen Köpfen angekommen ist, werden die allzu simpel gestrickten Wirtschaftsredaktorinnen von alleine über ihre engen Seitenränder hinaus blicken müssen. Zum Schluss hier noch ein neuer amüsanter Videoclip, der kurz und knackig erklärt, was damit gemeint ist:
    https://www.economy-is-care.com/?lang=de

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...